Rechtsprechung Bayern

Ausschluss von Scientology-Anhängern aus kommunaler Umweltförderung?

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Im unten vermerkten Urteil vom 16.6.2021 hatte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) darüber zu befinden, ob eine Gemeinde bei der Gewährung freiwilliger Leistungen die Anhänger einzelner Organisationen ausschließen darf, die im Verfassungsschutzbericht aufgeführt sind.

Die als freischaffende Musikerin tätige Klägerin hatte bei der beklagten Landeshauptstadt die Bewilligung einer Förderung zu den Anschaffungskosten eines Pedelecs nach der geltenden „Förderrichtlinie Elektromobilität“ beantragt, ohne die im Antragsformular geforderte „Schutzerklärung in Bezug auf die Lehre von L. Ron Hubbard/Scientology“ zu unterzeichnen. Der Vordruck sah vor, dass der Antragsteller mit seiner Unterschrift erklärt, keine Inhalte oder Methoden und auch keine Technologie von L. Ron Hubbard anzuwenden, zu lehren oder in sonstiger Weise zu verbreiten und keine Kurse oder Seminare nach dieser Technologie zu besuchen. Die von der Klägerin nach Ablehnung ihres Antrags erhobene Verpflichtungsklage auf Bewilligung der Förderung wies das Verwaltungsgericht ab. Der VGH gab ihrer Berufung statt und verpflichtete die Beklagte zur Bewilligung der begehrten Förderung. Das Urteil beruht im Wesentlichen auf folgenden Gründen:

Das allgemeine Ziel, zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beizutragen, hat keinen hinreichenden Bezug zum kommunalen Selbstverwaltungsrecht

Eingangs weist das Gericht auf den kompetenziellen Aspekt des Falls hin: „Der mit der geforderten Schutzerklärung beabsichtigte Ausschluss von Anhängern der Lehre von L. Ron Hubbard/Scientology aus dem Förderprogramm Elektromobilität war schon deshalb unzulässig, weil damit von der Beklagten ein außerhalb ihres kommunalen Wirkungskreises liegendes Ziel verfolgt wurde. Der Förderausschluss von Antragstellern, die der Scientology-Lehre nahestehen, diente laut Erklärung der Beklagten dazu, eine mögliche Verbesserung des Ansehens der Scientology-Organisation in der Öffentlichkeit zu verhindern; die Kommune wollte mit der in den Verfassungsschutzberichten als verfassungsfeindlich eingestuften Organisation auch im Zusammenhang mit der Vergabe von Fördermitteln nicht in Verbindung gebracht werden und damit einen Beitrag zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung leisten. Diese allgemeine Zielsetzung war aber von ihrem verfassungsmäßigen Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG), nicht mehr gedeckt, da es an dem dafür erforderlichen örtlichen Bezug fehlte.

Aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie folgt die originäre Kompetenz der Gemeinden, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft anzunehmen, also derjenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben (BVerfG, Beschluss vom 23.11.19881) – 2 BvR 1619/83 u.a. – BVerfGE 79, 127/151 m.w.N.) … Das von der Beklagten verfolgte Ziel, einemögliche Verbesserung des Ansehens der Scientology-Organisation in der Öffentlichkeit zu verhindern, wurzelt nicht in der örtlichen Gemeinschaft und lässt auch keinen spezifischen Bezug auf sie erkennen. Eine derart allgemein gefasste Zielsetzung könnte am ehesten der unter dem Begriff des Verfassungsschutzes zusammengefassten Aufgabe, die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu schützen, zugerechnet werden. DieseAufgabe besitzt für sich genommen keinen spezifisch lokalen Bezug, sondern liegt im gesamtstaatlichen Interesse. Sie ist von den dafür geschaffenen Bundes- und Landesbehörden auf der Grundlage entsprechenderGesetze imWege der Zusammenarbeit zu erfüllen (§ 1, § 2 BVerfSchG). In Bayern wird diese Aufgabe von demnach Art. 1 Abs. 1 BayVerfSchG ausschließlich zuständigen Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen.“

Überörtliche (Neben-)Ziele dürfen die Gemeinden verfolgen, wenn sie in einem objektiven Zusammenhang mit der jeweiligen kommunalen Aufgabe stehen und als deren konkretisierende Ausgestaltung verstanden werden können

Zur Bestimmung der Kompetenzgrenzen kommt es danach auf den Einzelfall an: „Die bayerischen Gemeinden haben zwar nach Art. 4 BayVerfSchG dem Landesamt Amts- und Informationshilfe zu leisten. Darüber hinaus sind sie aber – abgesehen von der ihnen als Sicherheitsbehörden obliegenden Verhütung und Unterbindung konkreter verfassungsfeindlicher Handlungen (Art. 83 Abs. 1 BV; Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 LStVG) – nicht zur selbständigen Wahrnehmung von Verfassungsschutzaufgaben berufen. Sie dürfen daher weder unter Berufung auf ihre Organisationshoheit ein kommunales Verfassungsschutzamt betreiben noch gezielt Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen im Gemeindegebiet sammeln und der lokalen Öffentlichkeit darüber berichten. Davon unberührt bleibt das Recht ihrer demokratisch legitimierten Organe (erster Bürgermeister, Gemeinderat), sich in Ausübung ihrer kommunalpolitischen Funktion durch eigene Stellungnahmen am politischen Diskurs über konkrete verfassungsfeindliche Aktivitäten Privater zu beteiligen, sofern diese einen spezifischen Ortsbezug aufweisen (vgl. allgemein BVerwG, Urteil vom 13.9.2017 – 10 C 6.16 – BVerwGE 159, 327 Rn. 17 ff.; BayVGH, Urteil vom 29.1.20202) – 4 B 19.1354 – DVBl 2020, 1361 Rn. 23 ff.). Auch soweit es um den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ohne spezifischen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft und damit um eine den örtlichen Wirkungskreis übersteigende Aufgabe geht, sind die Gemeinden davon nicht generell ausgeschlossen. Sie dürfen bei der Wahrnehmung ihrer Selbstverwaltungsaufgaben durchaus das (Neben-)Ziel verfolgen, verfassungsfeindlichen Bestrebungen keinen zusätzlichen Entfaltungsraum zu bieten. Entsprechende Regelungen, mit denen die Verfassung auf Gemeindeebene geschützt werden soll, sind jedoch nur zulässig, wenn sie in einem objektiven Zusammenhang mit der jeweiligen kommunalen Aufgabe stehen und als deren konkretisierende Ausgestaltung verstanden werden können.

Diese kompetenzrechtliche Einschränkung gilt nicht nur, wenn es um die Verfolgung überörtlicher Ziele beim Betrieb kommunaler Einrichtungen i.S. von Art. 21 GO geht (dazu BVerwG, Urteil vom 16.10.20133) – 8 CN 1.12 – BVerwGE 148, 133 Rn. 17; BayVGH, Urteil vom 17.11.2020 – 4 B 19.1358 – BayVBl 2021, 159 Rn. 47; Gottschalk, NVwZ 2019, 1728/1731), sondern ebenso in allen anderen Bereichen der Leistungsverwaltung. So können die Gemeinden etwa von Zuwendungen, die der politischen Jugendbildung im Ort dienen, solche Organisationen ausschließen, deren Tätigkeit sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet. Darin liegt kein unzulässiger Übergriff in den staatlichen Zuständigkeitsbereich, sondern lediglich eine Präzisierung des Ziels der Fördermaßnahme, die von der Gestaltungsfreiheit des kommunalen Subventionsgebers gedeckt ist (vgl. Ingold, DÖV 2015, 13/18 f. m.w.N.). Die Förderrichtlinie Elektromobilität steht demgegenüber in keinem (auch nur mittelbaren) Sachzusammenhang mit dem von der Beklagten verfolgten Zweck, nicht zur Imageverbesserung der Scientology-Organisation beizutragen … Die mit der Förderung bezweckte Umstellung auf ein umweltgerechtes Mobilitätsverhalten innerhalb des Gemeindegebiets besitzt keinerlei Berührungspunkte mit dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Bezug auf diese eine Organisation. Die von der Beklagten vorgenommene Verknüpfung beider Aspekte ist demnach objektiv willkürlich; sie vermittelt der als Fördervoraussetzung verlangten Scientology- Schutzerklärung nicht den notwendigen örtlichen Bezug.“

Die Forderung nach Abgabe einer Scientology-Schutzerklärung greift in das Grundrecht der Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit ein

Den Eingriffscharakter der Maßnahme begründet das Gericht so: „Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können sich Personen, deren persönliche Lebensführung maßgebend an der scientologischen ausgerichtet ist, auf den Schutz des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses nach Art. 4 Abs. 1 GG berufen, ohne dass es darauf ankommt, ob auch der scientologischen Organisation, der sie angehören, der Status einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zukommt (BVerwG, Urteil vom 15.12.2005 – 7 C 20.04 – DVBl 2006, 387). Bei der Klägerin ist nach den im Verfahren abgegebenen Erklärungen davon auszugehen, dass sie die Scientology- Lehre für sich als verbindlich anerkennt und die damit verbundenen Methoden seit Langem praktiziert. Sie kann daher unabhängig von der Frage, ob darin eher eine Religion oder eine Weltanschauung zu sehen ist …, in jedem Fall das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG für sich in Anspruch nehmen. Mit der geforderten Unterschrift unter die Schutzerklärung wurde in dieses Grundrecht zum einen insoweit eingegriffen, als damit von der Klägerin eine Offenlegung ihrer religiösen bzw. weltanschaulichen Überzeugung verlangt wurde; dies berührte den Schutzbereich der ausdrücklich auch in Art. 140 GG i.V. mit Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV gewährleisteten negativen Bekenntnisfreiheit. Eine Beeinträchtigung der Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit lag zum anderen darin, dass die Klägerin allein wegen ihrer (aufgrund der Nichtunterzeichnung der Schutzerklärung vermuteten) persönlichen Nähe zur Scientology- Lehre von der Förderung ausgeschlossen wurde. Zwar handelte es sich bei der beantragten Umweltprämie um eine freiwillige Leistung, so dass die Ablehnung für sich genommen nicht als Freiheitseingriff zu qualifizieren war. Ähnlich wie bei der Meinungsfreiheit ist aber auch bei der Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Schutzbereich des Grundrechts nicht erst dann berührt, wenn das grundrechtlich geschützte Verhalten als solches eingeschränkt oder verboten wird, sondern schon dann, wenn daran negative Konsequenzen geknüpft werden … Maßnahmen von Trägern öffentlicher Gewalt, die sich gezielt gegen eine von Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Freiheitsbetätigung richten, stellen jedenfalls mittelbare Grundrechtseingriffe dar … Diese Voraussetzungen liegen bei dem an ein persönliches Bekenntnis geknüpften Ausschluss von Scientology-Anhängern aus dem Förderprogramm der Beklagten vor.“

Gezielte Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG stehen unter Parlamentsvorbehalt

Die Verfassung setzt in diesem Bereich dem Verwaltungshandeln enge Grenzen: „Da die Religions- und Weltanschauungsfreiheit nicht unter einem Gesetzesvorbehalt steht, sind Eingriffe in dieses Freiheitsrecht nur verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn und soweit sie dem Schutz eines damit kollidierenden Verfassungsrechtsguts dienen und sich bei der gebotenen Abwägung im Sinne des schonendsten Ausgleichs als geeignet, erforderlich und angemessen erweisen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24.9.20034) – 2 BvR 1436/02 – BVerfGE 108, 282/297; Beschluss vom 28.3.2002 – 2 BvR 307/01 – NJW 2002, 2227/2228; BVerwG, Urteil vom 21.12.2000 – 3 C 20.00 – BVerwGE 112, 314/318). Diese Anforderungen sind hier aus mehreren Gründen nicht erfüllt. Zwar lässt sich der mit dem Verlangen nach einer Schutzerklärung verfolgte Zweck, einer als verfassungsfeindlich angesehenen Organisation möglichst keinen Imagegewinn zu verschaffen und dadurch die Verfassung zu schützen, der im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie (BVerfG, Beschluss vom 16.12.2020 – 2 BvE 4/18 – NVwZ 2021, 628 Rn. 104 m.w.N.) und damit einem Gemeinschaftswert von Verfassungsrang zuordnen, der grundsätzlich auch Beschränkungen der Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu rechtfertigen vermag. Eine Gemeinde kann dieses verfassungsrechtliche Schutzgut aber nicht allein unter Berufung auf ihr Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber einzelnen Grundrechtsträgern zur Geltung bringen. Für gezielte Eingriffe in eine von Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Grundrechtsposition bedarf es wegen des für wesentliche Entscheidungen geltenden Parlamentsvorbehalts regelmäßig einer formell-gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerwG, Urteil vom 4.7.2019 – 3 C 24.17 – BVerwGE 166, 125 Rn. 9; Germann, a.a.O., Rn. 49 ff.; s. auch Urteil vom 16.10.2013 – 8 CN 1.12 – BVerwGE 148, 133 Rn. 23 ff. zu Art. 12 GG). Da eine solche spezielle Befugnisnorm unstreitig nicht besteht, muss es der Beklagten schon aus diesem Grund verwehrt bleiben, gegen einzelne Anhänger der Scientology- Lehre in eingriffsrelevanter Weise vorzugehen.“

Der Ausschluss einzelner Personen von einer Umweltprämie lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass sonst das Ansehen einer als verfassungsfeindlich geltenden Organisation erhöht würde

Die von der Beklagten vorgetragenen Gründe überzeugen den Senat nicht: „Unabhängig davon erweist sich der an eine bestimmte Religion bzw. Weltanschauung anknüpfende Ausschluss aus dem kommunalen Förderprogramm auch als unverhältnismäßig. Die generelle Ablehnung der Anträge von Personen, die der Scientology- Organisation angehören oder ihr nahestehen, dürfte bereits nicht geeignet sein, das damit verfolgte Ziel zu erreichen. Für die Annahme, eine Gewährung der Umweltprämie an diesen Empfängerkreis werde dazu führen, dass sich das öffentliche Ansehen der Scientology-Organisation verbessere und bisher bestehende Zweifel an deren Verfassungskonformität zerstreut würden, bestehen keine tatsächlichen Anhaltspunkte; auch die Beklagte hat dazu nichts vorgetragen. Die auf der Förderrichtlinie Elektromobilität beruhenden Zuschüsse zum Erwerb elektrisch betriebener Fahrzeuge sollen zur Verminderung von Schadstoff- und Lärmemissionen im Stadtgebiet beitragen. Allein unter diesem Aspekt werden auch die entsprechenden Verwaltungsentscheidungen in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Die Bewilligung des Förderantrags eines Gewerbetreibenden oder einer freiberuflich tätigen Person kann daher nach ihrem objektiven Aussagegehalt nicht zugleich als (positive) amtliche Bewertung einer Vereinigung verstanden werden, der sich der betreffende Antragsteller in ganz anderem Zusammenhang zugehörig fühlt. Dass schon die Teilhabe von Anhängern der Scientology-Lehre an dem kommunalen Umwelt-Förderprogramm eine spürbare Aufwertung der als verfassungsfeindlich geltenden Scientology-Organisation zur Folge haben könnte, erscheint demnach als sachlich nicht nachvollziehbar.

Die auf der Förderrichtlinie (Nr. 6.5) beruhende Verpflichtung der Zuwendungsempfänger, auf dem Förderobjekt für einen Zeitraum von drei Jahren einen Aufkleber anzubringen, der den Zuwendungsgeber nennt (,gefördert von der Landeshauptstadt München, Referat für Gesundheit und Umwelt, München emobil‘), führt zu keinem anderen Ergebnis. Allein der Umstand, dass ein erkennbar von der Beklagten gefördertes Fahrzeug jemandem gehört, der als Scientology-Anhänger bekannt ist oder auftritt, lässt in der Öffentlichkeit noch nicht den Eindruck entstehen, die Scientology-Lehre sei im Rahmen des Förderverfahrens mitgeprüft und als verfassungsrechtlich unbedenklich eingeschätzt worden. Es dürfte im Gegenteil der allgemeinen Erwartung (wie auch der sonstigen Verwaltungspraxis) entsprechen, dass dem Umweltschutz dienende Zuschüsse gänzlich unabhängig von der (möglicherweise verfassungsfeindlichen) religiösen oder weltanschaulichen Grundeinstellung des Empfängers oder von seiner etwaigen Zugehörigkeit zu einer verfassungsfeindlichen Organisation gewährt werden. Soweit es der Beklagten erklärtermaßen darum geht, allgemein und somit auch im Förderkontext in keiner Weise mit der Scientology-Organisation oder deren Anhängern ,in Verbindung gebracht‘ zu werden, liegt in diesem Distanzierungswunsch schon kein verfassungslegitimer Zweck, der eine Einschränkung der Religions- oder Weltanschauungsfreiheit rechtfertigen könnte. Sollte die Beklagte das (unausgesprochene) Ziel verfolgen, die geförderten Fahrzeuge, solange sich die städtischen Aufkleber darauf befinden, von privaten Werbebotschaften insbesondere religiöser oder weltanschaulicher Art freizuhalten, bestünden gegen eine solche Konkretisierung des Förderzwecks zwar im Hinblick auf die staatliche Neutralitätspflicht keine prinzipiellen Einwände (vgl. SächsOVG, Urteil vom 14.10.2020 – 4 C 11/18 – juris Rn. 40 m.w.N.). Auch damit ließe sich jedoch der gezielte Ausschluss von Scientology-Anhängern nicht rechtfertigen, da dieser Grundrechtseingriff zur Zweckerreichung nicht erforderlich wäre. Als milderes Mittel könnte die Beklagte im Wege einer Nebenbestimmung die Empfänger der Förderung verpflichten, die erkennbar mithilfe öffentlicher Fördermittel erworbenen Fahrzeuge nicht als Werbeträger einzusetzen, um ihre persönlichen Überzeugungen zu propagieren. Ein nennenswerter zusätzlicher Kontrollaufwand wäre damit nicht verbunden, da bereits der dauerhafte Verbleib des städtischen Aufklebers auf den Förderobjekten fortlaufend kontrolliert werden müsste.“

Fehlen Anhaltspunkte für ein künftiges rechtswidriges Verhalten der betreffenden Person, ist ein Eingriff in deren Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit nicht angemessen

Die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung fällt zugunsten des Grundrechts aus: „Unabhängig von der fehlenden Eignung und Erforderlichkeit erweist sich der im generellen Förderausschluss von Scientology-Anhängern liegende Eingriff in die Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit jedenfalls als außer Verhältnis stehend zu der damit erstrebten Schutzwirkung zugunsten der Verfassung. Ob und in welchem Maß die freiheitliche demokratische Grundordnung durch eine verfassungsfeindlich eingestellte Organisation gefährdet wird, hängt entscheidend von deren Aktivitäten ab und allenfalls am Rande davon, inwieweit das behördliche Verdikt der Verfassungsfeindlichkeit in der Bevölkerung bekannt ist und geteilt wird. Grundrechtseingriffe gegenüber den Anhängern solcher Gruppierungen sind daher nur angemessen zur Aufdeckung, Unterbindung oder Verhütung spezifisch verfassungsgefährdender Handlungen und nicht allein zu dem Zweck, gegenüber der Öffentlichkeit die Verfassungsfeindlichkeit der Organisation demonstrativ zum Ausdruck zu bringen (vgl. dazu VGH BW, Urteil vom 15.10.1996 – 10 S 176/96 – NJW 1997, 754/755 f.). Dass von jenen Personen, die der Scientology-Lehre nahestehen oder einer entsprechenden Organisation angehören, aufgrund des bloßen Besitzes eines (öffentlich geförderten) Elektrofahrzeugs ein konkret gegen die Verfassung gerichtetes Handeln zu befürchten wäre, macht die Beklagte nicht geltend und ist nach den Umständen nicht ersichtlich. Auch sonst deutet bei der Klägerin nichts auf ein künftiges rechtswidriges Verhalten hin, das ihrem Förderanspruch entgegenstehen könnte (vgl. dazu SaarlOVG, Beschluss vom 28.5.2018 – 2 A 480/17 – NVwZ-RR 2019, 219/220). Mit der Ablehnung des Förderantrags verfolgt die Beklagte demnach allein die Absicht, eine – anderenfalls für möglich gehaltene – Imageverbesserung der Scientology- Organisation zu verhindern. Dieses allgemeine Anliegen, das sich weit unterhalb der Schwelle zu einer konkreten Gefahr bewegt, hat indes kein so hohes Gewicht, dass es den Eingriff in das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG rechtfertigen könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.1.2015 – 1 BvR 471/10 – BVerfGE 138, 296 Rn. 101 ff.).“

Der Ausschluss von Scientology-Anhängern aus einem Förderprogramm ist eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung

Diesen weiteren Grundrechtsverstoß begründet das Gericht wie folgt: „Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln; er gilt für ungleiche Belastungen ebenso wie für ungleiche Begünstigungen (BVerfG, Beschluss vom 7.2.2012 – 1 BvL 14/07 – BVerfGE 130, 240 Rn. 40 m.w.N.). Differenzierungen bedürfen danach stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind.…Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit besteht zwar für die Abgrenzung der begünstigten Personenkreise grundsätzlich ein weiter Gestaltungsspielraum (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6.7.2004 – 1 BvR 2515/95 – BVerfGE 111, 176/184 m.w.N.). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aber aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben; zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (BVerfG, Beschluss vom 7.2.2012 – 1 BvL 14/07 – BVerfGE 130, 240 Rn. 42 m.w.N.). Hiernach müssen die gleichheitsrechtlichen Anforderungen an einen gezielten Ausschluss von Scientology-Anhängern von der kommunalen Umweltprämie schon deshalb über ein bloßes Willkürverbot hinausgehen, weil damit das Grundrecht des Art. 4Abs. 1GGberührt ist. Eine Verschärfung der verfassungsrechtlichen Anforderungen folgt zudem daraus, dass mit der Religion bzw. Weltanschauung an ein Merkmal angeknüpft wird, das den antragstellenden Personen nicht beliebig verfügbar ist und das dem strengen Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG unterliegt (vgl. Langenfeld in Maunz/Dürig, GG, Stand Oktober 2020, Art. 3 Abs. 3 Rn. 61 m.w.N.). Im Anwendungsbereich dieser Verfassungsnorm sind Differenzierungen nur dann zulässig, wenn sie zur Lösung von Problemen notwendig sind, die ihrer Natur nach allein bei Personen der einen Gruppe auftreten können (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 2 BvR 524/01 – BVerfGE 114, 357/364), oder wenn in dem Differenzierungskriterium gerade das konstituierende Element des zu regelnden Lebenssachverhalts liegt (BVerfG, Beschluss vom 17.10.1957 – 1 BvL 1/57 – BVerfGE 7, 155/171; Langenfeld, a.a.O., Rn. 72). Beim Vollzug der Förderrichtlinie Elektromobilität ist keine dieser Ausnahmekonstellationen gegeben. Der Ausschluss von Antragstellern, die sich zu einer als verfassungswidrig geltenden Religion oder Weltanschauung bekennen, löst nicht ein speziell auf dieser Zugehörigkeit beruhendes Problem und bildet auch nicht den eigentlichen Kern des von der Beklagten aufgelegten Umweltprogramms. Aus Sicht dermit der Richtlinie verfolgten umweltspezifischen Förderziele bestehen zwischen Antragstellern, deren Einstellung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (mutmaßlich) widerspricht, und solchen, bei denen keine derartigen Bedenken bestehen, keine relevanten Unterschiede, die eine differenzierende Bewilligungspraxis rechtfertigen könnten. Das Anliegen des Umweltschutzes steht mit dem des Verfassungsschutzes in keinem oder jedenfalls nicht in einem so engen inneren Zusammenhang, dass sich daraus bei der Festlegung des Empfängerkreises ein hinreichend gewichtiger Unterscheidungsgesichtspunkt ergeben könnte.“

Im Ausschluss allein der Scientology-Anhänger bzw. -Mitglieder liegt ein Gleichheitsverstoß auch im Verhältnis zu den Angehörigen anderer, ebenfalls als verfassungsfeindlich geltender Organisationen

In diesem Zusammenhang befasst sich das Gericht mit der seit Langem üblichen Praxis bei der Vergabe staatlicher Aufträge: „Die Ablehnung der Förderanträge bei fehlender Unterschrift unter die ,Schutzerklärung‘ verstößt auch deshalb gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, weil damit die Anhänger bzw. Mitglieder nur einer von mehreren im Verfassungsschutzbericht aufgeführten Organisationen von der Zuwendung ausgeschlossen werden. Ein sachlicher Grund für diese Diskriminierung der unter dem Einfluss von Scientology stehenden Personen gegenüber den Angehörigen anderer als verfassungsfeindlich angesehener Organisationen ist nicht ersichtlich. Die Beklagte kann sich insoweit nicht auf die allein die Scientology-Organisation betreffende Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung vom 29.10.1996 Nr. 476-2-151 (AllMBl S. 701) über die Verwendung von Schutzerklärungen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen berufen. Diese bis heute geltende staatliche Richtlinie, deren entsprechende Anwendung den Kommunen ausdrücklich empfohlen wird (Nr. 4), geht von der Annahme aus, dass ein nach der Technologie von L. Ron Hubbard geführtes Unternehmen als Bestandteil der Gesamtorganisation Scientology zu betrachten sei und damit die Verpflichtung übernehme, die Ideologie von Scientology in der Gesellschaft als allgemeines Gedankengut zu etablieren. Dadurch drohe bei Geschäftskontakten auch öffentlichen Stellen eine Infiltration und Ausforschung durch Scientology.

Um dieser Gefahr wirksam begegnen zu können, sei bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge von den Auftragnehmern in bestimmten Vertragsverhältnissen (Unternehmensberatung; Personal und Managementschulung; Fortbildungs- und Vortragsveranstaltungen; Softwareberatung, -entwicklung und -pflege; Projektentwicklung und -steuerung; Forschungs- und Untersuchungsaufträge) eine in der Anlage als Muster beigefügte Schutzerklärung für den Fall der Zuschlagserteilung zu verlangen. Ob die dieser Bekanntmachung zugrundeliegende spezielle Gefahrenprognose – auch nach heutigen Erkenntnissen – so weit gesichert ist, dass sie den Ausschluss (allein) solcher Bewerber rechtfertigt, die der Scientology- Organisation oder deren Lehre nahestehen, bedarf vorliegend keiner Prüfung. Die danach geforderte Schutzerklärung betrifft jedenfalls ausschließlich das öffentliche Auftragswesen und bezieht sich nur auf externe Dienstleistungen in besonders sensiblen Bereichen der Verwaltung, in denen die Gefahr einer verdeckten Einflussnahme oder einer unzulässigen Informationsgewinnung besteht. Die für den Erlass der staatlichen Regelung maßgebliche Einschätzung einer erhöhten Schutzbedürftigkeit innerbehördlicher Vorgänge bei bestimmten Dienstleistungsaufträgen lässt sich auf die Gewährung von Zuschüssen an Private zum Erwerb elektrisch betriebener Fortbewegungsmittel nicht übertragen. Das durch die Antragstellung gemäß der Förderrichtlinie begründete, auf den Erlass eines Förderbescheids gerichtete Verwaltungsrechtsverhältnis wird weitgehend schriftlich geführt und bietet im Unterschied zu den in der Bekanntmachung aufgeführten Dienstleistungsaufträgen typischerweise keine Möglichkeit, verwaltungsinterne Abläufe auszuspähen oder auf Verwaltungsmitarbeiter indoktrinierend einzuwirken. Selbst wenn der Scientology-Organisation hieran ein ungleich stärkeres Interesse als anderen in den Verfassungsschutzberichten genannten Vereinigungen nachzuweisen wäre, könnten ihre Anhänger bzw. Mitglieder daher in diesem Bereich der Förderverwaltung nicht von vornherein aus dem Kreis der möglichen Antragsteller ausgeschlossen werden.“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 16.6.2021 – 4 B 20.3008

Aus der FstBy 2021, Heft 22 Rn. 247.