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Verlust des Anspruchs auf einfachste Behandlungspflege

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Versicherte verlieren ihren Anspruch auf einfachste Behandlungspflege gegen die Krankenkasse nicht dadurch, dass sie ihre Versorgung mit häuslicher Pflege gemeinschaftlich mit anderen Pflegebedürftigen organisiert haben. BSG, Urt. v. 26.3.2021 – B 3 KR 14/19 R –.

I. Im Streit stehen Kosten für häusliche Krankenpflege (HKP) in Form der Medikamentengabe in einer ambulant betreuten Wohngruppe vom 1.2. bis 31.3.2019. Die 1932 geborene, seit 2000 unter Betreuung stehende und während des Revisionsverfahrens verstorbene Versicherte war bei der beklagten Krankenkasse und der beigeladenen Pflegekasse versichert. Sie litt unter anderem an Demenz, essenzieller Hypertonie und Diabetes mellitus mit multiplen Komplikationen sowie einem Tremor. Nach einem Pflegegutachten der Beigeladenen war sie Analphabetin und seit ihrer Geburt etwas debil. Seit März 2015 lebte die Versicherte mit elf weiteren pflegebedürftigen Personen aufgrund gesonderter Mietverträge in einer anerkannten ambulant betreuten Wohngemeinschaft nach dem Bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetz. Die Bewohner beauftragten gemeinschaftlich eine Person mit organisatorischen, verwaltenden, betreuenden und das Gemeinschaftsleben fördernden Aufgaben. Sie wählten zudem entsprechend ihrer Gremiumsvereinbarung ebenfalls gemeinschaftlich Dienstleister für hauswirtschaftliche Aufgaben und Leistungen der psychosozialen Betreuung und Begleitung aus. Die Betreuungsleistungen erfolgten im Rahmen einer 24-stündigen Anwesenheit eines Mitarbeiters des Pflegedienstes in der Wohngemeinschaft, wofür die Versicherte eine Betreuungspauschale von 680 Euro monatlich zu leisten hatte. Die Versicherte selbst beauftragte den Pflegedienst auch mit ihrer pflegerischen Versorgung. Von der Beigeladenen erhielt sie Sachleistungen bei häuslicher Pflege nach § 36 SGB XI bis zur Höchstgrenze, zuletzt nach dem Pflegegrad 3, den Entlastungsbetrag für Pflegebedürftige in häuslicher Pflege nach § 45b SGB XI sowie den Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI. Auf eine ärztliche Folgeverordnung über HKP in Form von täglich drei Medikamentengaben bewilligte die Beklagte für die streitige Zeit nur das Richten der Medikamente in einem Wochendispenser. Die verordneten Leistungen rechneten zur einfachsten Behandlungspflege und seien durch das in der ambulant betreuten Wohngemeinschaft präsente Personal unentgeltlich zu erbringen (Bescheid v. 25.1.2019; Widerspruchsbescheid v. 22.3.2019). Die Rechnungen des durch die Versicherte mit der verordneten Medikamentengabe beauftragten Pflegedienstes für die streitige Zeit i.H. von insgesamt 633,66 Euro sind noch offen. Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, die Versicherte von den Kosten für HKP vom 1.2. bis 31.3.2019 i.H.v. 633,66 Euro freizustellen (Urt. v. 18.6.2019). Das LSG hat die vom SG zugelassene Berufung zurückgewiesen (Urt. v. 20.8.2019): Die Versicherte habe Anspruch auf Freistellung von den Kosten der Medikamentengabe auch in der ambulant betreuten Wohngruppe. Diese sei ein geeigneter Ort i.S.v. § 37 Abs. 2 SGB V und dem Freistellungsbegehren stehe kein vorrangiger gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf Hilfe bei der Einnahme der Medikamente gegen in der Wohngruppe tätige Personen oder Dienste entgegen. Insbesondere seien behandlungspflegerische Maßnahmen nach § 37 SGB V vom Leistungsinhalt des Betreuungsvertrags rechtswirksam ausgeschlossen. Die Beklagte rügt mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision die Verletzung von § 37 Abs. 2 SGB V. Ein Anspruch zulasten der gesetzlichen KV habe nicht bestanden. Die Maßstäbe des BSG für HKP in Einrichtungen der Eingliederungshilfe, nach denen diese zur Erbringung einfachster Maßnahmen der Behandlungspflege selbst verpflichtet seien, würden auch für neue Wohnformen wie ambulant betreute Wohngruppen gelten, die – wie hier – einem stationären Setting mit Rundumversorgung entsprächen. Hierzu stehe die Auffassung des LSG von einem rechtswirksamen Ausschluss behandlungspflegerischer Maßnahmen vom Leistungsinhalt des Betreuungsvertrags in Widerspruch.

II. Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG entschieden, dass die Versicherte von der Beklagten in der ambulant betreuten Wohngruppe Leistungen für eine dreimal tägliche Medikamentengabe selbst als einfachste Maßnahme der HKP beanspruchen konnte und von den Kosten dieser Versorgung freizustellen war.

  1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Urteile, durch die die Beklagte zur Leistung verurteilt worden ist und deren Aufhebung sie begehrt, sowie der Bescheid der Beklagten vom 25.1.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.3.2019, durch die sie die vom 1.2. bis 31.3.2019 begehrten Leistungen der Medikamentengabe abgelehnt hatte. Gegen diese Bescheide wandte sich die verstorbene Versicherte zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG), gerichtet auf Änderung der angefochtenen Bescheide, weil die Beklagte durch diese für die streitige Zeit statt der beantragten Medikamentengabe das Richten von Medikamenten in einem Wochendispenser bewilligt hatte. Auf die Freistellung von darüber hinausgehenden Kosten für die erbrachte Medikamentengabe haben die Beteiligten den Streitgegenstand im Revisionsverfahren übereinstimmend begrenzt.
  2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Durch den Tod der Versicherten im Revisionsverfahren ist eine Unterbrechung des Verfahrens nicht eingetreten, da sie durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 246 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO).
  3. Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Freistellung von Kosten für HKP ist vorliegend § 37 Abs. 4 Alt. 1 SGB V (hier § 37 SGB V i.d.F. des Pflegepersonal- Stärkungsgesetzes v. 11.12.2018, BGBl. I S. 2394). Danach sind den Versicherten die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten, wenn die Krankenkasse keine Kraft für die HKP stellen kann. Dies setzt voraus, dass der Versicherte einen Antrag auf die Sachleistung an die Krankenkasse gerichtet und diese einen Anspruch auf HKP grundsätzlich anerkannt hat. Sind die weiteren Voraussetzungen des § 37 Abs. 4 Alt. 1 SGB V erfüllt, wandelt sich der die HKP betreffende Sachleistungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch um. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 37 Abs. 4 Alt. 1 SGB V einschließlich der Angemessenheit der entstandenen Kosten hat das LSG – vorbehaltlich des Bestehens eines Sachleistungsanspruchs – zutreffend auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen bejaht. Über den ausdrücklich geregelten Kostenerstattungsanspruch hinaus ist § 37 Abs. 4 Alt. 1 SGB V auch auf Fälle der – wie hier – Kostenfreistellung anzuwenden (vgl. zur Ergänzung eines Erstattungs- durch einen Freistellungsanspruch BSG v. 18.6.2020 – B 3 KR 14/18 R – Breith. 2021, 375 = SozR 4-2500 § 13 Nr. 52, RdNr. 25).
  4. Der Kostenfreistellungsanspruch nach § 37 Abs. 4 Alt. 1 SGB V reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch und setzt voraus, dass die selbstbeschaffte HKP zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat (vgl. z.B. BSG, Urt. v. 30.11.2017 – B 3 KR 11/16 R – Breith. 2018, 892 = SozR 4-2500 § 37 Nr. 15, RdNr. 15). Rechtsgrundlage für den Sachleistungsanspruch ist hier § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als HKP Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Behandlungssicherungspflege). Nach § 37 Abs. 3 SGB V besteht der Anspruch auf HKP nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Nach § 37 Abs. 6 SGB V legt der GBA in Richtlinien nach § 92 SGB V u.a. fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach § 37 Abs. 2 SGB V auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können (hier HKP-RL i.d.F. v. 17.9.2009, geändert am 20.9.2018 m.W.v. 1.12.2018, BAnz. AT 30.11.2018 B4, und am 17.1.2019 m.W.v. 22.2.2019, BAnz. AT 21.2.2019 B2). Diese Regelungen für den Anspruch auf Behandlungssicherungspflege hat der Senat dahin konkretisiert, dass der Anspruch zunächst an allen geeigneten Orten besteht, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält, wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist. Einschränkungen in Bezug auf den Aufenthaltsort ergeben sich aus der Geeignetheit der räumlichen Verhältnisse und für die Zeit des Aufenthalts in Einrichtungen nur dann, wenn nach den gesetzlichen Bestimmungen Anspruch auf die Erbringung von Behandlungspflege durch die Einrichtung besteht (BSG, Urt. v. 30.11.2017 – B 3 KR 11/16 R – Breith. 2018, 892 = SozR 4-2500 § 37 Nr. 15, RdNr. 25; zuletzt BSG, Urt. v. 7.5.2020 – B 3 KR 4/19 R – Juris, RdNr. 19).
  5. Hiernach lebte die Versicherte in der streitigen Zeit an einem für die Leistung von HKP nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V geeigneten Ort. Nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG), die dieses auch rechtlich zutreffend gewürdigt hat, lebte die Versicherte in einer ambulant betreuten Wohngruppe nach § 38a SGB XI (zu den rechtlichen Maßstäben hierfür BSG, Urt. v. 10.9.2020 – B 3 P 1/20 R – SozR 4-3300 § 38a Nr. 3; BSG, Urt. v. 10.9.2020 – B 3 P 2/19 R – Breith. 2021, 361 = SozR 4-3300 § 38a Nr. 4; BSG, Urt. v. 10.9.2020 – B 3 P 3/19 R – SozR 4-3300 § 38a Nr. 5). Sie hatte in dieser – was hier zu Recht allein im Streit steht – keinen von der Erteilung entsprechender Einzelaufträge unabhängigen vertraglichen Anspruch auf die Erbringung von Medikamentengabe als einfachster Behandlungspflege durch in der Wohngruppe tätige Personen oder Dienste (dazu 6.). Dies steht mit den gesetzlichen Bestimmungen im Einklang (dazu 7.). Eine Umgehung der Abgrenzung von ambulanter und stationärer pflegerischer Versorgung liegt hierin nicht (dazu 8.).
  6. Einen vertraglichen Anspruch hat das LSG frei von Rechtsfehlern ausgeschlossen, weil weder der Mietvertrag noch die Verträge der Bewohner untereinander (Gremiumsvereinbarung) oder mit von ihnen beauftragten Personen und Diensten (Präsenzkraftvereinbarung, Betreuungsvertrag, Pflegevertrag) der Versicherten Anspruch darauf vermittelten, durch eine der in der Wohngruppe anwesenden oder für deren Mitglieder tätigen Personen oder Dienste dreimal täglich die notwendige Hilfe bei der Einnahme ihrer Medikamente zu erhalten, ohne dass es dazu eines gesonderten Auftrags durch sie selbst an einen Dienstleister bedurft hätte. Dass das LSG bei seiner Auslegung der von ihm festgestellten von der Versicherten geschlossenen Verträge und insbesondere des Betreuungsvertrags revisionsrechtlich zu beachtende Grenzen der Vertragsauslegung verkannt haben könnte, macht die Beklagte nicht geltend. Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Würdigung sogenannter nicht typischer Verträge durch das Tatsachengericht ist darauf beschränkt, ob dieses Gericht Bundesrecht (§ 162 SGG) verletzt hat, also insbesondere die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) nicht beachtet oder gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. näher zu den Maßstäben BSG, Urt. v. 5.3.2014 – B 12 KR 22/12 R – SozR 4-2500 § 229 Nr. 17, RdNr. 25; BSG, Urt. v. 25.10.2016 – B 1 KR 6/16 R – SozR 4-2500 § 109 Nr. 59, RdNr. 19 f.). Das ist vorliegend nicht ersichtlich (vgl. zur Beanstandung einer Vertragsauslegung BSG, Urt. v. 28.5.2003 – B 3 KR 32/02 R – SozR 4-2500 § 37 Nr. 2). Ein Anspruch lässt sich insbesondere nicht den Bestimmungen des vom LSG festgestellten und ausgelegten Betreuungsvertrags der Versicherten mit dem gemeinschaftlich von den Bewohnern ausgewählten Pflegedienst entnehmen, bei dem es sich nicht um einen typischen Formularvertrag handelt. Nach der Würdigung des LSG sieht der Vertrag zwar die ständige Anwesenheit eines Mitarbeiters des Pflegedienstes in der Wohngruppe vor, beschränkt den Leistungsumfang indes auf Leistungen der psychosozialen Betreuung und Begleitung nach dem SGB XI gegen eine monatliche Betreuungspauschale von 680 Euro und schließt die Erbringung von Leistungen der HKP nach dem SGB V vom Leistungsumfang aus. Nach den Feststellungen des LSG sind Ansprüche auf HKP-Leistungen ersichtlich nicht Regelungsgegenstand des Mietvertrags der Versicherten. Von vornherein nicht richten können sich solche Ansprüche gegen die von den Bewohnern gemeinschaftlich beauftragte Person nach § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XI, die gesetzlich vorgegeben nur mit Tätigkeiten unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung beauftragt werden darf. Der Pflegevertrag beinhaltet nach seinem festgestellten Inhalt nur Leistungen der ambulanten Pflege nach §§ 36, 38 SGB XI.
  7. Gesetzliche Grenzen der möglichen Gestaltung des Leistungsgeschehens in ambulant betreuten Wohngruppen verletzen diese Verträge nicht. Versicherte verlieren ihren Anspruch auf einfachste Behandlungspflege gegen die Krankenkasse nicht dadurch, dass sie ihre Versorgung mit häuslicher Pflege gemeinschaftlich mit anderen Pflegebedürftigen organisiert haben.

    a) Auf die Erbringung einfachster Behandlungspflege besteht in einer ambulant betreuten Wohngruppe (§ 38a SGB XI) kein Anspruch aufgrund gesetzlicher Bestimmungen gegen in ihr tätige Personen oder Dienste. Weder die Regelungen des SGB V zur Erbringung von HKP noch die des SGB XI zur Erbringung von Leistungen bei häuslicher Pflege und zur gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung in einer ambulant betreuten Wohngruppe sehen vor, dass in einer Wohngruppe nach dem SGB XI der Anspruch auf HKP nach dem SGB V ausgeschlossen oder auch nur beschränkt ist. Nach der Zuständigkeitsabgrenzung zwischen gesetzlicher KV und sozialer Pflegeversicherung bei ambulanter pflegerischer Versorgung können Versicherte vielmehr Leistungen der Behandlungspflege als HKP einschließlich der einfachsten Maßnahmen zulasten der gesetzlichen KV auch dann beanspruchen, wenn sie zugleich ambulante Pflegeleistungen im Rahmen der sozialen Pflegeversicherung beziehen. Das hat der Gesetzgeber bei Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zum 1.1.2017 durch die Neufassung von § 13 Abs. 2 SGB XI ausdrücklich bekräftigt (Art. 2 Nr. 6 des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes v. 21.12.2015, BGBl. I S. 2424). Danach bleiben die Leistungen nach dem SGB V einschließlich der Leistungen der HKP nach § 37 SGB V unberührt und es gilt dies auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, soweit diese im Rahmen der HKP nach § 37 SGB V zu leisten sind. Zu einem Zusammentreffen von Leistungen der Krankenkasse zur Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V mit Leistungen der Pflegekasse bei häuslicher Pflege kann es danach regelhaft nicht kommen; diese Leistungen sind grundsätzlich nicht deckungsgleich (vgl. zum Verhältnis von HKP nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V zur häuslichen Pflegehilfe nach § 36 SGB XI Kruse in: LPK-SGB XI, 5. Aufl. 2018, § 13 RdNr. 12; Luik in: jurisPKSGB XI, 2. Aufl. 2017, § 13 RdNr. 52, 86, 92, Stand: 27.7.2020; Udsching in: Udsching/Schütze, SGB XI, 5. Aufl. 2018, § 13 RdNr. 8, dort auch RdNr. 9a zur Sonderlage der Intensivpflege m.w.N. zur Rspr. des Senats).

    b) Das gilt auch, soweit in die Pflegebegutachtung seit 1.1.2017 nach § 15 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a SGB XI die Bewältigung von und der selbstständige Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen in Bezug u.a. auf Medikation eingehen sollen (sog. Modul 5). Dass in die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit insoweit Beeinträchtigungen einfließen, deren Kompensation Leistungen der HKP wie die Medikamentengabe dienen, lässt die gesetzliche Zuständigkeitsabgrenzung zwischen gesetzlicher KV und sozialer Pflegeversicherung bei ambulanter pflegerischer Versorgung unberührt und führt zu keinen Leistungsverschiebungen zwischen beiden Leistungssystemen. Dies zeigt zum einen § 15 Abs. 5 SGB XI. Danach sind bei der Pflegebegutachtung auch solche Kriterien zu berücksichtigen, die zu einem Hilfebedarf führen, für den Leistungen des SGB V vorgesehen sind, und es gilt dies auch für krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, d.h. Maßnahmen der Behandlungspflege, bei denen der behandlungspflegerische Hilfebedarf aus medizinisch-pflegerischen Gründen regelmäßig und auf Dauer untrennbarer Bestandteil einer pflegerischen Maßnahme in den in § 14 Abs. 2 SGB XI genannten sechs Bereichen ist oder mit einer solchen notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht. Zum anderen ist es ausweislich der Gesetzesmaterialien zum PSG II Teil der gesetzlichen Regelungskonzeption, dass der Bereich Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen Kriterien erfasst, die dem Themenkreis der selbstständigen Krankheitsbewältigung zuzuordnen sind, und dass es hierbei ausdrücklich nicht darum geht, den Bedarf an Maßnahmen der HKP nach dem SGB V einzuschätzen. Insoweit gilt § 13 Abs. 2 SGB XI, d.h. diese Leistungen werden auch weiterhin in der häuslichen Versorgung von der gesetzlichen KV erbracht und in der vollstationären Versorgung nach § 43 SGB XI von der sozialen Pflegeversicherung (BT-Drucks. 18/5926 S. 110, 114). Dass also Hilfebedarfe, für die Leistungen der HKP nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgesehen sind, in die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit einfließen, führt nicht zugleich dazu, dass diese Bedarfe durch Leistungen der sozialen Pflegeversicherung zu decken sind. Die Einbeziehung dieses Aspekts in die Bewertung von Pflegebedürftigkeit berührt nicht die Leistungspflicht der gesetzlichen KV für Maßnahmen der HKP und lässt den Vorrang der gesetzlichen KV nach § 13 Abs. 2 SGB XI uneingeschränkt bestehen (Udsching in: Udsching/Schütze, SGB XI, 5. Aufl. 2018, § 14 RdNr. 18 und § 15 RdNr. 37; Udsching in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 36 SGB XI RdNr. 4). Das ist auch konsequent. Denn zum einen bezieht sich das Modul 5 weitgehend auf die eigenständige Durchführung und selbstständige Bewältigung krankheitsbezogener Arbeit durch die Betroffenen, womit häufig ein Hilfebedarf bei der Anleitung und Motivation oder Schulung, also an unterstützenden Betreuungsleistungen, verknüpft ist (BT-Drucks. 18/5926 S. 110). Solche pflegerischen Betreuungsmaßnahmen nach § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 SGB XI sind aber nicht deckungsgleich mit Maßnahmen der HKP nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V, die nach der HKP-RL erforderlich sind, wenn und weil die eigenständige Durchführung und selbstständige Bewältigung krankheitsbezogener Arbeit nicht (mehr) möglich ist, und durch die nicht unterstützende Hilfe zur Selbsthilfe geleistet wird, sondern mit der die Maßnahmen und Handlungen durch einen Dritten geleistet werden. Und zum anderen: Würde die Berücksichtigung von Beeinträchtigungen im Bereich des Moduls 5 bei der Ermittlung der Pflegebedürftigkeit zum Ausschluss von HKP nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V führen, müssten die Hilfebedarfe durch Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI gedeckt werden, die indes im Unterschied zu den Leistungen nach dem SGB V gedeckelt sind, oder durch selbstbeschaffte Leistungen der Betroffenen auf eigene Kosten. Die Ausweitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs sollte indes weder mit Leistungsverschiebungen zwischen der gesetzlichen KV und der sozialen Pflegeversicherung verbunden sein (BT-Drucks. 18/5926 S. 148 f.), noch sollte diese zu einer Schlechterstellung der Betroffenen führen (BT-Drucks. 18/5926 S. 82, 140 f., 144).

    c) Das ändert sich auch dann nicht, wenn mehrere Pflegeversicherte Leistungen der häuslichen Pflegehilfe gemeinsam in Anspruch nehmen. Diese Möglichkeit besteht seit 1.7.2008 zunächst nach § 36 Abs. 1 Satz 5 SGB XI (Art. 1 Nr. 17 Buchst. a des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes v. 28.5.2008, BGBl. I S. 874) und nunmehr § 36 Abs. 4 Satz 4 SGB XI explizit mit dem Ziel, bei ambulanter Versorgung durch das „Poolen“ von Leistungsansprüchen, d.h. den gemeinsamen Abruf von Pflege- und Betreuungsleistungen nach dem SGB XI, im Interesse der Pflegebedürftigen eine wirtschaftlichere Versorgung mit diesen Leistungen zu ermöglichen (BT-Drucks. 16/7439 S. 38, 54 f.). Im Ergebnis können hierdurch die ungedeckten Pflegekosten der Betroffenen geringer gehalten werden. Diesem Regelungsziel widerspricht es nicht, wenn Versicherte im Rahmen ihrer gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung die Inanspruchnahme gemeinsam abgerufener häuslicher Pflegehilfe vertraglich auf die Leistungszwecke des SGB XI beschränken und sich hinsichtlich der Behandlungspflege – auch der einfachsten Art – gegenseitig auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V verweisen. Anders ist das mit dem „Poolen“ verfolgte Ziel auch nicht zu verwirklichen. Mit einer monatlichen Betreuungspauschale von 680 Euro hätte die Versicherte nicht für sich allein die ständige Anwesenheit eines Mitarbeiters des Pflegedienstes sicherstellen können, dies bedurfte der gemeinschaftlichen Organisation und gemeinsamen Inanspruchnahme der Betreuungsleistungen mit anderen Pflegebedürftigen. Dieses „Poolen“ verlöre aber für die Pflegebedürftigen und den betreuenden Pflegedienst seinen Sinn, wenn dem Dienst die Erbringung auch individuell verschiedener einfachster Behandlungspflege gegenüber den einzelnen Pflegebedürftigen als Teil seiner Betreuungsaufgaben gegenüber der Gemeinschaft der Pflegebedürftigen zugewiesen wäre, und zwar nur deshalb, weil ein Mitarbeiter ständig anwesend ist und diese Behandlungspflegemaßnahmen faktisch womöglich erbringen könnte.

    d) Dem steht die Rspr. des Senats zum Anspruch auf die Erbringung von einfachsten Maßnahmen der Behandlungspflege durch Einrichtungen der Eingliederungshilfe nicht entgegen. Der Senat hat für Einrichtungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII (bis 31.12.2019; seit 1.1.2020 Neuregelung in Teil 2 des SGB IX) entschieden, dass diese ein geeigneter Ort für HKP-Leistungen nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V sein können, wenn die Einrichtung die Leistung nicht selbst schuldet. Einrichtungen schulden grundsätzlich selbst einfachste Maßnahmen der HKP, die für Versicherte in einem Haushalt praktisch von jedem erwachsenen Haushaltsangehörigen erbracht werden können (vgl. § 37 Abs. 3 SGB V). Diese gehören in der Regel als gesetzlicher Bestandteil der Eingliederungshilfe und aufgrund der nach den Vereinbarungen nach §§ 75 ff. SGB XII vorzuhaltenden sächlichen und personellen Ausstattung zu den Maßnahmen, die von der Einrichtung der Natur der Sache nach zu erbringen sind. HKP ist dann insoweit nicht erforderlich (BSG, Urt. v. 25.2.2015 – B 3 KR 11/14 R – BSGE 118, 122 = SozR 4-2500 § 37 Nr. 13). So liegt es hier bei der von Pflegebedürftigen gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung in einer ambulant betreuten Wohngruppe (§ 38a SGB XI) nach ihrer abweichenden gesetzlichen Regelungskonzeption nicht. Die Rspr. des Senats zur Erbringung von einfachster Behandlungspflege durch Einrichtungen der Eingliederungshilfe ist daher nicht auf ambulant betreute Wohngruppen übertragbar. 8. Die gesetzeskonforme vertragliche Gestaltung der Leistungserbringung in der Wohngruppe der Versicherten ist im Verhältnis zur Beklagten entgegen ihrem Vorbringen nicht deshalb unbeachtlich, weil die Versorgung der Pflegebedürftigen in der Wohngruppe hier ihrer Art nach als vollstationär zu qualifizieren wäre. In vollstationären Pflegeeinrichtungen nach § 71 Abs. 2 SGB XI sind HKPLeistungen zulasten der gesetzlichen KV grundsätzlich ausgeschlossen. Die Grenze zwischen ambulanter und stationärer Pflegeversorgung i.S.d. SGB XI verläuft für ambulant betreute Wohngruppen nach § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Halbsatz 1 SGB XI dort, wo ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen „Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Abs. 1 SGB XI für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen“. Abgrenzungsrelevant ist danach weniger die rechtliche und/oder personelle Gestaltung auf der Anbieterseite als der Umfang der den Pflegebedürftigen zu gewährleistenden Leistungen. Diese dürfen einem vollstationären Leistungsumfang entsprechen, aber nicht weitgehend entsprechen. Den Pflegebedürftigen müssen für ihre Ausgestaltung Wahlmöglichkeiten verblieben sein (vgl. dazu BSG, Urt. v. 10.9.2020 – B 3 P 2/19 R – SozR 4-3300 § 38a Nr. 4, RdNr. 29; BSG, Urt. v. 10.9.2020 – B 3 P 3/19 R – SozR 4-3300 § 38a Nr. 5, RdNr. 25). Dass die Versicherte auf eine i.S.d. § 38a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Halbs. 1 SGB XI weitgehend einer vollstationären pflegerischen Versorgung entsprechende Betreuung in der Wohngruppe verwiesen war und ihr Wahlmöglichkeiten nicht verblieben waren, ist nach den vom LSG festgestellten und in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgelegten Verträgen nicht zu erkennen. Dagegen spricht zudem, dass die Versicherte in der streitigen Zeit in einer nach dem Bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetz anerkannten ambulant betreuten Wohngemeinschaft lebte, in der sie Leistungen bei häuslicher Pflege einschließlich des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI von der Pflegekasse bezogen sowie Leistungen der HKP nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V von der Krankenkasse bewilligt erhalten hat, womit die Versorgung der Versicherten von der Beigeladenen wie von der Beklagten implizit als ambulant qualifiziert worden ist. 9. Soweit aus Sicht von Krankenkassen und Pflegekassen durch die Erbringung von HKP-Leistungen zulasten der gesetzlichen KV und Leistungen bei häuslicher Pflege zulasten der sozialen Pflegeversicherung gegenüber Versicherten in ambulant betreuten Wohngruppen die Gefahr von Überzahlungen der diese Leistungen erbringenden Dienste bestehen sollte, ist dieser durch die Ausgestaltung der entsprechenden Vergütungsvereinbarungen mit den ambulanten Diensten zu begegnen. Die Leistungsansprüche der Versicherten werden hiervon nicht berührt.

Entnommen aus Breithaupt 2/2022, S. 105, Rn. 13