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Abstellen von Mietfahrrädern im öffentlichen Straßenraum ist Sondernutzung

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Die Benutzung von Straßen über den Gemeingebrauch hinaus ist Sondernutzung. Das Abstellen von zu mietenden Fahrrädern im öffentlichen Straßenraum ist kein Gemeingebrauch, sondern Sondernutzung. Sie findet nicht vorwiegend zum Zwecke des Verkehrs, sondern zu anderen Zwecken statt. Diese Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) mit unten vermerktem (unanfechtbarem) Beschluss vom 20.11. 2020 getroffen.

Die Kommune hatte der Antragstellerin aufgegeben, ihre „komplette Leihfahrräderflotte“ aus dem öffentlichen Straßenraum zu entfernen. Das OVG hat diese Entscheidung als rechtmäßig anerkannt. In der Begründung des Beschlusses hat das Gericht zunächst zusammenfassend ausgeführt: „Die unter Ziffer 1. getroffene Anordnung, mit der der Antragstellerin aufgegeben worden ist, ihre komplette Leihfahrräderflotte‘ aus dem öffentlichen Straßenraum zu entfernen, findet ihre Rechtsgrundlage in § 22 Satz 1 StrWG NRW. Nach dieser Vorschrift kann die für die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis zuständige Behörde die Beendigung der ohne die erforderliche Erlaubnis erfolgenden Benutzung der Straße anordnen. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift sind nach summarischer Prüfung erfüllt. Das zum Zwecke der Vermietung stationsunabhängige Aufstellen der Fahrräder der Antragstellerin im öffentlichen Straßenraum wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als Sondernutzung zu werten sein; die Antragstellerin verfügt nicht über eine Sondernutzungserlaubnis.“ Im Einzelnen wird dann u.a. ausgeführt:

  1. Gemeingebrauch liegt nicht vor, wenn die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr benutzt wird. Dazu das OVG: „Sondernutzung ist gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW die Benutzung der Straßen über den Gemeingebrauch hinaus. Nach der Legaldefinition des Gemeingebrauchs in § 14 Abs. 1 Satz 1 StrWG NRW ist der Gebrauch der öffentlichen Straßen jedermann im Rahmen der Widmung und der verkehrsrechtlichen Vorschriften gestattet. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 StrWG liegt kein Gemeingebrauch vor, wenn die Straße nicht vorwiegend zu dem Verkehr benutzt wird, dem sie zu dienen bestimmt ist. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 StrWG NRW bleibt der – hier ohnehin nicht in Betracht kommende – Straßenanliegergebrauch nach § 14a StrWG NRW unberührt. Die Nutzung der Straße durch die Antragstellerin durch Abstellen ihrer unabhängig vom Standort zu mietenden Fahrräder ist kein Gemeingebrauch, sondern Sondernutzung. Denn sie findet nicht vorwiegend zum Zwecke des Verkehrs, sondern zu anderen Zwecken statt. Für die Beurteilung, ob das Abstellen von Fahrrädern zum Zwecke des Verkehrs oder überwiegend zu anderen Zwecken stattfindet, sind im Wesentlichen die Grundsätze heranzuziehen, wie sie von der Rechtsprechung für das Parken zugelassener Kraftfahrzeuge oder anderer Fahrzeuge entwickelt worden sind. Das Parken von Kraftfahrzeugen ist vorbehaltlich der in § 12 StVO normierten Verbote auf öffentlichen und dem Verkehr mit Kraftfahrzeugen gewidmeten Straßen zulässig. Für das Abstellen (Parken) von Fahrrädern finden grundsätzlich auch die in dieser Vorschrift getroffenen Regelungen Anwendung. Denn auch Fahrräder unterfallen dem Fahrzeugbegriff des § 2 StVO …“
  2. Die Straßenverkehrsordnung sieht für Kraftfahrzeuge und Fahrräder unterschiedliche Regelungen vor Das Gericht legt dar: „Allerdings gelten die in § 12 StVO getroffenen Regelungen für Fahrräder mit der Einschränkung, dass sich aus ihrem Wortlaut oder ihrem Sinn und Zweck nichts anderes ergibt. Aus diesem Grunde findet das sich für Kraftfahrzeuge aus § 12 Abs. 4 Satz 1, Abs. 4 a StVO grundsätzlich ergebende Verbot des Parkens auf Gehwegen für Fahrräder keine Anwendung, vielmehr dürfen diese – vorbehaltlich der Grundregel des § 1 Abs. 2 StVO – auf dem Gehweg geparkt oder abgestellt werden … Erfolgt das Parken allein oder überwiegend zu einem anderen Zweck als dem der späteren Wiederinbetriebnahme des Fahrzeugs, stellt es sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats als eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Sondernutzung der Straße dar. In einem solchen Fall wird das Fahrzeug zu einer auf die Straße aufgebrachten verkehrsfremden ,Sache‘, nicht anders als jeder beliebige sonstige körperliche Gegenstand. Derartige Vorgänge fallen bereits aus der Widmung zum Verkehr und damit aus dem einschlägigen Gemeingebrauch heraus, da sie nicht zum Verkehrsgeschehen … Ob ein Fahrzeug parkt oder überwiegend zu einem anderen Zweck abgestellt ist, bestimmt sich nur auf Grund einer objektiven Sichtweise, subjektive Vorstellungen und Motive des Fahrzeugführers oder Dritter sind grundsätzlich nicht von Belang … Für die straßenverkehrsrechtliche Zulässigkeit und damit für den Gemeingebrauch ist es ferner nicht maßgeblich, ob die Straße aus privaten oder geschäftlichen Gründen benutzt wird. Entscheidend ist allein, dass sie zum Zwecke des (fließenden oder vorübergehend ruhenden) Verkehrs benutzt wird …“
  3. Ein Verstoß gegen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung begründet nicht automatisch eine Sondernutzung Straße Im Beschluss heißt es dazu: „Ein Verstoß gegen Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung (etwa durch Parken eines Fahrzeugs auf dem Gehweg) begründet nicht automatisch eine Sondernutzung … Das Parken auf der öffentlichen Verkehrsfläche mit einem Verkaufswagen zum Zwecke des Handels … stellt regelmäßig einen verkehrsfremden Vorgang dar, denn ein solches Parken findet zu einem anderen Zweck als dem der späteren Wiederinbetriebnahme statt. Das Parken auf der öffentlichen Verkehrsfläche mit einer Kutsche zum Zwecke des Anbietens von (Beförderungs-)Leistungen geht über die bloße Verkehrsteilnahme (Teilnahme am ruhenden Verkehr) hinaus. Denn die Inanspruchnahme des Straßenraums dient nicht nur dem bloßen (Dauer-)Parken, sondern vorwiegend einem anderen Zweck, nämlich dem Anbieten einer Leistung in Form von Kutschfahrten …“
  4. Die für das Anbieten von Waren oder Leistungen entwickelten Grundsätze sind hier heranzuziehen Insoweit das OVG: „Für die Beurteilung, ob das Abstellen (Parken) der Mietfahrräder der Antragstellerin auf der öffentlichen Straßenfläche der Verkehrsteilnahme oder vorwiegend anderen Zwecken dient, sind darüber hinaus auch die betreffend das Anbieten von Waren oder Leistungen entwickelten Grundsätze mit anderen Mitteln als dem eines Fahrzeugs heranzuziehen. So stellen sich etwa das Anbieten von Waren auf der öffentlichen Verkehrsfläche mit einem Bauchladen … oder mit einem Automaten … oder das Aufstellen eines Altkleidersammelcontainers im öffentlichen Straßenraum zum Zwecke der Entgegennahme von Altkleidern … regelmäßig nicht mehr als Gemeingebrauch, sondern als Sondernutzung dar. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Nutzung des öffentlichen Straßenraums durch abgestellte Mietfahrräder in der von der Antragstellerin vorgenommenen Weise Sondernutzung. Dies ergibt sich daraus, dass nach der spezifischen Funktionsweise des von ihr betriebenen Vermietgeschäfts das Abstellen der Fahrräder zwar auch zum Zwecke der späteren Wiederinbetriebnahme erfolgt; im Vordergrund steht indessen der mit dem abgestellten Fahrrad verfolgte gewerbliche Zweck, den Abschluss eines Mietvertrags zu bewirken …“
  5. Ermessensfehler nicht ersichtlich Das Gericht schließlich noch: „Die unter Ziffer 1. der Ordnungsverfügung getroffene Entfernungsanordnung ist auch auf der Rechtsfolgenseite nicht zu beanstanden. Sie leidet insbesondere nicht an Ermessensfehlern i.S.d. § 114 Satz 1 VwGO. Allein das Fehlen der für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsfläche erforderlichen Sondernutzungserlaubnis (formelle Illegalität) berechtigt die Antragsgegnerin zu den nach § 22 Satz 1 StrWG NRW getroffenen Maßnahmen … § 18 Abs. 1 Satz 2 StrWG NRW enthält ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt mit der Folge, dass die Sondernutzung nicht grundsätzlich verboten, sondern lediglich von einer Kontrollerlaubnis abhängig ist … Ausgehend hiervon prüfte die Antragsgegnerin auf entsprechenden Antrag der Antragstellerin, ob eine Sondernutzung für das Abstellen der Mietfahrräder der Antragstellerin erteilt (und nach § 18 Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW mit Auflagen verbunden) werden könnte; voraussichtlich würde sie der Antragstellerin – entsprechend ihrer Ankündigung im Verwaltungsverfahren – auch die erforderliche Sondernutzungserlaubnis erteilen. Mit Blick darauf dürfte es die Antragstellerin selbst in der Hand haben, das Aufstellen ihrer Mietfahrräder im öffentlichen Straßenraum durch (wie von der Antragsgegnerin gefordert) Beantragung der erforderlichen Sondernutzungserlaubnis zu legalisieren und so wohl auch eine etwaige Vollstreckung der Entfernungsanordnung zu verhindern …“

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.11.2020 – 11 B 1459/20

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