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Baugenehmigung steht einer naturschutzrechtlichen Beseitigungsanordnung nicht entgegen

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In dem unten vermerkten B Beschluss vom 6.7.2021 befasste sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit der Frage, inwieweit eine Baugenehmigung eine Legalisierungswirkung entfaltet, die einer naturschutzrechtlichen Beseitigungsanordnung entgegensteht.

Inmitten stand eine von einem Waldbesitzer zum Schutz vor Wild errichtete Zaunanlage, für die ihm im Jahr 2008 eine Baugenehmigung erteilt worden war. Weil außergerichtliche Verhandlungen mit einer Naturschutzvereinigung über die Beseitigung des Zauns ergebnislos geblieben waren, beantragte der spätere Kläger im Jahr 2014 bei der unteren Naturschutzbehörde, die Beseitigung des Zauns anzuordnen. Der Zaun stelle eine Sperre im naturschutzrechtlichen Sinne dar und verstoße gegen das naturschutzrechtliche Betretungsrecht gemäß Art. 27 Bay-NatSchG i.V. mit Art. 141 Abs. 3 BV, zumal auch keine ausnahmsweise Zulässigkeit gemäß Art. 33 BayNatSchG gegeben sei. Nachdem die Naturschutzbehörde den Antrag auf Beseitigungsanordnung abgelehnt hatte, gab das Verwaltungsgericht einer entsprechenden Verpflichtungsklage statt. Es bejahte einen Beseitigungsanspruch des Klägers aus Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG als einer drittschützenden Vorschrift zugunsten jedes einzelnen Erholungsuchenden (unter Hinweis auf VGH, Beschluss vom 11.5.20171) – 14 ZB 16.1775 – juris Rn. 7).

Dabei vertrat das Verwaltungsgericht unter anderem die Ansicht, wegen des eingeschränkten Prüfprogramms (Art. 68 Abs. 1, 59 und 60 BayBO) enthalte die Baugenehmigung keine verbindlichen Feststellungen in Bezug auf die materiellen Voraussetzungen von Art. 34 Abs. 1 und Art. 33 BayNatSchG. Es bejahte außerdem das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 34 Abs. 3 i.V. mit Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG und nahm zusätzlich eine Reduzierung des naturschutzrechtlichen Beseitigungsermessens an.

Den dagegen gerichteten Berufungszulassungsantrag des beigeladenen Bauherrn hat der VGH abgelehnt. Er hatte sich dabei mit der Frage zu befassen, inwieweit die im Jahr 2008 erteilte Baugenehmigung der begehrten Beseitigungsanordnung entgegensteht, weil einerseits gemäß Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG die „Beseitigung“ nur unter den „Untersagungs-“Voraussetzungen des Art. 34 Abs. 2 Bay-NatSchG (nämlich: Erforderlichkeit „im gegenwärtigen oder absehbaren zukünftigen Interesse der erholungsuchenden Bevölkerung“) möglich ist, andererseits aber eben dies (auch) zum (Bau)-Genehmigungsprüfprogramm werden könnte gemäß Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG. Letztere Vorschrift bestimmt, dass über behördliche Gestattungen nach anderen Vorschriften „unter Beachtung der Voraussetzungen“ des Art. 34 Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG im Benehmen mit der unteren Naturschutzbehörde zu entscheiden ist.

Dem Beschluss ist Folgendes zu entnehmen:

1. Die formale Baugenehmigungserteilung steht für sich einer naturschutzrechtlichen Beseitigungsanordnung noch nicht entgegen

„Der bloß formale Umstand der Baugenehmigungserteilung spricht … für sich gesehen nicht gegen die Zulässigkeit einer nachträglichen Beseitigungsanordnung (vgl. auch Art. 55 Abs. 2 BayBO). Vielmehr kommt es darauf an, ob und inwieweit die Feststellungswirkung der konkret im Raum stehenden Baugenehmigung sich (auch) auf solche Vorschriften erstreckt, an deren Verletzung gerade auch die Beseitigungsanordnung anknüpft …“

2. Keine Feststellungswirkung einer vor dem 1.3.2011 erteilten Baugenehmigung hinsichtlich der Zulässigkeit von Sperren, da Art. 30 BayNatSchG a.F. das Prüfprogramm der Baugenehmigung naturschutzrechtlich nicht erweiterte

„Jedenfalls für die…im Raum stehenden Baugenehmigungen, bei deren Erteilung (20.6.2008) nicht Art. 34 BayNatSchG in seiner heute gültigen Fassung, sondern vielmehr die bis zum28.2.2011 gültige Vorläufervorschrift des Art. 30 BayNatSchG a.F. in Kraft war, trifft die These der Antragsbegründung…, die Baugenehmigungsbehörde entscheide gemäß Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG verbindlich, ob eine baugenehmigungspflichtige Anlage auch unter dem Gesichtspunkt der Errichtung einer Sperre nach materiellem Naturschutzrecht zulässig sei, ersichtlich nicht zu…

Die Antragsbegründung … meint, nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG (,…hat zu entscheiden…‘) gehöre die Frage der materiell-rechtlichen Zulässigkeit einer Sperre entgegen dem Verwaltungsgericht zu den tragenden Rechtsgründen der Gestattung und nehme damit an der Bindungs- und Feststellungswirkung der erteilten Baugenehmigungen teil, wobei sie unter Hinweis auf den Wortlaut der aktuellen Fassung des Art. 34 BayNatSchG (,…unter Beachtung …‘) rügt, das Verwaltungsgericht übersehe, dass Art. 34 Abs. 1 Satz 1 Bay-NatSchG eine eigenständige Verfahrens- und Entscheidungskonzentration mit Pflicht zur Prüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Gestattung einer Sperre anordne, ohne dass es hierfür eines Rückgriffs auf Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO bedürfe…

Zwar erscheint dieser Ansatz – der der Sache nach darauf hinausläuft, Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG erweitere das Prüfprogramm der Art. 59, 60 BayBO um die Pflicht, die Baugenehmigung nur ‚unter Beachtung‘ der Voraussetzungen des Art. 34 Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG (also der naturschutzrechtlichen Untersagungsgründe bei Sperren) zu erteilen – für die seit 1.3.2011 geltende Fassung des Art. 34 BayNatSchG nachvollziehbar … Gleichwohl geht vorliegend die besagte Kritik ins Leere, weil im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigungen (20.6.2008) noch die Vorläuferfassung des Art. 30 BayNatSchG a.F. galt und Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG (in der vom 1.8.2008 bis zum 28.2.2011 geltenden Fassung) wie folgt lautete: ,Bedarf die Errichtung einer Sperre i.S. des Art. 22 Abs. 3 Satz 2 einer behördlichen Gestattung nach anderen Vorschriften, so ergeht diese im Benehmen mit der unteren Naturschutzbehörde, sofern Bundesrecht nicht entgegensteht.‘ In dieser für die vorliegenden Baugenehmigungen entscheidenden Gesetzesfassung fand sich also die von der Antragsbegründung betonte Wendung,… unter Beachtung der Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 1 …‘ gerade nicht; vielmehr beschränkte sich Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. lediglich auf das Benehmenserfordernis …

Weil aber das Gesetz zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigungen den vom Beigeladenen betonten Wortlaut (,… unter Beachtung der Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 1…‘) gerade nicht aufwies, kann im Ergebnis nicht die Rede davon sein, das Verwaltungsgericht habe eine etwaige, aus der Neufassung folgende Pflicht der Baugenehmigungsbehörde zur Prüfung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Gestattung einer Sperre – und eine damit korrespondierende, entsprechend erweiterte Feststellungswirkung der Baugenehmigungen – verkannt…

Auch die diesbezügliche Stellungnahme der Bevollmächtigten des Beigeladenen… führt zu keinem anderen Ergebnis…Sie lässt außer Acht, dass nicht alle materiellrechtlichen Anforderungen, denen eine Anlage genügen muss, deshalb auch Teil des (baurechtlichen) Prüfprogramms sind. Vielmehr bestimmt allein der Gesetzgeber, welches Prüfprogramm im Rahmen eines behördlichen Gestattungsverfahrens abzuarbeiten ist und welche materiell-rechtlichen Vorschriften außerhalb dieses Prüfprogramms vom Bauherrn eigenverantwortlich zu wahren sind. Diese Prämisse liegt insbesondere im bayerischen Bauordnungsrecht den Art. 55 Abs. 2, Art. 59 und 60 BayBO zugrunde … Zwar wäre der Gesetzgeber frei, auch außerhalb der Bayerischen Bauordnung – über Art. 59 Satz 1 Nr. 3, Art. 60 Satz 1 Nr. 3 BayBO hinaus – das Prüfprogramm im Baugenehmigungsverfahren fachgesetzlich – also außerhalb Art. 59, 60 BayBO, beispielsweise im Bayerischen Naturschutzgesetz – zu ergänzen; jedoch lässt sich jedenfalls Art. 30 BayNatSchG a.F., der im Zeitpunkt der Erteilung der vorliegenden Baugenehmigungen galt, eine derartige naturschutzgesetzliche Erweiterung des Prüfprogramms im Baugenehmigungsverfahren nicht entnehmen, weil Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. (im Gegensatz zu Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG n.F.) gerade nicht – über das Benehmenserfordernis hinaus – anordnete, dass bei der Gestattung nach anderen Vorschriften ,unter Beachtung der Voraussetzungen des Art. 34 Abs. 2 Satz 1 BayNatSchG‘ – also der naturschutzrechtlichen Untersagungsgründe – zu entscheiden gewesen wäre…

Eine derartige Erweiterung des baurechtlichen Prüfprogramms über Art. 59, 60 BayBO hinaus lässt sich auch dem damaligen bloßen Benehmenserfordernis nicht entnehmen. Zum einen wird eine Abweichung vom eingeschränkten Prüfprogramm der Art. 59, 60 BayBO schon vom Wortlaut dieser Vorschrift her nicht zum Ausdruck gebracht. Zum anderen ist das Benehmenserfordernis inhaltlich…eine bloße – und im Vergleich zu einem Einvernehmenserfordernis schwächere – Verfahrensbestimmung, die der Naturschutzbehörde lediglich Gelegenheit einräumt, ihre Vorstellungen zum Vorhaben einzubringen, die Genehmigungsbehörde aber gerade nicht bindet und schon deshalb mit einem verbindlichen Prüfprogramm nicht vergleichbar ist … Vor diesem Hintergrund ist auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Beigeladenen … das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis nicht zweifelhaft im Hinblick auf den Umstand, dass in Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. – im Gegensatz zu Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG – der Passus ,unter Beachtung der Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 1‘ gerade nicht enthalten war, was dazu führt, dass sich das Prüfprogramm und damit auch die Feststellungs- und Legalisierungswirkung der vorliegend im Jahr 2008 erteilten Baugenehmigungen nicht auch auf die materiell-rechtlichen Anforderungen des Art. 30 Abs. 2 BayNatSchG erstreckte…

Da somit das besagte, in der Antragsbegründung dargelegte Wortlautargument (,… unter Beachtung …‘) angesichts des einschlägigen Art. 30 Abs. 1 Satz 1 Bay-NatSchG a.F. ersichtlich ins Leere geht und von einer entsprechend erweiterten Feststellungswirkung der Baugenehmigungen hinsichtlich der Zulässigkeit von Sperren schon nach dem Gesetzeswortlaut gerade nicht auszugehen ist, ist auch der vom Beigeladenen angenommene ,diametrale Widerspruch‘ der nachträglichen Beseitigungsanordnung zur Baugenehmigung (Perplexität) nicht anzunehmen, und zwar auch nicht im Hinblick auf die vom Beigeladenen betonte Verweisung des Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG auf Art. 34 Abs. 2 BayNatSchG…

Weil vorliegend gerade keine Feststellungswirkung der Baugenehmigungen vom 20.6.2008 hinsichtlich der naturschutzrechtlichen Zulässigkeit der Sperre … anzunehmen ist, hat insoweit … keine entsprechende Inhaltsbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) durch die Baugenehmigungen stattgefunden, weswegen die Beseitigungsanordnung jedenfalls nicht in eine durch eine Feststellungswirkung vermittelte Position eingreifen kann. Aus dem gleichen Grund liegt jedenfalls im vorliegenden Fall im Hinblick auf Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. auch keine grundrechts- oder rechtsstaatswidrige willkürliche Widersprüchlichkeit vor.“

3. Ob nach der seit 1.3.2011 geltenden Fassung des Art. 34 BayNatSchG das Prüfprogramm der Baugenehmigungsbehörde naturschutzrechtlich erweitert ist und auch die in Art. 34 Abs. 2 Satz 1 (i.V. mit Abs. 1 Satz 1) BayNatSchG genannten Anforderungen umfasst, bleibt offen

„Inwieweit der besagte Argumentationsansatz des Beigeladenen für ab dem Inkrafttreten des Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG zum 01.3.2011 bekannt gegebene Baugenehmigungen zutreffen könnte, lässt der Senat offen, weil es darauf für den vorliegenden Fall, in dem wie gezeigt Art. 30 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG a.F. in Kraft und Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG n.F. noch nicht erlassen war, nicht ankommt, zumal auch der amtlichen Begründung des der Neufassung zugrundeliegenden Regierungsentwurfs (LT-Drs. 16/5872 S. 13 und S. 27) insoweit nichts Näheres zu entnehmen ist … Auch … lässt der Senat offen, wie die grundrechtlichen Fragen zu beurteilen wären für Fälle von Baugenehmigungen aus der Zeit nach Inkrafttreten des Art. 34 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG …“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 6.7.2021 – 14 ZB 20.1300

Entnommen aus Fundstelle Bayern, 22/2021.