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Wasserversorgung: Teilbefreiung vom Benutzungszwang

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Im unten vermerkten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 10.5.2021 ging es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Anschlussnehmer eine Teilbefreiung vom Benutzungszwang bezüglich einer öffentlichen Wasserversorgungseinrichtung verlangen kann.

Der Kläger hatte als Inhaber einer landwirtschaftlichen Tierhaltung beantragt, für das dazu benötigte Brauchwasser (ca. 3.000 m3/a) nach § 7 Abs. 1 der örtlichen Wasserabgabesatzung (WAS) von der Pflicht zur Benutzung der kommunalen Versorgungseinrichtung befreit zu werden; er plane die Errichtung eines eigenen Brunnens auf seinem Betriebsgrundstück. Grund für die Maßnahme war eine Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung (BGS/WAS), mit der die Verbrauchsgebühr wegen geplanter umfangreicher Sanierungsmaßnahmen am Leitungsnetz von 2,28 Euro/m3 auf 4,13 Euro/m3 erhöht wurde. Die beklagte Gemeinde lehnte den Teilbefreiungsantrag ab und verwies darauf, dass der – um die Grundgebühren nivellierte – örtliche Gebührensatz schon bisher um 78% über dem vom Bayerischen Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung für den betreffenden Landkreis zum Stichtag 1.1.2016 ermittelten regionalen Durchschnittswert liege. Die daraufhin vom Kläger erhobene Verpflichtungsklage wies das Verwaltungsgericht mit ähnlicher Begründung ab.

Mit seinem dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgte der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Er machte insbesondere geltend, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 7 Abs. 1 WAS verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Da die Refinanzierung der Wasserversorgungsanlagen in Bayern eine weite Spanne aufweise, die von einer reinen Beitragsfinanzierung bis zu einer reinen Gebührenfinanzierung reiche, sei eine Gegenüberstellung allein der Verbrauchsgebühr zweier Wasserversorger nicht geeignet, die Gesamtkostenbelastung der jeweiligen Verbraucher zu vergleichen; die Überschreitung der in der Rechtsprechung angenommenen Zumutbarkeitsgrenze hänge dann von dem Zufall ab, ob die Anlagen beitrags- oder gebührenfinanziert seien. Die sprunghafte Erhöhung der Verbrauchsgebühr im Versorgungsbereich der Beklagten sei einem Defizit im vorherigen Kalkulationszeitraum und weiterhin zu erwartenden hohen Reparaturkosten im Leitungsnetz geschuldet. Dass die Gemeinde keinen Verbesserungsbeitrag erhebe, sondern die Kostenlast auf die Gebühr verlagere, führe für einen 2-Personen-Haushalt lediglich zu einer jährlichen Mehrbelastung von 200 Euro, für ihn als Landwirt dagegen zu jährlichen Mehrkosten von ca. 5.000 Euro. Der VGH lehnte den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ab und führte zur Begründung Folgendes aus:

Bei Anträgen auf Teilbefreiung vom Benutzungszwang für eine öffentliche Wasserversorgungseinrichtung bedarf es zur Ermittlung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit für die Verbraucher u.a. eines Vergleichs der örtlichen mit der regionalen Verbrauchsgebühr

Zunächst fasst der Senat seine bisherige Rechtsprechung kurz zusammen: „Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass dem Kläger nach den vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in seiner Leitentscheidung vom 3.4.20141) (Az. 4 B 13.2455, juris) entwickelten Grundsätzen kein Anspruch auf eine Beschränkung der Benutzungspflicht hinsichtlich der öffentlichen Wasserversorgungseinrichtung der Beklagten zusteht. Ein kommunaler Wasserversorger muss nach dem genannten Urteil Teilbefreiungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 WAS nur insoweit gewähren, als dies zu keiner Erhöhung der bisherigen Verbrauchsgebühr um mehr als 50%führt; auch darf dadurch die regionale Durchschnittsgebühr, abhängig vom bisherigen örtlichen Gebührenniveau, nicht um bestimmte Prozentsätze überschritten werden. Diese letztgenannte – hier allein streitige – Zumutbarkeitsschwelle beruht auf dem Gedanken, dass in den Fällen, in denen aufgrund einer ungünstigen Ausgangslage bereits bisher überdurchschnittlich hohe Gebühren erhoben werden, schon eine vergleichsweise geringe Gebührensteigerung die Grenze des Tragbaren überschreiten kann (BayVGH, Urteil vom 3.4.2014, a.a.O., Rn. 35 m.w.N.). Die danach als Vergleichsmaßstab heranzuziehende regionale Vergleichsgebühr ergibt sich im Regelfall aus den im Drei-Jahres- Turnus veröffentlichten Berichten des Bayerischen Landesamts für Statistik und Datenverarbeitung über ,Wasser- und Abwasserentgelte in Bayern‘, in denen für alle Landkreise und kreisfreien Städte nach den Einwohnerzahlen gewichtete Durchschnittsentgelte für die Trinkwasserversorgung aufgeführt sind (BayVGH, a.a.O., Rn. 31).

Um die Vergleichbarkeit einer örtlichen Verbrauchsgebühr mit der im jeweiligen Landkreis durchschnittlich erhobenen Gebühr herzustellen, muss eine an das Grundgebührenniveau im Landkreis angepasste ,grundgebührnivellierte‘ Verbrauchgebühr für die örtliche Wasserversorgungseinrichtung ermittelt werden (vgl. näher BayVGH, a.a.O., Rn. 33).Überschreitet diese den regionalen Durchschnitt nur vergleichsweise geringfügig um bis zu 10%, so ist eine durch die beantragte Teilbefreiung bewirkte Gebührensteigerung gegenüber dem nivellierten Ausgangswert von maximal 40 % zumutbar; liegt die nivellierte örtliche Verbrauchsgebühr um bis zu 20 % über dem regionalen Durchschnitt, kann dagegen nur ein Gebührensprung von 30 %, bei einer Überschreitung von bis zu 30 % ein Anstieg von 20 % und bei einer Überschreitung von bis zu 40%eineAnhebung um höchstens 10%hingenommen werden (BayVGH, a.a.O., Rn. 35). Liegt die nivellierte Vergleichsgebühr in der betreffenden Gemeinde schon bisher um mehr als 40%über dem regionalen Durchschnittswert, so kommt nach der genannten Grundsatzentscheidung des Senats eine teilbefreiungsbedingte weitere Anhebung nicht mehr in Frage (BayVGH, a.a.O.).“

Bei Teilbefreiungsentscheidungen kann bis auf Weiteres die amtliche Statistik über „Wasser- und Abwasserentgelte in Bayern“ verwendet werden, auch wenn derzeit keine aktuelle Fassung vorliegt

Der VGH begründet dies wie folgt: „Hieran gemessen steht dem Kläger kein Befreiungsanspruch zu. Die derzeit für das Gemeindegebiet geltende Wasserverbrauchsgebühr in Höhe von 4,13 Euro/ m3 liegt bereits für sich betrachtet um weit mehr als 50 % über dem vom Bayerischen Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung für den Landkreis … zuletzt zum Stichtag 1.1.2016 ermittelten regionalen Durchschnittswert von 2,50 Euro/m3 … Da die örtliche Grundgebühr mit 24 Euro/a ebenfalls deutlich höher liegt als der statistisch ermittelte Landkreisdurchschnitt von 20,10 Euro/a, ergibt sich für eine ,grundgebührnivellierte‘ örtliche Verbrauchsgebühr sogar ein noch größerer Abstand gegenüber der regionalen Durchschnittsgebühr, wie die Beklagte in der Anlage zum Aktenvermerk vom 18.1.2018 im Einzelnen errechnet und ihrem Ablehnungsbescheid vom 28.5.2018 zugrunde gelegt hat. Auch wenn der genannte Bericht des Landesamts auf Zahlen aus dem Jahr 2016 beruht, die nicht unbedingt das aktuelle Gebührenniveauwiderspiegeln, können die daraus errechneten Durchschnittswerte bei Entscheidungen über eine Teilbefreiung – jedenfalls einstweilen – weiter verwendet werden. Entgegen der offiziellen Ankündigung… ist zwar die von der Wasserrahmenrichtlinie geforderte, alle drei Jahre vorzunehmende bayernweite Ermittlung der Wasser- und Abwasserentgelte für den zurückliegenden Erhebungszeitraum bisher nicht publiziert worden. Solange nichts für die Annahme spricht, dass es sich dabei um keine bloße Verzögerung bei der Fertigstellung des Berichts handelt, sondern dass dieser Vergleichsmaßstab künftig gar nicht mehr zur Verfügung steht, kann aber auf die jüngsten verfügbaren Durchschnittswerte weiterhin zurückgegriffen werden.

Um eine dem oben erwähnten Stufenmodell folgende exakte Berechnung des verfügbaren ,Teilbefreiungsvolumens‘ vornehmen zu können, wie dies vor allem bei einer Mehrzahl von Befreiungsanträgen erforderlich ist, bedarf es statistisch gesicherter Daten zur regionalen Durchschnittsgebühr, die weder den einzelnen Gemeinden zur Verfügung stehen noch von den Antragstellern vorab mit zumutbarem Aufwand gewonnen werden können. Eine bloße Auflistung von aktuellen Wassergebühren im Landkreis, wie sie die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt hat, besitzt nicht die gleiche Aussagekraft wie der nach Einwohnerzahlen gewichtete Durchschnittswert der amtlichen Gebührenstatistik. Dass dieser Wert stets mit einer – mehr oder weniger großen – zeitlichen Verzögerung publiziert wird, steht seiner Verwendbarkeit als Maßstab zur Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze des § 7 Abs. 1 WAS nicht entgegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Teilbefreiungsanträge – schon wegen der damit im Erfolgsfall verbundenen Investitionskosten für eine eigene Wasserversorgung – in aller Regel auf längere Zeiträume abzielen; ein jährliches ,Nachsteuern‘ anhand der jeweils aktuellen Verbrauchsgebühren in der Gemeinde und im Landkreis entspricht nicht dem Zweck einer solchen Befreiung und ist auch rechtlich nicht geboten.“

Beim Vergleich der örtlichen mit der regionalen Verbrauchsgebühr kommt es nicht darauf an, inwieweit der erforderliche Investitionsaufwand jeweils durch Beiträge oder durch Gebühren refinanziert wird

Den betreffenden Haupteinwand des Klägers hält das Gericht schon aufgrund der bundesrechtlichen Vorgaben für unbegründet: „Dass bei der Prüfung des Zumutbarkeitskriteriums nach § 7 Abs. 1 Satz 1 WAS ausschließlich auf einen Vergleich der örtlichen mit der regionalen Verbrauchsgebühr und nicht auch auf die unterschiedlichen Finanzierungssysteme der öffentlichen Wasserversorgungseinrichtungen abgestellt wird, verstößt entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Mit der Vorschrift des § 7WAS hat der Satzungsgeber den auf kommunalrechtlicher Grundlage geregelten Benutzungszwang an die verbraucherschutzrechtliche Vorgabe des § 3 Abs. 1 i.V. mit § 35 Abs. 1 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser (AVBWasserV) angepasst, die das Allgemeininteresse an einer unter weitgehend gleichen Bedingungen erfolgenden Wasserversorgung mit den Individualinteressen der einzelnen Verbraucher an einer Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse zum Ausgleich bringt (vgl. BVerfG, Beschluss vom2.11.19812) – 2 BvR 671/81 –NVwZ 1982, 306/308;BVerwG,Urteil vom 11.4.1986 – 7 C 50.83 – NVwZ 1986, 754/755). Die wirtschaftliche Zumutbarkeit im Sinne der genannten Vorschrift hängt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein davon ab, ob die Wasserpreise bzw. -gebühren als für den Verbraucher erträglich angesehen werden können (BVerwG, Beschluss vom 30.12.2010 – 8 B 40.10 – juris Rn. 6 m.w.N.). Maßgebender Bezugspunkt ist danach entgegen der Annahme des Klägers nicht die aus dem Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung resultierende Gesamtkostenbelastung, d.h. die auf längere Sicht anfallende Summe aus (einmalig anfallenden) Herstellungs- und/oder Verbesserungsbeiträgen sowie aus laufenden Gebühren, sondern nur das – durch mögliche Einnahmeausfälle infolge von Teilbefreiungen unmittelbar beeinflusste – verbrauchsabhängige Entgelt für die Lieferung von Wasser. Dass bei den öffentlichen Wasserversorgungseinrichtungen die Höhe der Wassergebühren auch davon abhängt, ob und inwieweit der Einrichtungsträger zur Refinanzierung seiner Investitionskosten von den Eigentümern der angeschlossenen und anschlussberechtigten Grundstücke Beiträge erhebt, hat demnach schon aufgrund der maßgeblichen bundesrechtlichen Vorgaben außer Betracht zu bleiben.“

Dass die Unterschiede in der Finanzierung der Wasserversorgungseinrichtungen beim Vergleich der Wassergebühren außer Betracht bleiben, kann nicht als unbillig angesehen werden

„Zu einer wirtschaftlichen Gesamtbelastung lassen sich im Übrigen die Zahlungsverpflichtungen aus Beiträgen und Gebühren schon deshalb nicht addieren, weil diese beiden Arten von kommunalen Abgaben zu unterschiedlichen Zeitpunkten fällig werden (vgl. § 7, § 13 Abs. 1 BGS/WAS) und sich sowohl hinsichtlich des Abgabenmaßstabs (§ 5 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 BGS/WAS) als auch hinsichtlich der Abgabenschuldner (§ 4, § 12 Abs. 1 bis 3 BGS/WAS) grundlegend unterscheiden. Im Falle von Mietverhältnissen sind zudem die Wassergebühren – anders als die Beiträge – nach § 2 Nr. 1 der Betriebskostenverordnung (BetrKV) umlagefähig; sie treffen also bei wirtschaftlicher Betrachtung regelmäßig den Mieter und nicht den Grundstückseigentümer. Wegen der hiernach bestehenden Inkommensurabilität von Beiträgen und Gebühren ist kein quantifizierbarer Maßstab vorstellbar, anhand dessen sich die Unzumutbarkeit einer Teilbefreiung für den Verbraucher im Wege einer beide Abgaben berücksichtigenden Gesamtbetrachtung bestimmen ließe. Ein unbilliges Ergebnis kann darin für die Eigentümer der betroffenen Grundstücke auch dann nicht gesehen werden, wenn wie im vorliegenden Fall ein ungewöhnlich hohes Ausgangsniveau der Wassergebühren auf dem Unterlassen notwendiger Sanierungsmaßnahmen in der Vergangenheit beruht und der dafür notwendige Kostenaufwand vollständig in die Kalkulation des aktuellen Gebührensatzes eingeht. Die dadurch sich errechnenden höheren Gebühren, die bis auf Weiteres einer Teilbefreiung entgegenstehen, bilden lediglich einen Ausgleich für zu niedrige Gebühren bzw. nicht (kostendeckend) erhobene Beiträge in der Vergangenheit, aus denen sich seinerzeit für die Verbraucher bzw. Anschlussnehmer ein wirtschaftlicher Vorteil ergab. Dass durch eine solche sanierungsbedingte Gebührenerhöhung gerade jene Anschlussnehmer, die wie der Kläger einen hohen Wasserverbrauch haben, mit einem größeren Anteil zur Finanzierung von Investitionen in die öffentliche Einrichtung herangezogen werden als bei einer möglichen Beitragsfinanzierung, die sich nach der Grundstücks- bzw. Geschossfläche richtet, ist eine unvermeidbare Folge der aus der Organisationshoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) folgenden Wahlfreiheit des Einrichtungsträgers bezüglich des Finanzierungssystems. Sie zwingt nicht dazu, den betreffenden Großverbrauchern Teilbefreiungen vom Benutzungszwang zu gewähren.“

Bei Anträgen auf Teilbefreiung besteht kein Spielraum für Ermessenserwägungen

Abschließend stellt das Gericht klar, dass es sich um eine gebundene Entscheidung handelt: „Die im Zulassungsantrag weiter aufgeworfene Frage, ob bei Anträgen nach § 7 Abs. 1 WAS aufgrund individueller Besonderheiten abweichend von gerichtlich festzulegenden Beurteilungskriterien Einzelfallentscheidungen zu treffen sind, bedarf ebenfalls keiner grundsätzlichen Klärung. Die genannte Satzungsbestimmung lässt Beschränkungen der Benutzungspflicht nur zu, soweit dies für die öffentliche Wasserversorgung wirtschaftlich zumutbar ist und nicht andere Rechtsvorschriften oder Gründe der Volksgesundheit entgegenstehen. Unter welchen Voraussetzungen es danach an der wirtschaftlichen Zumutbarkeit fehlt, ist – wie oben dargelegt – in der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung allgemein geklärt. Einen darüber hinausgehenden Ermessensspielraum, der aufgrund individueller Erwägungen eine Teilbefreiung (zu Lasten der übrigen Gebührenzahler) ermöglichen würde, sieht die Satzung nicht vor.“

Entnommen aus der FstBY, Heft 23/2021, Rn. 260.