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LandschaftsschutzgebietsVO: Keine Pflicht zur strategischen Umweltprüfung

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Art. 2, Art. 3 Abs. 2 Buchst. a, Abs. 4 der Richtlinie 2001/42/EG

Pflicht zur Strategischen Umweltprüfung
Planbegriff
Rahmen setzen
Signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten zur Durchführung von Projekten

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 22.02.2022, Az. C-300/20

Leitsätze:

  1. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen
    bestimmter Pläne und Programme ist dahin auszulegen, dass eine nationale Maßnahme zum Schutz von Natur und Landschaft, die zu diesem Zweck allgemeine Verbotstatbestände und Erlaubnispflichten aufstellt, ohne hinreichend detaillierte Regelungen über den Inhalt, die Ausarbeitung und die Durchführung der in den Anhängen I und II der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten aufgeführten Projekte vorzusehen, nicht in den Geltungsbereich dieser Bestimmung fällt.
  1. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/42 ist dahin auszulegen, dass eine nationale Maßnahme zum Schutz von Natur und Landschaft, die zu diesem Zweck allgemeine Verbotstatbestände und Erlaubnispflichten aufstellt, ohne hinreichend detaillierte Regelungen über den Inhalt, die Ausarbeitung und die Durchführung von Projekten vorzusehen, nicht in den Geltungsbereich dieser Bestimmung fällt.
Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern:

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Beschluss vom 04.05.2020 (Az. 4 CN 4/18, juris) im Rahmen eines bei ihm anhängigen Normenkontrollverfahrens betreffend eine Landschaftsschutzgebietsverordnung drei Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/42/EG (im Folgenden SUP-RL) vorgelegt. Mit den Fragen sollte geklärt werden, ob bei der Ausweisung
eines nationalen Schutzgebiets eine Pflicht zur Strategischen Umweltprüfung (SUP) besteht. Eine Umweltprüfung war bei der hier streitgegenständlichen Landschaftsschutzgebietsverordnung nicht durchgeführt worden.

Hintergrund der Klage ist, dass die klagende Umweltvereinigung kein Klagerecht gegen Verordnungen hat, ihr ein solches aber zusteht, wenn die Verordnung als Plan i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UmwRG einzuordnen ist (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 13 ff.).

Die Landesanwaltschaft Bayern hatte sich als Vertreter des öffentlichen Interesses aufgrund der grundlegenden Auswirkungen auf die Praxis der Ausweisung von Schutzgebieten in Bayern beteiligt, auf die erheblichen Auswirkungen für bereits erlassene Verordnungen hingewiesen und sich gegen eine SUP-Pflicht ausgesprochen.

Auf diese grundsätzliche Bedeutung hat auch das BVerwG in seinem Vorlagebeschluss unter Rn. 16 hingewiesen. Wenn die Beantwortung der Fragen durch den Gerichtshof zu einer unionsrechtlichen Pflicht einer Umweltprüfung führen würde, hätte diese – so das BVerwG – zur Folge, dass voraussichtlich jedenfalls sehr viele Ausweisungen von Schutzgebieten verfahrensfehlerhaft wären, die nach Ablauf der Umsetzungsfrist der SUP-RL am 21.07.2004 ergangen seien. Ein solcher Verfahrensfehler würde nach nationalem Recht grundsätzlich zur Unwirksamkeit der zur Ausweisung notwendigen Verordnung führen. Die Annahme einer Pflicht zur
Strategischen Umweltprüfung oder Vorprüfung könnte so das in Deutschland für Natur und Landschaft erreichte Schutzniveau erheblich senken.

Im Verfahren vor dem EuGH hatten auch die Bundesregierung, die Europäische Kommission, die tschechische Regierung und Irland Stellungnahmen abgegeben.

Der EuGH kam zum Ergebnis, dass ein Plan vorliegt, der aber keinen Rahmen setzt.

Zum Verfahren:

Das BVerwG hatte in seinem Vorlagebeschluss Zweifel geäußert, ob eine Landschaftsschutzgebietsverordnung in einem der Bereiche des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a SUP-RL ausgearbeitet ist und den Rahmen für die Durchführung von in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-RL aufgeführten Projekten bzw. einen Rahmen i.S.v. Art. 3 Abs. 4 SUP-RL setzt.

  1. Zunächst bestätigt der EuGH seine ständige Rechtsprechung zum Planbegriff. Vorliegend war die Verordnung vom Landkreis Rosenheim und damit einer lokalen Behörde im Sinne von Art. 2 Buchst. a der SUP-RL ausgearbeitet worden. Die weitere Voraussetzung des Artikel 2 Buchst. a der SUP-Richtlinie, wonach der Plan aufgrund von Rechts- oder Verwaltungsvorschriften „erstellt werden muss“, legt der EuGH in ständiger Rechtsprechung so aus, dass es genügt, dass der Erlass des Plans in nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften geregelt ist, die die insoweit zuständigen Behörden und das Ausarbeitungsverfahren festlegen. Entgegen dem Wortlaut des Art. 2 Buchst. a der SUP-RL muss der Erlass des Plans nicht verpflichtend vorgegeben sein (EuGH a.a.O. Rn. 35-39).
  1. Im Gegensatz zu den Zweifeln des BVerwG ist der EuGH in Bezug auf die zweite Vorlagefrage des BVerwG der Auffassung, dass die Verordnung in einem der in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a SUP-Richtlinie aufgeführten Bereiche ausgearbeitet ist. Nach seiner Rechtsprechung muss der Plan nur einen dieser Bereiche betreffen. Es ist unerheblich, dass das Hauptziel der Verordnung der Umweltschutz einschließlich des Landschaftsschutzes ist. Im Übrigen regele die Verordnung eine Vielzahl von Tätigkeiten des Menschen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt, die unter die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 aufgeführten Bereiche fallen würden, wie z.B. Tätigkeiten in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Verkehr, Wasserwirtschaft sowie Raumordnung oder Bodennutzung.
    Der EuGH sieht die erste in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/42 aufgestellte Voraussetzung, dass die Verordnung in einem der genannten Bereiche ausgearbeitet ist, im Grundsatz als erfüllt an. Da er aber nicht über die Auslegung nationalen Rechts entscheiden kann, überlässt er es dem nationalen Gericht, dies abschließend zu prüfen.
  1. Der EuGH ist im Folgenden aber in Bezug auf die erste Vorlagefrage des BVerwG der Auffassung, dass die Verordnung keinen Rahmen i.S.v. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der SUP-RL setzt. Er weist auf seine ständige Rechtsprechung hin, wonach sich der Begriff „Pläne und Programme“ auf jeden Rechtsakt beziehe, der dadurch, dass er die in dem betreffenden Bereich anwendbaren Regeln und Verfahren zur Kontrolle festlege, eine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer Projekte aufstelle, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen hätten. Sodann setzt sich der EuGH intensiv mit der Systematik der Verordnung und den einzelnen Regelungen der Verordnung, insbesondere den Verbots- und Erlaubnistatbeständen auseinander, um festzustellen, ob die Verordnung einen Rahmen setzt. Entscheidend ist für ihn Folgendes:
    Aus dem Wortlaut von § 5 Abs. 2 der „Inntal Süd“-Verordnung gehe hervor, dass er die Erteilung einer Erlaubnis „unbeschadet anderer Rechtsvorschriften“ von einer einzigen allgemein gehaltenen Voraussetzung abhängig mache, nämlich davon, dass „die beabsichtigte Maßnahme keine der in § 4 genannten Wirkungen hervorrufe oder diese Wirkungen durch Nebenbestimmungen ausgeglichen werden könnten“. Außerdem stehe zum einen fest, dass das in § 4 der „Inntal Süd“-Verordnung vorgesehene Verbot im Wesentlichen dem entspreche, was bereits in § 26 Abs. 2 BNatSchG vorgesehen sei. Zum anderen sei unstreitig, dass § 3 der „Inntal Süd“-Verordnung dieses Schutzziel allgemein formuliere, ohne genaue Kriterien oder Modalitäten vorzusehen, von deren Einhaltung die Erlaubnis zur Durchführung der verschiedenen in § 5 Abs. 1 dieser Verordnung genannten Projekte abhängig wäre (EuGH a.a.O. Rn. 66-68).
    Aus diesen Vorschriften folgert der EuGH, dass die Verordnung wohl keine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Genehmigung und Durchführung eines oder mehrerer in den Anhängen I und II der Richtlinie 2011/92 aufgeführter Projekte aufstellt. Die insoweit abschließende Entscheidung überlässt er auch hier dem BVerwG (EuGH a.a.O. Rn. 69).
  1. Da auch Art. 3 Abs. 4 der SUP Richtlinie davon abhängt, dass der Plan den Rahmen für die künftige Genehmigung von Projekten setzt, kommt der EuGH auch in seiner Antwort auf die dritte Vorlagefrage des BVerwG zum Ergebnis, dass eine nationale Maßnahme zum Schutz von Natur und Landschaft, die zu diesem Zweck allgemeine Verbotstatbestände und Erlaubnispflichten aufstellt, ohne hinreichend detaillierte Regelungen über den Inhalt, die Ausarbeitung und die Durchführung von Projekten vorzusehen, nicht in den Geltungsbereich dieser Bestimmung fällt (EuGH a.a.O. Rn.73 f.).

Der EuGH ist in seiner Entscheidung mit etwas differenzierter Begründung dem Schlussantrag des Generalanwalts vom 16.09.2021 gefolgt. Aus Sicht des öffentlichen Interesses ist die Entscheidung sehr zu begrüßen, verhindert sie doch die Unwirksamkeit einer Vielzahl von Schutzgebietsverordnungen, worauf auch das BVerwG im Vorlagebeschluss mit deutlichen Worten hingewiesen hatte.

Der EuGH bleibt bei seiner bisherigen Rechtsprechung zur SUP-RL. Am Planbegriff wird sich nichts mehr ändern, auch wenn Generalanwältin Kokott in ihrem Schlussantrag vom 25.01.2018 (C-671/16-EU:C:2018:39, Rn. 41, 42) angemerkt hatte, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs den Anwendungsbereich der SUP-RL möglicherweise tatsächlich weiter ausgedehnt habe, als der Gesetzgeber beabsichtigt hatte und die Mitgliedstaaten vorhersehen konnten. Es spielt also keine Rolle, ob Pläne fakultativ oder obligatorisch aufgestellt werden, auch wenn der Wortlaut der Richtlinie von „erstellt werden müssen“ spricht. Der Begriff des Plans ist insoweit durch die Rechtsprechung des EuGH eindeutig i.S. eines „acte éclairé“ vorgegeben. Der EuGH hat aber den Regelungsrahmen der SUP-RL weiter präzisiert. Er stuft die Verordnung zwar als Plan ein, die Verordnung setzt aber auch seiner Auffassung nach keinen Rahmen für die Durchführung von Projekten i.S.d. SUP-RL.

Eine andere Auffassung des EuGH hätte für Bayern und ganz Deutschland enorme Auswirkungen haben können. Hätte der EuGH eine SUP-Pflicht bejaht, wäre nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland eine Vielzahl von Verordnungen unwirksam geworden. Die Schutzgebietsarbeit der letzten 17 Jahre hätte damit auf einen Schlag zunichtegemacht werden können. Wie ernst die Lage war, zeigt sich auch daran, dass der Bundesgesetzgeber im Vorgriff auf dieses mögliche Szenario eine Heilungsvorschrift in das BNatSchG (§ 22 Abs. 2a und 2b BNatSchG) aufgenommen hatte. Von dieser Vorschrift muss nun nicht mehr Gebrauch gemacht werden.

Im nächsten Schritt muss das BVerwG abschließend über die Revision der klagenden Umweltvereinigung entscheiden. Diese Entscheidung dürfte durch die Ausführungen des EuGH vorgezeichnet sein. Das BVerwG hatte – wie ausgeführt – selbst Zweifel geäußert, ob die Verordnung einer Strategischen Umweltprüfung bedarf.

Entscheidet das BVerwG, wie es vorgezeichnet zu sein scheint, bedürfen die ab 21.07.2004 erlassenen und auch künftige bayerische Schutzgebietsverordnungen im Bereich des Naturschutzes keiner Strategischen Umweltprüfung, denn Landschaftsschutzgebietsverordnungen enthalten regelmäßig wie die streitgegenständliche Verordnung allgemeine präventive Verbotsregelungen mit Erlaubnisvorbehalt, ohne i.S.d. Rechtsprechung des EuGH hinreichend detaillierte Regelungen über den
Inhalt, die Ausarbeitung und die Durchführung von Projekten vorzusehen. Dasselbe gilt für Verordnungen über Naturschutzgebiete, Nationalparks, Nationale Naturmonumente, Naturdenkmäler und geschützte Landschaftsbestandteile mit ihren allgemeinen absoluten Veränderungsverboten.

Folge ist, dass Umweltvereinigungen auch künftig keine Klagebefugnis zusteht, weder gegen den Erlass von Verordnungen noch – das sind die interessanten Klagegegenstände für einen Umweltverband – die Änderung von Verordnungen, wenn z.B. der Geltungsbereich einer Verordnung aufgrund von Herausnahmen verkleinert wird.

Auch wenn Verordnungen beispielsweise Windkraftanlagen in bestimmten Bereichen eines Landschaftsschutzgebiets für zulässig erklären und in anderen Bereichen ausschließen, erscheint es sehr fraglich, ob dies eine signifikante Gesamtheit von Kriterien und Modalitäten für die Durchführung eines Projekts darstellt. Da ein entsprechendes Verfahren beim BayVGH anhängig ist, das aufgrund der Vorlage an den EuGH noch ruht, dürfte mit einer Entscheidung über eine solche Verordnung in absehbarer Zeit zu rechnen sein.

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts.

 

 

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