Rechtsprechung Bayern

Verbotswidrige Benutzung eines Handys beim Führen eines Fahrzeugs

© Proxima Studio – stock.adobe.com

Dem unten vermerkten Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts (BayObLG) vom 10.01.2022 lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Betroffene fuhr mit ihrem Pkw aufgrund stockenden Verkehrs langsam in der W-Straße in B, wobei sie – nicht widerlegbar bereits vor Antritt der Fahrt – ihr Mobiltelefon auf dem rechten Oberschenkel abgelegt hatte und kurz durch Tippen mit dem Finger die Wahlwiederholung einer Fluggesellschaft aus- und anwählte. Die Bußgeldstelle verhängte gegen die Betroffene als Führerin eines Kraftfahrzeugs mit Bußgeldbescheid wegen Nutzung eines elektronischen Geräts, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, eine Geldbuße in Höhe von 100 Euro. Nach form- und fristgerechter Einlegung des Einspruchs hat das Amtsgericht die Betroffene freigesprochen. Einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO durch die bloße Bedienung des auf dem Oberschenkel liegenden Mobiltelefons verneinte das Amtsgericht (AG). Bei der Regelung des § 23 Abs. 1a Nr. 1 StVO handele es sich um ein „hand-held-Verbot“. Das Mobiltelefon sei weder aufgenommen noch gehalten worden. Auch die Tatbestandsvariante des § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2b StVO sei nicht erfüllt, weil die Einlassung der Betroffenen, wonach sie jederzeit bremsbereit und ohne ihren Blick vom Verkehrsgeschehen abzuwenden nur kurz die Wahlwiederholungstaste bedient habe, nicht zu widerlegen gewesen sei. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hob das BayObLG das Urteil des Amtsgerichts auf. Seinem Beschluss ist Folgendes zu entnehmen:

Der Wortlaut des § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 StVO „Halten“ umfasst auch das Ausbalancieren des Handys auf dem Oberschenkel

„Vom Wortsinn her bedeutet ,Halten‘ … einerseits ,festhalten‘ und andererseits ,bewirken, dass etwas in seiner Lage, seiner Stellung oder Ähnlichem bleibt‘ (www.duden.de ,halten‘, Bedeutungen). Demnach liegt ein Halten nicht nur dann vor, wenn ein Gegenstand mit der Hand ergriffen wird, sondern etwa auch dann, wenn ein elektronisches Gerät bei der Nutzung zwischen Schulter und Ohr (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 4.12.2020 – 1 RBs 347/20 = NZV 2021, 275;AG Coesfeld, Urteil vom 20.4.2018 – 3b OWi – 89 Js 2030/17-306/17 = DAR 2018, 640) bzw. zwischen Oberschenkel und Lenkrad fixiert wird (König DAR 2020, 362, 372). Darüber hinaus ist ein Halten aber auch dann gegeben, wenn ein in § 23 Abs. 1a StVO genanntes Gerät in sonstiger Weise mit Hilfe der menschlichen Muskulatur in seiner Position bleibt. Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Rechtsbeschwerde zutreffend darlegt, kann ein Mobiltelefon während der Fahrt, verbunden mit den damit einhergehenden Geschwindigkeits- und Richtungsänderungen, nicht allein durch die Schwerkraft auf dem Schenkel verbleiben, sondern es bedarf bewusster Kraftanstrengung, um die Auflagefläche so auszubalancieren, dass das Mobiltelefon nicht vom Bein herunterfällt. Auch dieses durch menschliche Kraftanstrengung bewirkte Ausbalancieren unterfällt dem Begriff des Haltens.“

Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1a StVO ist über das Freihalten der Hände des Fahrers hinaus auch, sonstige Ablenkungen des Fahrers vom Verkehrsgeschehen zu verhindern

„Für dieses Ergebnis sprechen auch Sinn und Zweck der Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 StVO. Die Vorschrift verlangt, dass Sicht und Gehör des Fahrers während der Fahrt nicht beeinträchtigt sind. Dementsprechend erlaubt § 23 Abs. 1a StVO die Benutzung eines dort genannten elektronischen Geräts nur dann, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und entweder nur eine Sprachsteuerung oder eine Vorlesefunktion genutzt wird oder die Bedienung des Geräts nur eine kurze Blickzuwendung erfordert. Dies zeigt in der Gesamtschau, dass sich der Fahrer primär auf das Verkehrsgeschehen konzentrieren soll und durch die Nutzung eines elektronischen Geräts nur innerhalb der durch § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO vorgegebenen Grenzen abgelenkt wird. Die Bestimmung dient damit dem Ziel, Gefahren für die Verkehrssicherheit zu verhindern, die aus einem Aufnehmen und Halten des Geräts und einer mit der Gerätenutzung verbundenen, nicht nur unwesentlichen Beeinträchtigung der visuellen Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens resultieren (vgl. BGH, Beschluss vom 16.12.2020 – 4 StR 526/19 …). Eine solche unzulässige Ablenkung liegt insbesondere dann vor, wenn der Fahrer nicht mehr beide Hände zum Lenken des Fahrzeugs zur Verfügung hat …, wobei nicht das Halten also solches, sondern nur die Benutzung bei gleichzeitigem Halten untersagt ist … Wenngleich die Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO damit in erster Linie auf die Verhinderung solcher Verhaltensweisen abzielt, die dazu führen, dass der Fahrzeugführer nicht mehr beide Hände zum Lenken seines Fahrzeugs zur Verfügung hat und/oder seinen Blick vom Verkehrsgeschehen abwenden muss, so besteht der Sinn der Vorschrift darüber hinausgehend darin, solchen nicht mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs in Zusammenhang stehenden Verhaltensweisen entgegenzuwirken, die sich abträglich auf die Notwendigkeit der Konzentration auf das Verkehrsgeschehen auswirken … Um eine solche fahrfremde Tätigkeit mit erheblichem Gefährdungspotenzial handelt es sich hier zweifelsohne. Das Halten eines Mobiltelefons durch Ausbalancieren auf dem Oberschenkel, insbesondere auf dem rechten Oberschenkel, mit dessen Hilfe üblicherweise Gaspedal und Bremse betätigt werden, stellt sich als mindestens ebenso gefährlich dar wie das Halten in der Hand. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die nicht fernliegende Gefahr, dass das Gerät vom Bein zu rutschen bzw. in den Fußraum des Fahrzeugs zu fallen droht, der Fahrzeugführer unwillkürlich reagiert und dies zu verhindern sucht und dadurch häufig noch stärker vom gegenwärtigen Verkehrsgeschehen abgelenkt ist, als wenn er das Mobiltelefon – verbotswidrig – von vornherein in der Hand hält. Damit liegt eine gänzlich andere Konstellation vor, als wenn das Mobiltelefon in einer Halterung fest fixiert ist, bei der sich der Fahrer um die Stabilität des Geräts regelmäßig keine Gedanken machen muss …“

Der Wille des Verordnungsgebers spricht für eine weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Halten“ in § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 StVO

„Der Senat verkennt hierbei nicht, dass der Verordnungsgeber ausweislich der Verordnungsbegründung davon ausgegangen ist, dass unter ,Halten‘ ein ,in der Hand Halten‘ zu verstehen ist und es dabei bleiben soll, dass das Annehmen eines Telefongesprächs durch Drücken einer Taste oder das Wischen über den Bildschirm eines Smartphones zu diesem Zweck erlaubt bleiben soll, soweit das Mobiltelefon nicht in die Hand genommen wird (BR-Drs. 556/17 S. 25, 26). Für die Auslegung sind aber nicht einzelne Passagen der Verordnungsbegründung, sondern primär der vom Verordnungsgeber verfolgte Zweck maßgeblich, soweit die entsprechende Auslegung mit dem Wortlaut der Norm in Übereinstimmung zu bringen ist (OLG Köln a.a.O.). Zwar hat der Verordnungsgeber der Benutzung von elektronischen Geräten mit den Händen eine erhöhte Ablenkungsgefahr beigemessen, er hat aber gesehen, dass auch fahrfremde Tätigkeiten jenseits solcher Fallgestaltungen eine die Verkehrssicherheit gefährdende Ablenkungswirkung entfalten können (vgl. nur BR-Drs. 556/17 S. 12). Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sowie mit Blick auf etwaige Nachweisschwierigkeiten hat er jedoch bei der Neufassung der Vorschrift davon abgesehen, die Nutzung elektronischer Geräte während des Führens eines Fahrzeugs gänzlich zu untersagen. Ausweislich der Verordnungsbegründung sollte die Nutzung von Geräten aus den in der Vorschrift genannten Gerätekategorien im Interesse der Verkehrssicherheit aber an die Erfüllung der strengen Anforderungen geknüpft werden, die in § 23 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 und 2 StVO normiert sind. Der Wille des Verordnungsgebers spricht deshalb für eine weite, die Wortbedeutung ausschöpfende Auslegung des Tatbestandsmerkmals (vgl. BGH a.a.O. für die Auslegung, dass auch ein Taschenrechner ein elektronisches Gerät i.S.v. § 23 Abs. 1a StVO darstellt). Auch von daher erscheint es geboten, fahrfremde Tätigkeiten wie das Halten und Benutzen eines elektronischen Geräts auf dem Oberschenkel, bei dem ebenfalls die Gefahr der Ablenkung des Fahrzeugführers verbunden mit einer körperlich eingeschränkten Bewegungssituation gegeben ist, als verboten anzusehen, nachdem dies der Wortlaut der Vorschrift des § 23 Abs. 1a StVO als äußerste Auslegungsgrenze hier zulässt (so zutreffend OLG Köln a.a.O. für die Nutzung eines vom Fahrzeugführer während der Fahrt zwischen Ohr und Schulter eingeklemmten Mobiltelefons).“

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 10.1.2022 – 201 ObOWi 1507/21

Der Beitrag stammt aus der FstBY 9/2022, Rn. 110.