Rechtsprechung Bayern

Befriedung von Grundflächen aus ethischen Gründen gemäß § 6a BJagdG

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Grundflächen, die zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehören und im Eigentum einer natürlichen Person stehen, sind gemäß § 6a Abs. 1 Satz 1 BJagdG auf Antrag des Grundeigentümers zu befriedeten Bezirken zu erklären (Befriedung), wenn der Grundeigentümer glaubhaft macht, dass er die Jagdausübung aus ethischen Gründen ablehnt. Zu den konkreten Anforderungen an eine Glaubhaftmachung ist dem unten vermerkten rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts München (VG) vom 13.12.2021 Folgendes zu entnehmen:

1. Was sind „ethische Gründe“ im Sinne des § 6a BJagdG?

„Der unbestimmte Rechtsbegriff der ,ethischen Gründe‘ ist im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auszulegen, die zur Einführung des § 6a BJagdG geführt hat (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/12046, S. 7)1). Danach setzt die Ablehnung der Jagd aus ethischen Gründen eine tief verankerte persönliche Überzeugung voraus, die ein gewisses Maß an Kraft, Kohärenz und Bedeutung besitzt, einen gewissen Grad von Entschiedenheit, Geschlossenheit und Wichtigkeit erreicht und daher in einer demokratischen Gesellschaft Achtung verdient …

Hierbei wird von der überwiegenden Rechtsprechung und der Literatur, teilweise unter Heranziehung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.12.1960 – 1 BvL 21/60 – juris Rn. 30), das Vorliegen einer entsprechenden, an den Kategorien von ,Gut‘ und ,Böse‘ orientierten Gewissensentscheidung für erforderlich erachtet (vgl. OVG NW, Urteil vom 13.12.2018 – 16 A 1834/16 – juris Rn. 54 ff.; … vgl. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/12046, S. 8).

Ethische Gründe i.S.v. § 6a Abs. 1 Satz 1 BJagdG liegen nach diesem Verständnis vor, wenn der Grundstückseigentümer aufgrund einer in sich geschlossenen, individuellen Überzeugung die Jagd an sich ablehnt und diese Ablehnung innerlich als für sich unbedingt verpflichtend empfindet, sodass er die weitere Jagdausübung auf seinem Grundstück nicht ohne ernste Gewissensnot hinnehmen kann (vgl. OVG NW, Urteil vom 13.12.2018 – 16 A 1834/16 – juris Rn. 58; Urteil vom 28.6.2018 – 16 A 138/16 – juris Rn. 42). Eine ernsthafte Gewissensentscheidung ist i.S.d. § 6a Abs. 1 Satz 1 BJagdG glaubhaft gemacht, wenn sie durch konkrete Anhaltspunkte und objektive Umstände sowie die Schilderung der zugrundeliegenden Motivation in einer Weise nachvollziehbar gemacht wird, die das Vorhandensein ethischer Gründe für die Ablehnung der Jagd zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lässt (vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 19.2.2021 – 5 A 633/17 – juris Rn. 35; …).

Hingegen ist nach aktueller Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die nach seiner Auffassung teilweise an der Konventionsrechtsprechung vorbeigehende Bestimmung des § 6a Abs. 1 Satz 1 BJagdG so auszulegen, dass die freiheitliche Jagdausübung auch von kleinen Grundeigentümern in Zwangsvereinigungen abgelehnt werden darf, die keine natürlichen Personen sind, dass die Bestimmung keine Gewissensprüfung o.Ä. fordert und dass sich aus dem Erfordernis der Glaubhaftmachung – angesichts der grundsätzlichen Zulässigkeit einer ethischen Jagdgegnerschaft – lediglich ergibt, dass der Antragsteller die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 3 BJagdG erfüllen und darüber hinaus sonstige Anhaltspunkte dafür ausräumen muss, dass seine Haltung nur oberflächlich, widersprüchlich oder trivial ist (vgl. BayVGH, Urteil vom 28.5.2020 – 19 B 19.1715 – juris Rn. 151 ff.; …).“

2. Glaubhaftmachung der Ablehnung der Jagd aus ethischen Gründen

„Nach beiden Maßstäben haben die Kläger, die je zur Hälfte Miteigentümer der streitgegenständlichen Grundstücke sind, glaubhaft gemacht, dass sie die Jagd aus ethischen Gründen ablehnen.

In ihrem Antrag auf Befriedung der streitgegenständlichen Grundstücke … haben die Kläger zwar zunächst nur allgemein angegeben, die Jagdausübung aus ethischen Gründen abzulehnen und dies … ohne tiefere Ausführungen dahingehend ergänzt, dass es gegen ihr moralisches und ethisches Empfinden verstoße, wenn auf ihren Grundstücken Wildtiere getötet würden.

In der mündlichen Verhandlung…hat der Kläger zu 1) jedoch im Rahmen der Beweiserhebung durch Parteieinvernahme das Vorliegen ethischer Gründe ausführlich und nachvollziehbar dargelegt…Aus seinen Angaben wurde deutlich, dass sich die Kläger seit vielen Jahren mit der Jagd, den hieraus resultierenden Folgen für die Tiere sowie dem Tierschutz insgesamt intensiv auseinandergesetzt haben. Zudem hat der Kläger zu 1) eindrücklich geschildert, dass die Kläger insbesondere aufgrund der unmittelbaren Nähe der zu befriedenden Grundstücke zu dem eigenen Wohnhaus den Tötungsprozess hautnah miterleben und wegen der zumeist in den Morgen- und Abendstunden stattfindenden Jagd in ihrer Nachtruhe gestört werden. Dass dies für die Kläger aufgrund ihrer ethischen Jagdgegnerschaft insgesamt zu einer starken psychischen Belastung führt und sie aufgrund dieser Gesamtumstände persönlich besonders betroffen sind, ist aus Sicht des Gerichts naheliegend. Objektive Anzeichen für die innere Einstellung der Kläger zeigen sich in ihren rund zwanzigjährigen Aktivitäten für den Tierschutz sowie ihrem Verzicht auf den Verzehr von Fleisch. So hat der Kläger zu 1) durch Vorlage von Spendenbescheinigungen u.a. belegt, dass er die Einrichtung ,Vier Pfoten – Stiftung für Tierschutz‘ in den Jahren 2015 bis 2018 mit einem hohen finanziellen Betrag unterstützt hat. Widersprüche im klägerischen Vorbringen sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Kläger zu 1) plausibel erläutert, dass die Kläger, obwohl sie die Jagd bereits im Zeitpunkt des Erwerbs der Grundstücke im Jahr 1991 als belastend empfunden hätten, erst im Zusammenhang mit der einschlägigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die Idee gekommen seien, einen Befriedungsantrag zu stellen. Aufgrund des klägerischen Vorbringens hat das Gericht keine Zweifel daran, dass die Kläger eine grundsätzliche Gewissensentscheidung gegen die Jagd getroffen und das Vorliegen ethischer Gründe i.S.d. § 6a Abs. 1 Satz 1 BJagdG glaubhaft gemacht haben…

Nach alledem erfüllen die klägerischen Angaben unzweifelhaft zugleich die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der ethischen Jagdgegnerschaft i.S.d. § 6a Abs. 1 BJagdG, wenn die Vorschrift im Lichte der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ausgelegt wird und deshalb die Art (Rationalität, Nachvollziehbarkeit o.Ä.) der Werte, die der Jagdgegnerschaft zugrunde liegen, im Befriedungsverfahren nicht zu überprüfen ist … Anhaltspunkte dafür, dass die Haltung der Kläger nur oberflächlich, widersprüchlich oder trivial ist oder die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 3 BJagdG vorliegen, sind nicht im Ansatz ersichtlich.

Entgegen der Annahme des Beklagten und der Beigeladenen stehen der Befriedung der streitgegenständlichen Grundstücke auch keine Versagungsgründe nach § 6a Abs. 1 Satz 2 BJagdG entgegen.2

 

1 Vgl. FStBay Randnummern 129/2013 und 126/2014

2 Wird im Einzelnen vom Gericht begründet

Lesen Sie den gesamten Beitrag in der FstBY, 11/2022, Rn. 138.