Rechtsprechung Bayern

Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum

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Art. 14 GG; § 47 VwGO; Art. 1 ZwEWG; Art. 26, 51 GO (Zweckentfremdungssatzung; fehlender Stadtratsbeschluss; Wohnraummangel; Begründungserfordernis)

Amtliche Leitsätze:

  1. Darf eine Zweckentfremdungssatzung kraft vorrangigen Landesrechts nur eine Geltungsdauer von maximal fünf Jahren aufweisen (Art. 1 Satz 1 ZwEWG), die nach einem gescheiterten Ersterlass durch einen zweiten Vollzugsversuch um rund eineinhalb Jahre prolongiert werden soll, ist ein erneuter Stadtratsbeschluss erforderlich, da der Normgeber jeweils eine neue Prognoseentscheidung über die weitere (Fort-)Dauer der Wohnraummangellage zu treffen hat und die maximale Geltungsdauer des Zweckentfremdungsverbots dadurch wesentlich in die Zukunft verschoben wird.
  2. Zur sachgerechten Wahrnehmung der durch Art. 1 Satz 1 ZwEWG eingeräumten Rechtssetzungskompetenz ist es – jedenfalls bei erstmaliger Ausübung der insoweit eröffneten Befugnis – von Verfassungs wegen geboten, das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage bereits zum Zeitpunkt des Satzungserlasses in nachvollziehbarer Weise öffentlich darzulegen und zu begründen.
  3. Die Grund- und Wohnungseigentümer, in deren Rechte aus Art. 14 Abs. 1 GG durch den Erlass einer Zweckentfremdungssatzung eingegriffen wird, haben Anspruch darauf, die Gründe zu erfahren, die aus der Sicht des Satzungsgebers den Normerlass tragen (sollen); denn nur so sind sie in der Lage, ihre Rechte sach- und interessengerecht wahrzunehmen (vgl. hierzu grundlegend BVerfG, U.v. 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32/44, juris Rn. 41 „Elfes“).
  4. Der Normgeber hat sich über die tatsächlichen Grundlagen seines Handelns auf der Basis verlässlicher Quellen ein eigenes Bild zu verschaffen (vgl. BVerfG, B.v. 12.05.1992 – 2 BvR 470/90 u. a. – BVerfGE 86, 90/112, juris Rn. 57). Hierzu muss er den maßgeblichen Sachverhalt ermitteln und hinreichend sichere Feststellungen, insbesondere über Art, Ausmaß und Gewicht des beabsichtigten Eingriffs in die Rechte des Einzelnen einschließlich etwaiger Folgewirkungen treffen, gegebenenfalls auch gegenläufige Interessen mitberücksichtigen, der Betätigung seines Rechtssetzungsermessens zugrunde legen (vgl. BVerfGE, 86, 90/112, juris Rn. 57) und diese Erkenntnisse und Einschätzungen zeitgleich mit dem Normerlass in sinnvollerweise mit dem Normtext verbundener Art und Weise öffentlich allgemein zugänglich machen.
  5. Eine bloße (nachträgliche) Begründbarkeit entspricht nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen einer im Lichte des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) und der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) gebotenen Prozeduralisierung. Nicht die nachgeschobenen Erläuterungen der Verwaltung des Rechtsträgers, sondern ausschließlich die im Zeitpunkt der Rechtssetzung tatsächlich angestellten und zugleich auch dokumentierten Erwägungen des Normgebers, also des Kollegialorgans selbst, tragen den Satzungserlass.
  6. Hat der Normgeber es nicht mit einem generellen Wohnraummangel, sondern „lediglich“ mit einem Fehlen besonders günstiger – „bezahlbarer“ – Wohnungen zu tun, so muss er im Lichte der von Verfassungs wegen gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung unter dem Gesichtspunkt der „Geeignetheit“ bereits im Zeitpunkt des Satzungserlasses in der Sache nachvollziehbar aufzeigen und allgemein zugänglich begründen, weshalb durch den Erlass einer Zweckentfremdungssatzung gleichwohl ein signifikanter Beitrag zur Verbesserung der Wohnraumsituation im unteren Angebotsbereich zu erwarten ist.

BayVGH, Beschluss vom 03.06.2022, 12 N 21.1208 (nicht rechtskräftig)

Zum Sachverhalt:

Die Antragstellerin begehrt, im Wege der Normenkontrolle die Satzung der Antragsgegnerin über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwES) vom 20. November 2020 für unwirksam zu erklären.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin mehrerer Immobilien im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Der Stadtrat der Antragsgegnerin beschloss auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsgesetz – ZwEWG) vom 10. Dezember 2007 (GVBl. S. 864), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Juni 2017 (GVBl. S. 182), in seiner Sitzung vom 23. Juli 2019 eine Zweckentfremdungssatzung (ZwES), die im Amtsblatt der Antragsgegnerin Nr. 14 – 2019 – vom 26. Juli 2019 veröffentlicht wurde.

Am 27. Juli 2020 stellte die Antragstellerin gegen diese Satzung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einen Normenkontrollantrag (Az. 12 N 20.1726).

Unter dem 20. November 2020 fertigte die Antragsgegnerin diese Satzung erneut aus und machte sie am 4. Dezember 2020 (Amtsblatt Nr. 23 – 2020 – vom 4. Dezember 2020) mit dem Geltungsbeginn des auf den Bekanntmachungstag folgenden Tages bekannt.

Der Senat wies mit Urteil vom 27. September 2021 (12 N 20.1726 – juris Rn. 18), mit dem er die Satzung der Antragsgegnerin vom 26. Juli 2019 für unwirksam erklärte, zugleich darauf hin, dass mit der zweiten Bekanntmachung vom 4. Dezember 2020 eine zweite Satzung mit einer erneut fünfjährigen Geltungsdauer in Kraft gesetzt worden sei, ohne dass die zweite Satzung – mangels entsprechender Anordnung – Rückwirkung entfalte, sodass – bis zur Unwirksamkeitsentscheidung mit Urteil vom 27. September 2021 (a. a. O.) – zwei inhaltlich gleichlautende Satzungen mit unterschiedlichen, sich sogar überschneidenden Laufzeiten bestanden hätten.

Mit Schriftsatz vom 23. April 2021 stellte die Antragstellerin Antrag auf Normenkontrolle betreffend die zweite Satzung vom 20. November 2020. Sie vertritt die Auffassung, dass für diese zweite Satzung ein erneuter Stadtratsbeschluss erforderlich gewesen sei, der jedoch nicht vorliege. Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Satzung der Antragsgegnerin über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWS), ausgefertigt am 20. November 2020, veröffentlicht im Amtsblatt der Stadt B. Nr. 23 am 4. Dezember 2020, für unwirksam zu erklären.

 

Entnommen aus den Bayerischen Verwaltungsblättern, 21/2022, S. 740.