Rechtsprechung Bayern

Straßenverkehrsrechtliche Beseitigungsanordnung

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Gegenstand des unten vermerkten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 8.6.2022 war die Verpflichtung eines Unternehmens, den Schriftzug „Das schönste Wappen auf der Welt, das ist der Pflug im Ackerfeld“ an einer landwirtschaftlichen Lagerhalle wegen der Gefahr der Ablenkung von Verkehrsteilnehmern zu entfernen oder abzudecken.

Das Unternehmen hatte diesen Schriftzug und zwei Fassadengemälde (eines davon mit dem Firmenlogo) von einer Künstlerin an der Halle anbringen lassen. Die Fassade mit den Abbildungen und dem Schriftzug ist von einer ortseinwärts führenden Bundesstraße aus sichtbar und befindet sich etwa auf Höhe der Ortstafel. Das Unternehmen hatte gegen die Beseitigungsanordnung den Einwand erhoben, eine Verkehrsgefährdung liege nicht vor. Außerdem handele es sich bei dem Schriftzug und den Gemälden um Kunst i.S.v. Art. 5 Abs. 3 GG.

Die Beschwerde des Unternehmens gegen die Ablehnung seines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz durch das Verwaltungsgericht hatte keinen Erfolg. Der VGH kam zu dem Ergebnis, bei einer Gefährdung durch Ablenkung von Verkehrsteilnehmern außerhalb geschlossener Ortschaften sei eine Beseitigungsanordnung auch dann gerechtfertigt, wenn die Werbung oder Propaganda dem Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterfalle oder andere Grundrechte des Verpflichteten aus Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) oder Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentum) betroffen seien.

  1. Rechtliche Rahmenbedingungen bei der Ablenkung von Verkehrsteilnehmern durch Werbung oder Propaganda

„Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) … ist außerhalb geschlossener Ortschaften jede Werbung und Propaganda durch Bild, Schrift, Licht oder Ton verboten, wenn dadurch am Verkehr Teilnehmende in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden können. Auch durch innerörtliche Werbung und Propaganda darf der Verkehr außerhalb geschlossener Ortschaften nicht in solcher Weise gestört werden (§ 33 Abs. 1 Satz 2 StVO). Wer hiergegen vorsätzlich oder fahrlässig verstößt, begeht eine Ordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 28 StVO, die mit einem Bußgeld geahndet und nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 2 des Gesetzes über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG) … durch die zuständige Sicherheitsbehörde untersagt werden kann.“

  1. Mögliche Ablenkung von Verkehrsteilnehmern im konkreten Fall

Anhand der konkreten Umstände kommt der VGH zu dem Ergebnis, dass eine Ablenkung von Verkehrsteilnehmern durch den Schriftzug nicht auszuschließen ist:

„Der von der Antragstellerin auf der Halle angebrachte Schriftzug erfüllt den Verbotstatbestand des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 StVO. Der Standort der Halle liegt zwar noch innerorts, wofür die Ortstafel (Zeichen 310 nach Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO) maßgebend ist…Der Schriftzug kann aber bereits außerhalb der geschlossenen Ortschaft von Verkehrsteilnehmern wahrgenommen werden und ist auch darauf ausgerichtet. Auf der Bundesstraße aus Richtung D. kommend ist die Halle, auf deren Frontseite der Schriftzug angebracht ist, das erste Gebäude am Ortseingang; die davor liegenden Grundstücksflächen sind unbebaut.

Durch den Schriftzug können Verkehrsteilnehmer auf der Bundesstraße vor Erreichen der Ortstafel in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt werden. Für eine nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 StVO relevante Gefährdung reicht im Hinblick auf den hohen Rang der Schutzgüter Leib und Leben eine abstrakte Gefahr ohne Nachweis konkret entstandener Verkehrsgefahren oder -unfälle und damit die jedenfalls nicht entfernte Möglichkeit einer verkehrsgefährdenden Ablenkung und Beeinflussung der Verkehrsteilnehmer aus (vgl. BayVGH, Beschluss vom 30.4.2015 – 11 ZB 14.2563 – juris Rn. 9 f. und Urteil vom 28.7.20151) – 11 B 15.76 – DAR 2016, 104 = juris Rn. 23 m.w.N.; …). Eine konkrete, im Einzelfall feststellbare unmittelbare Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ist damit nicht erforderlich.

Zu einer Gefährdung kann der Schriftzug führen, indem er Verkehrsteilnehmer, die auf der Bundesstraße ortseinwärts fahren, ablenken kann. Bundesstraßen des Fernverkehrs (Bundesfernstraßen) sind öffentliche Straßen, die ein zusammenhängendes Verkehrsnetz bilden und einem weiträumigen Verkehr dienen oder zu dienen bestimmt sind (§ 1 Abs. 1 Satz 1 des Bundesfernstraßengesetzes – FStrG …). Der Verkehr auf der fraglichen Bundesstraße hat damit auch überörtlichen Charakter mit der Folge, dass nicht alle Verkehrsteilnehmer mit den Verhältnissen auf und neben der Straße vertraut sind. Dass ein Teil der Verkehrsteilnehmer aus der näheren Umgebung kommt und im fraglichen Abschnitt häufiger unterwegs ist, steht der Annahme einer Ablenkung somit nicht entgegen. Diese Ablenkung tritt dadurch ein, dass die Verkehrsteilnehmer die Fassadengemälde mit dem darüber angebrachten Schriftzug aufgrund ihrer Größe bereits vor Erreichen der geschlossenen Ortschaft wahrnehmen, den Schriftzug jedoch nicht mit einem kurzen beiläufigen Blick lesen können.

Es handelt sich um eine Kombination von Bild und Wort, die dazu verleitet, die Aufmerksamkeit nicht nur für einen kurzen Augenblick vom Straßenverkehr abzulenken. Auch die Länge des aus zwölf Wörtern bestehenden Schriftzugs trägt dazu bei, dass eine relevante Ablenkung vorliegt. Zwar sind der Schriftzug und die Gemälde aufgrund des Straßenverlaufs bereits aus größerer Entfernung sichtbar. Es ist jedoch davon auszugehen, dass viele Verkehrsteilnehmer den Schriftzug beim ersten Sichtbarwerden noch nicht lesen können und dass deren Aufmerksamkeit für den Straßenverkehr somit für längere Zeit beeinträchtigt ist.

Gegen die angenommene Ablenkung und die angefochtene Untersagung lässt sich auch nicht anführen, dass der Schriftzug nachts regulär unbeleuchtet und die Beleuchtung nur mit einem Bewegungsmelder versehen ist. Abgesehen davon, dass möglicherweise auch Tiere den Bewegungsmelder auslösen können, ist davon auszugehen, dass das Vorhandensein eines Schriftzugs auch aufgrund der Fahrzeugbeleuchtung wahrgenommen werden kann und sich Fahrzeugführer hierdurch ablenken lassen. Im Übrigen ist eine etwa nur bei Tageslicht vorzunehmende Abdeckung nicht praktikabel. Mit einer die Antragstellerin weniger belastenden, etwa zeitlich begrenzten Maßnahme kann daher die Gefährdung nicht ausreichend reduziert werden.

Schließlich steht der Untersagung auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin beabsichtigt, einen pflanzlichen Sichtschutz anzubringen. Zum einen erscheint fraglich, ob und wann dieser Sichtschutz überhaupt die erforderliche Höhe erreicht, um etwa auch Führer größerer Fahrzeuge mit einer höheren Sitzposition, insbesondere LKWs, ausreichend vor einer Ablenkung zu schützen. Zum anderen muss jedenfalls die nach wie vor bestehende Gefährdung während des Heranwachsens der Bepflanzung nicht hingenommen werden. Vielmehr erfordert die Verkehrsgefährdung ein umgehendes Einschreiten der Behörde und rechtfertigt daher auch die Anordnung des Sofortvollzugs.“

  1. Zum Einwand der Kunstfreiheit und der Verletzung anderer Grundrechte

Der VGH lässt offen, ob es sich bei dem Schriftzug um Propaganda oder um Werbung handelt und ob das Grundrecht der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) betroffen ist:

„Es kann auch dahinstehen, ob es sich bei dem Schriftzug allein oder in Verbindung mit den von der Untersagung nicht betroffenen Fassadengemälden um Propaganda (wie ursprünglich vom Landratsamt angenommen) oder um Werbung (so die Auffassung des Verwaltungsgerichts) und ob es sich, wovon wohl auszugehen sein dürfte, auch um Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG handelt.

Bei einer hier vorliegenden relevanten Gefährdung durch Ablenkung von Verkehrsteilnehmern ist angesichts des hohen Rangs der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit und der insoweit dem Staat obliegenden Schutzpflicht eine Beseitigungsanordnung auch dann gerechtfertigt, wenn die Werbung oder Propaganda dem Kunstbegriff des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unterfällt. Gleiches gilt für etwaige Grundrechte des von der Untersagung Betroffenen aus Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) oder Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentum).“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 8.6.2022 – 11 CS 22.926

Entnommen aus der Fundstelle Bayern, 20/2022, Rn. 250.