Rechtsprechung Bayern

Bauvorhaben: Hubarbeitsbühne ersetzt kein ausgeschriebenes Gerüst

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Darauf weist das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) in seinem unten vermerkten Beschluss vom 06.04.2022 hin. Ausgeschrieben war Folgendes: „Arbeitsgerüst einschließlich ggf. erforderlicher Gründung sowie ggf. erforderlicher Treppentürme und weiterer Leitergänge nach statischen, konstruktiven und sicherheitstechnischen Erfordernissen herstellen und beseitigen, für den Zeitraum der eigenen Leistung vorhalten und unterhalten.“

Die von der Vergabestelle (der Antragsgegnerin) nicht ausgeschlossene Bieterin (Beigeladene), deren Ausschluss die Antragstellerin erreichen wollte, um selbst den Zuschlag zu erhalten, hatte dazu ein Hubarbeitsgerüst angeboten. Das OLG führt aus: „Der Ausschluss des Angebots eines Bieters nach § 16 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A i.V. mit § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A setzt voraus, dass die Angaben in den Vergabeunterlagen, von denen das Angebot eines Bieters abweicht, eindeutig sind. Verstöße gegen interpretierbare oder missverständliche und mehrdeutige Angaben rechtfertigen keinen Ausschluss, da Zweifel an der Auslegung und fehlende eindeutige Vorgaben grundsätzlich zu Lasten des Auftraggebers gehen (Senat, Beschluss vom 16.8.2019 – Verg 56/18, Rn. 47, NZBau 2020, 249; …).

Was der öffentliche Auftraggeber nachgefragt hat, ist zunächst anhand der Leistungsbeschreibung einschließlich der anderen Vergabeunterlagen zu ermitteln. Für die Auslegung von Vergabeunterlagen ist auf die objektive Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters abzustellen, der mit der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung vertraut ist.

Maßgeblich ist nicht das Verständnis eines einzelnen Bieters, sondern wie der abstrakt angesprochene Empfängerkreis die Leistungsbeschreibung versteht. Unter Berücksichtigung dieses Auslegungsmaßstabs sind die Vergabeunterlagen aus der Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters vorliegend in Bezug auf die Leistungsposition Ziff. 04.00.0003 dahingehend eindeutig, dass ein Gerüst im klassischen Sinne, bestehend aus Gerüstbauteilen, ausgeschrieben wurde, wozu Hubarbeitsbühnen nicht zählen. So spricht bereits der Wortlaut der Leistungsposition dafür, dass ein Gerüst im herkömmlichen Sinne ausgeschrieben wurde … Die Leistungsposition stellt sowohl in ihrer Überschrift als auch in der Leistungsbeschreibung auf das ,Herstellen‘ eines Arbeitsgerüstes ab. Hubarbeitsbühnen müssen demgegenüber nicht ,hergestellt‘ werden.

Soweit die Antragsgegnerin einwendet, auch bei Hubarbeitsbühnen müsste jedenfalls der Arbeitsplatz hergestellt werden, rechtfertigt dies keine andere Auslegung, da Ziff. 04.00.0003 des Leistungsverzeichnisses ausdrücklich von einem Herstellen des Arbeitsgerüsts spricht. Insbesondere der Passus ,nach statischen, konstruktiven und sicherheitstechnischen Erfordernissen herstellen und beseitigen‘ vermag nicht auf eine Hubarbeitsbühne zu passen.

Gleiches gilt, soweit die Leistungsbeschreibung auf – wenn auch nur gegebenenfalls erforderliche – Gründungen, Treppentürme und Leitergänge abstellt, die sich nur bei klassischen Gerüsten finden… Ein von der Antragsgegnerin angenommenes weites Verständnis der ausgeschriebenen LV-Pos. 04.00.0003, welches mobile Hebebühnen umfasst, ergibt sich vorliegend auch nicht aus der Historie zum Grundtext ,Arbeitsgerüst herstellen‘ des STLK 116.[1] … Schließlich rechtfertigen auch die Fachregeln[2] keine weitergehende, über den eindeutigen Wortlaut der Ausschreibung hinausgehende Auslegung der streitgegenständlichen LV-Position 04.00.0003 dahingehend, dass auch Hubarbeitsbühnen erfasst werden.

Nach alledem ging es der Antragsgegnerin aus der objektiven Sicht eines verständigen Bieters bei der ausgeschriebenen Leistungsposition ,Arbeitsgerüst herstellen‘ erkennbar um die Errichtung eines klassischen aus Gerüstbauteilen bestehenden Gerüsts, so dass das Angebot der Beigeladenen nach § 16 Nr. 2 VOB/A i.V. mit § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A auszuschließen ist.“

Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 6.4.2022 – Verg 32/21

 

Entnommen aus der Gemeindekasse Bayern 23/2022, Rn. 231.

[1] Der Text der LV-Position entstammt dem Standardleistungskatalog für den Straßen- und Brückenbau, Leistungsbereich 116 Gerüste und Behelfsbrücken (STKL, Stand 2017).  Das OLG stellt die Historie im Einzelnen dar; von einer Wiedergabe wird abgesehen.

[2] Das OLG bezieht sich auf die „Fachregeln für den Gerüstbau – Fahrgerüste als fahrbare Gerüste oder fahrbare Arbeitsbühnen (FRG 3)“, die „DIN 4420-1 – Arbeits- und Schutzgerüste“, die „DIN 4420-3 „Arbeits- und Schutzgerüste, Teil 3“, die „DIN 18451 – Gerüstarbeiten“ und die „DIN EN 12811-1 Temporäre Konstruktion für Bauwerke – Teil 1: Arbeitsgerüste – Leistungsanforderungen, Entwurf, Konstruktion und Bemessung“. Von einer Wiedergabe der umfangreichen Ausführungen wird abgesehen.