Rechtsprechung Bayern

Widerruf von Fahrlehrerlaubnis und Fahrschulerlaubnis wegen sexueller Belästigung

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Mit dieser Thematik befasste sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) im unten vermerkten Beschluss vom 19.10.2021, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag:

Der Antragsteller ist Inhaber einer Fahrschule und alleiniger Fahrlehrer in seinem Betrieb. Ende September 2020 wurde der Antragsgegnerin aufgrund einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft bekannt, dass diese einen Strafbefehl wegen sexueller Belästigung in zwei Fällen (§ 184i Abs. 1 und 3, § 53 StGB) gegen den Antragsteller beantragt hatte, weil er am 18.06.2020 eine zum Tatzeitpunkt sechzehnjährige Fahrschülerin während einer Fahrstunde in zwei tatmehrheitlichen Fällen in sexuell bestimmter Weise berührt und dadurch belästigt hat, um sich sexuell zu erregen.

Gegen den vom Amtsgericht am 29.09.2020 erlassenen Strafbefehl legte der Antragsteller Einspruch ein.

Im Rahmen der Anhörung zum beabsichtigten Widerruf der Fahrlehr- und Fahrschulerlaubnis bestritt der Antragsteller die Beschuldigungen und erklärte den Sachverhalt im Wesentlichen mit Ungeschicklichkeiten der Fahrschülerin bei der Ausbildung. Er habe sich zwar nicht angemessen bzw. selbst ungeschickt verhalten, eine sexuelle Belästigung mit der Folge einer Unzuverlässigkeit lasse sich daraus jedoch nicht herleiten. Es handle sich um einen einmaligen Vorgang, der keine wiederholte gröbliche Pflichtverletzung darstelle, zumal er sich bislang beanstandungsfrei verhalten habe. Er sei bereit, Zuverlässigkeitszweifel durch Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auszuräumen.

Nachdem der Antragsteller seinen Einspruch gegen den Strafbefehl auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte, verurteilte ihn das Amtsgericht mit Urteil vom 03.03.2021 wegen sexueller Belästigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen.

Mit Bescheid vom 08.04.2021 widerrief die Antragsgegnerin die Fahrlehrerlaubnis (Nr. 1) und die Fahrschulerlaubnis des Antragstellers (Nr. 2) und ordnete unter Anordnung eines Zwangsgelds die Abgabe seines Fahrlehrerscheins und der Erlaubnisurkunde zum Betrieb der Fahrschule an (Nr. 3). Ferner untersagte sie ihm jeweils unter Anordnung eines Zwangsgelds die theoretische und praktische Ausbildung von Fahrschülerinnen und Fahrschülern mit Zugang des Bescheids (Nr. 4) und die Gewerbetätigkeit als Fahrschulbetreiber innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheids (Nr. 5). Darüber hinaus ordnete sie die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.

Gegen den Bescheid ließ der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht (VG) erheben und gleichzeitig beantragen, deren aufschiebende Wirkung wiederherzustellen, soweit die Klage sich nicht gegen die Androhung der Zwangsgelder richte. Das VG gab dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz insoweit statt, als er den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis hinsichtlich männlicher Fahrschüler, den Widerruf der Fahrschulerlaubnis, die Rückgabepflicht von Fahrlehrerschein und Fahrschulerlaubnisurkunde, das Verbot der theoretischen und praktischen Ausbildung von männlichen Fahrschülern und die Ausübung der Gewerbetätigkeit als Fahrschulbetreiber betraf. Den Widerruf der Fahrlehrerlaubnis bezüglich Fahrschülerinnen betreffend lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab, da insoweit die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 FahrlG erfüllt seien.

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hin änderte der VGH die Entscheidung des VG teilweise ab. Seinem Beschluss ist Folgendes zu entnehmen:

  1. Die Zuverlässigkeit für den Fahrlehrerberuf ist unter Anwendung der allgemeinen gewerberechtlichen Grundsätze zu beurteilen

„Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen (Fahrlehrergesetz – FahrlG) … ist die Fahrlehrerlaubnis u. a. dann zu widerrufen, wenn nachträglich die in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 FahrlG genannte Voraussetzung, d. h. das Nichtvorliegen von Tatsachen, die den Bewerber für den Fahrlehrerberuf als unzuverlässig erscheinen lassen, weggefallen ist.

Die Zuverlässigkeit ist unter Anwendung der allgemeinen gewerberechtlichen Grundsätze zu beurteilen, wonach ein Gewerbetreibender dann unzuverlässig ist, wenn er nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird. Die somit erforderliche Prognose ist ein aus den vorhandenen tatsächlichen Umständen gezogener Schluss auf wahrscheinlich zukünftiges Verhalten des Gewerbetreibenden. Ein einmaliges Fehlverhalten kann die Unzuverlässigkeit dann begründen, wenn es schwer wiegt und ein sicheres Symptom für eine Gesinnung oder Lebenseinstellung ist, die eine ordnungsgemäße Ausübung des angestrebten Berufs nicht erwarten lässt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 09.02.2011 – 11 CS 10.3056 – VD 2011, 261 = juris Rn. 9 m. w. N.).“

  1. Ein auf das Verbot der Ausbildung weiblicher Fahrschüler beschränkter Widerruf der Fahrlehrerlaubnis kommt nicht in Betracht

„Der Senat teilt … nicht die Auffassung des VG, dass der Widerruf der Fahrlehrerlaubnis nur insoweit rechtmäßig sei, als sie die Ausbildung von Fahrschülerinnen gestatte, und der Ausgang des Klageverfahrens offen sei, soweit die Antragsgegnerin die Fahrlehrerlaubnis auch hinsichtlich Fahrschülern widerrufen habe. Da die Erteilung einer geschlechtsspezifisch beschränkten Fahrlehrerlaubnis nicht dem durch die Ausbildungsordnung vorgegebenen Berufsbild entspricht, kommt ein Teilwiderruf mit dem Ergebnis, dass eine derart beschränkte Fahrlehrerlaubnis bestehen bliebe, nicht in Betracht.

Eine andere Beurteilung wäre nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann angebracht, wenn das vom Gesetzgeber umschriebene Berufsbild nicht von einem im gemeinen Wohl liegenden Zweck getragen wäre, der geeignet ist, die grundrechtsbeschränkenden Rechtsfolgen zu rechtfertigen bzw. wenn sich insoweit ein eigenständiges und abgrenzbares Berufsbild herausgebildet hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2010 – 3 C 22.09 – BVerwGE 137,1 = juris 14 zum Beruf des Logopäden; Urteil vom 26.08.2009 – 3 C 19.08 – BVerwGE 134, 345 = juris Rn. 18 ff. zur sektoralen Heilpraktikererlaubnis; a. A. in dem dem ,Logopädenurteil‘ vorhergehenden Berufungsurteil: OVG NW, Urteil vom 20.05.2009 – 13 A 2569/06 – GewArch 2009, 404 = juris Rn. 28 ff.). Dies kann jedoch für den Beruf des Fahrlehrers weder rechtlich noch tatsächlich angenommen werden.

Durch die gesetzgeberische Fixierung des Berufsbilds wird notwendigerweise auch der Rahmen bestimmt, auf den sich die berufsrechtlichen Zugangsvoraussetzungen beziehen. Insoweit gilt für die Zuverlässigkeit nichts anders als für andere Zugangsvoraussetzungen, etwa die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten oder die körperliche Eignung. Sie müssen in einem Maße vorhanden sein, das den Anforderungen des gesetzlichen Berufsbilds entspricht und sie ausfüllt. Das gilt für den Berufszugang durch Erteilung der Erlaubnis wie für deren Widerruf.

Da eine Erteilung der Erlaubnis ausscheidet, wenn der Antragsteller keine Gewähr dafür bietet, seine Berufspflichten – und zwar alle – zuverlässig zu erfüllen, steht es spiegelbildlich einem Widerruf nicht entgegen, dass er einem Teil seiner Berufspflichten nach wie vor zuverlässig nachkommt. In diesem Sinne ist die berufsrechtliche Zuverlässigkeit unteilbar (BVerwG, Urteil vom 28.04.2010 a. a. O. Rn. 13; vgl. auch VG Stuttgart, Urteil vom 03.05.2012 – 8 K 2956/11 – juris Rn. 51, 53: keine Teilbarkeit der Fahrlehrerlaubnis hinsichtlich des praktischen und theoretischen Unterrichts; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 14.01.2009 – 7 K 3839/08 – juris Rn. 18: keine Teilbarkeit der Zuverlässigkeit hinsichtlich verschiedener Fahrerlaubnisklassen).

Auch die sonstige obergerichtliche Rechtsprechung ist ersichtlich von einer Unteilbarkeit der Fahrlehrerlaubnis ausgegangen, auch wenn die Frage nicht ausdrücklich erörtert worden ist (vgl. OVG NW, Beschluss vom 28.11.2005 – 8 B 1744/05 – juris; Beschluss vom 07.06.2002 – 8 B 636/02 – juris). Die Entscheidung im Hauptsacheverfahren kann damit insoweit nicht als offen angesehen werden. Vielmehr ist nach Aktenlage davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die Fahrlehrerlaubnis zu Recht widerrufen hat.“

 

Entnommen aus der Fundstelle Bayern, 21/2022, Rn. 262