Rechtsprechung Bayern

Armbewegung als Hitlergruß

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Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft beantragte den Erlass eines Strafbefehls gegen den Angeschuldigten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß §§ 86 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Dem Angeschuldigten wurde zur Last gelegt, bei einer Versammlung vor etwa 130 Teilnehmern einer Demonstration der … zum Thema „Gesund ohne Zwang“ im Rahmen seines Redebeitrags gegen 15.20 Uhr den rechten Arm zum sogenannten Hitlergruß erhoben zu haben.

Das Amtsgericht lehnt den Erlass des Strafbefehls aus tatsächlichen Gründen ab. Der hiergegen gerichteten Beschwerde der Staatsanwaltschaft blieb der Erfolg versagt.

StGB – § 86a

Bei einer Rede vor einem Publikum kommt es für die Sicht eines objektiven Beobachters, aus dessen Sicht ein Hitlergruß vorliegt, nicht entscheidend darauf an, was jemand sieht, der seitlich zur Bühne steht, sondern gerade auch die Sicht des frontalen Beobachters ist entscheidend, da sich der Redner an die vor ihm stehenden Demonstranten wendet.

Es kommt stets auf den Gesamtkontext hinsichtlich Bewegungsabläufe und Redeinhalt an.

Landgericht München I (Beschl. v. 08.09.2022 – 18 Qs 34/22, Verlags-Archiv Nr. 2023-02-04)

Aus den Gründen

(…) Im Beschluss wird ausgeführt, dass der Erlass des Strafbefehls gemäß § 408 Abs. 2 StPO abzulehnen war, da ein hinreichender Tatverdacht nicht bestehe. Beweismittel für die Tat seien zwei Videoaufnahmen, eine aus frontaler, eine aus seitlicher Perspektive. Insbesondere aus der frontalen Videoaufzeichnung lasse sich erkennen, dass die Bewegung des Armes im Rahmen der Rede erfolge. Die Außenfläche der Hand zeige nach außen, nicht nach oben. Zudem sei der Daumen nicht angelegt. Die Bewegung werde nicht wie die exakte Ausführung eines Hitlergrußes ausgeführt.

Das Amtsgericht führt weiter aus, dass auch eine zum Verwechseln ähnliche Geste nicht zu erkennen sei. Der Angeschuldigte steigere sich, wie in den Videoaufnahmen zu sehen sei, im Rahmen der Rede und steigere dabei auch seine Gestik des rechten Armes. Unter diesen Umständen sei nicht von einem entsprechenden Vorsatz auszugehen, ein Hitlergruß zu machen. Dies sei auch aus Sicht eines objektiven Empfängers nicht gegeben. Auch der Inhalt der Rede sei nicht dergestalt, dass an der Stelle ein Hitlergruß zu erwarten sei. Ein hinreichender Tatverdacht bestehe damit nicht.

Gegen diesen Beschluss, der Staatsanwaltschaft am 09.08.2022 zugestellt, legte die Staatsanwaltschaft München I mit Schriftsatz vom 11.08.2022 sofortige Beschwerde ein. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der objektive Tatbestand durch die angeklagte Tathandlung erfüllt sei, es sei ausreichend, wenn aus seitlicher Sicht die Geste als Hitlergruß anzusehen gewesen sei. Es sei ausreichend, dass diese nicht exakt nachgemacht werde. Zudem werde dem Angeschuldigten ein Vorsatz nachzuweisen sein, da er politisch und geschichtlich vorgebildet sei.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft München I ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das Beschwerdegericht tritt der Auffassung des Amtsgerichts bei, dass es sich bei der Geste des Angeschuldigten zwanglos um eine zufällige Geste im Rahmen der Rede handeln kann und kein hinreichender Tatverdacht dahingehend besteht, dass hier bewusst eine dem Hitlergruß ähnliche Geste gezeigt wurde. Auf die Begründung des Amtsgerichts wird vollinhaltlich Bezug genommen.

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft kommt es für die Sicht des objektiven Beobachters, aus dessen Sicht ein Hitlergruß vorliegt, nicht entscheidend darauf an, was jemand sieht, der seitlich zur Bühne steht, sondern gerade auch die Sicht des frontalen Beobachters ist entscheidend, da sich der Redner an die vor ihm stehenden Demonstranten wendet. Bei dieser frontalen Sicht ist bei dem abgespreizten Daumen und der nach innen gerichteten Handinnenfläche ein Hitlergruß – oder eine dem Hitlergruß ähnliche Geste – nicht zu erkennen.

Gegen eine Auslegung dieser Armbewegung als Hitlergruß spricht auch, dass von den Polizeibeamten, die in größerer Zahl bei der Demonstration eingesetzt waren, keine entsprechende Anzeige erstattet wurde. Offensichtlich wurde die Armbewegung in der Rededynamik nicht als Hitlergruß aufgefasst. Die Anzeigenerstattung erfolgte online aufgrund des Videos aus der seitlichen Perspektive. Die Anzeigenerstattung ist nachvollziehbar (…), für die Beweiswürdigung sind aber alle Beweismittel, insbesondere alle Videos zu beurteilen. Zu Recht weist die Verteidigung in diesem Zusammenhang darauf hin, dass verschiedene Politiker schon bei einer Geste fotografiert wurden, bei denen sie scheinbar einen Hitlergruß zeigen (…, wobei Fotomontagen bei diesen Bildern nicht ausgeschlossen werden können). Es kommt daher auf den Gesamtkontext hinsichtlich Bewegungsabläufe und Redeinhalt an. Danach ist, wie das Amtsgericht zu Recht ausgeführt hat, die Tat nicht nachweisbar.

Anmerkungen

Das Heben des rechten Arms zum sogenannten Hitlergruß kann tatbestandlich von der Strafnorm des § 86a StGB als Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen erfasst sein.

Mittel zur Verwirklichung des Schutzguts des § 86a StGB ist das strafbewehrte Verbot der Verwendung der in Abs. 2 der Strafnorm bezeichneten Kennzeichen. Die Kennzeichen hat der Gesetzgeber von ihrem äußeren Erscheinungsbild her bestimmt und hieran die Strafbarkeit angeknüpft. Die Norm ist als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet (BVerfG, Beschl. vom 23.03 2006 – 1 BvR 204/03).

Mit § 86a StGB sollen entsprechende Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland „verbannt“ werden (BGHSt 25, 30, 33).

Um zu einer strafrechtlichen Relevanz zu gelangen, müssen sämtliche tatbestandliche Voraussetzungen – einschließlich des subjektiven Tatbestandes – verwirklicht worden sein und ein entsprechender Nachweis dem Beschuldigten gegenüber erfolgen können. Sofern kein Geständnis vorliegt, muss eine solche Nachweisführung anhand des äußeren Erscheinungsbildes der Handlung erfolgen.

 

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv, 02/2023, Lz. 312.