Gesetzgebung

Das bayerische Rotwildmanagement: zeitgemäß und rechtskonform? (1)

© Leiftryn - stock.adobe.com

Die Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Jagdgesetzes (AVBayJG) sieht vor, dass das Hegen und Aussetzen von Rotwild in der freien Natur nur in festgelegten Rotwildgebieten zulässig ist (§ 17 Abs. 1 AVBayJG). Jagdreviere im Freistaat sind rotwildfrei zu machen und zu halten (§ 17 Abs. 2 AVBayJG). Die lange Zeit fehlende öffentliche Diskussion, gerade mit Blick auf die Lebensraumansprüche und die langfristige Überlebensfähigkeit des Rotwildes, ist durchaus überraschend und dürfte ihre Ursache darin haben, dass das bayerische Rotwildmanagementkonzept in der Bevölkerung bis heute weitgehend unbekannt und eine durch die Gesellschaft forcierte Revision ausgeblieben ist. Der nachfolgende Beitrag möchte sich dem Thema widmen und einige Rechtsfragen, welche mit ihm in Zusammenhang stehen, beleuchten (Teil 1).

I. Wildbiologische Aspekte

Das Rotwild beziehungsweise der Rothirsch (cervus elaphus) – die Bezeichnung erfasst männliche, weibliche und Jungtiere gleichermaßen – ist ein großer,[1] wiederkäuender Pflanzenfresser, der von Natur aus offene und halboffene Landschaften, Wälder mit einer Mischung aus kleinflächigen Lichtungen oder lückigen Altbeständen wie auch deckungsreichere Waldtypen bevölkert. Es zählt zu den Hirschartigen (cervidae) und nimmt, als intermediärer Äsungstyp, eine Mischung aus pflanzlicher Nahrung auf.

Es ist dabei anpassungsfähiger als zum Beispiel das Rehwild: Den höchsten Anteil der Nahrung (Äsung) macht Gras aus, daneben werden Wildkräuter, Waldfrüchte, Getreide und sonstige Feldfrüchte, Obst und Pilze aufgenommen. Auch Knospen und Zweige von Bäumen werden geäst, weshalb Verbissschäden an Forstpflanzen auch auf das Rotwild zurückgeführt werden können. Daneben kommt es zu so genannten „Schälschäden“, wenn die Rinde von Bäumen – insbesondere Fichten – abgezogen wird.

In nicht jagdlich genutzten Gebieten oder bei einem auf kurze Zeiträume beschränkten Jagddruck nutzt das von Natur aus tagaktive Rotwild offene Flächen und wird „vertraut“, das heißt für den Menschen sichtbar. Hingegen reagiert es auf Störungen, insbesondere Jagddruck, empfindlich, wird „heimlich“ und zunehmend nachtaktiv. Hieraus folgen erhöhte Stresswerte, Auffälligkeiten im Sozialverhalten sowie ein Anstieg des Stoffwechsels und damit auch des Nahrungsbedarfes, welcher nicht nur, aber vor allem im Winter den Verbiss und Schälschäden fördert.

Es gehört zum natürlichen Verhaltensrepertoire des Rotwildes als sozialem Rudeltier, dass es – mit Ausnahme alter, einzelgängerischer männlicher Hirsche – das ganze Jahr über Kontakt zu seinen Artgenossen hält. Größere Wanderungen werden insbesondere von männlichen Tieren vollzogen, die hierdurch für den genetischen Austausch zwischen den im gesamten natürlichen Verbreitungsgebiet vorkommenden Populationen sorgen würden.

Gerade diese Wanderbewegungen sind jedoch heute nicht mehr möglich: Nicht nur der jahreszeitliche Wechsel zwischen (z. B.) den höheren Lagen der bayerischen Alpen (Sommereinstände) und dem Flachland (Wintereinstände) wird durch Straßen, Siedlungen und sonstige Hürden erschwert. Hinzu kommen Barrieren in Form der Rotwildbewirtschaftungszonen, welche den Lebensraum und die Wanderbewegungen einengen.

II. Rotwildgebiete und rotwildfreies Gebiet

Das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) erarbeitete bereits in den 1960er-Jahren ein Konzept, das die Jagdreviere im Freistaat Bayern in Rotwildgebiete und rotwildfreie Zonen teilte. Ziel war es, die damals im Fokus stehenden, durch das Rotwild verursachten Verbiss-, Schäl- und Fraßschäden im Interesse der Grundbesitzer und mit Rücksicht auf die Landeskultur zu reduzieren.

1. Beschränkung des Rotwildlebensraumes

Um die Schadensminderung zu erreichen, wurden Bewirtschaftungszonen festgelegt, innerhalb derer das Rotwild zu hegen (§ 1 Abs. 2 BJagdG) und nach behördlichen Abschussplänen zu bejagen war. Diese Managementzonen teilen sich heute, nach mehreren Anpassungen – so die Anlage 3 der AVBayJG – in die Rotwildgebiete Oberbayern Hochgebirge (Ost und West), Oberbayern Isarauen, Schwaben, Bayerischer Wald, Oberpfalz Süd, Oberpfalz Nord und Veldensteiner Forst, Fichtelgebirge, Haßberge, Spessart/Rhön und Odenwald auf. Insgesamt umfassen diese Gebiete eine Fläche, die – so offizielle Angaben von behördlicher Seite – circa 14 % der Landesfläche (ca. 800 000 ha) ausmacht.

Allerdings dürfte hier unberücksichtigt geblieben sein, dass sich innerhalb der kartierten Rotwildgebiete auch Siedlungen sowie Landschaftsteile befinden, welche sich als Rotwildlebensraum nicht eignen: Dies gilt nicht nur für Flächen, welche von Flüssen und Seen eingenommen werden, sondern zum Beispiel auch für Straßen, Bahnlinien sowie felsige Steilhanglagen im Gebirge.

Im Ergebnis dürfte der nach § 17 AVBayJG zugelassene Rotwildlebensraum daher geringer sein als 14 % der Landesfläche. Der Rothirsch darf nur noch innerhalb der oben genannten Rotwildgebiete vorkommen und wird dort nach Abschussplan (§ 21 BJagdG, Art. 32 BayJG) bejagt.

Hingegen sieht § 17 Abs. 2 AVBayJG für den Rest der Landesfläche eine Abschussverpflichtung vor, welche die Jagdausübungsberechtigten dazu zwingt, Exemplare dieser Wildart innerhalb der gesetzlichen Jagdzeiten (§ 19 Abs. 1 Nr. 1a) AVBayJG) und unter Berücksichtigung des Muttertierschutzes (§ 22 Abs. 4 Satz 1 BJagdG) ohne zahlenmäßige Beschränkung zu erlegen. Auch die Hege, etwa durch Anlage von Winterfütterungen zur Notzeit, ist untersagt.

2. Fehlende Vernetzung

Die Rotwildgebiete sind inselartig über die Landesfläche verteilt und weisen keine Verbindungen untereinander auf. Ursprünglich war daher festgelegt, genetisch gut veranlagte männliche Hirsche (dies sind die Klassen I und IIa) von § 17 Abs. 2 AVBayJG auszunehmen, um eine Wanderung zwischen den Rotwildgebieten, das heißt den genetischen Austausch zwischen einzelnen Populationen, zuzulassen.

Dieses „Schlupfloch“ existiert jedoch nicht mehr: Die Abschusspflicht erfasst vielmehr beide Geschlechter und sämtliche Klassen, sodass die durch Verinselung der Populationen begünstigte Gefahr genetischer Verarmung, Inzucht, Degeneration und körperlicher Missbildungen zunimmt.[2] Als sichtbare Zeichen sind bereits Missbildungen in Form verkürzter Unterkiefer feststellbar. Für weiteren Druck sorgen Schonzeitverkürzungen in- und außerhalb der Rotwildgebiete sowie die von manchen Jagdbehörden bewilligten Ausnahmen vom Nachtjagdverbot (inkl. Einsatz von Nachtzieltechnik).

 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in den Bayerischen Verwaltungsblättern, 4/2023, S. 109.

[1] Schulterhöhe 120 – 150 cm, Gewicht bis zu 250 kg.

[2] Vgl. Westekemper, Impacts of landscape fragmentation on red deer (Cervus elaphus) and European wildcat (Felis silvestris silvestris): a nationwide landscape genetic analysis, Diss. Göttingen, 2022.