Gesetzgebung

Das bayerische Rotwildmanagement: zeitgemäß und rechtskonform? (2)

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Dies ist die Fortsetzung von Teil 1.

Die Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Jagdgesetzes (AVBayJG) sieht vor, dass das Hegen und Aussetzen von Rotwild in der freien Natur nur in festgelegten Rotwildgebieten zulässig ist (§ 17 Abs. 1 AVBayJG). Jagdreviere im Freistaat sind rotwildfrei zu machen und zu halten (§ 17 Abs. 2 AVBayJG). Die lange Zeit fehlende öffentliche Diskussion, gerade mit Blick auf die Lebensraumansprüche und die langfristige Überlebensfähigkeit des Rotwildes, ist durchaus überraschend und dürfte ihre Ursache darin haben, dass das bayerische Rotwildmanagementkonzept in der Bevölkerung bis heute weitgehend unbekannt und eine durch die Gesellschaft forcierte Revision ausgeblieben ist. Der nachfolgende Teil des Beitrags setzt das Thema fort sowie einige Rechtsfragen, welche mit ihm in Zusammenhang stehen, beleuchten (Teil 2).

III. Rotwildbewirtschaftungsgebiete als Lebensraumsicherung?

Nach der offiziellen Leitlinie des bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, welche auf dem „Wildtierportal Bayern“ veröffentlicht ist, soll die Einteilung in Rotwildgebiete und rotwildfreie Zonen den Lebensraum und den Bestand des Rotwildes sichern. Angesichts der Berücksichtigung von Rotwildvorkommen in angrenzenden Bundesländern beziehungsweise Staaten sei – so der offizielle Standpunkt – eine Vernetzung der Lebensräume gewährleistet. Innerhalb der Rotwildgebiete gelinge es „seit Jahren, den Rotwildbestand so zu managen, dass die Interessen von Landeskultur und Jagd weitestgehend in Einklang gebracht werden können“.[1]

Ferner heißt es: „Der Rothirsch als Teil unserer autochthonen Wildtierfauna kann so seit Jahrzehnten selbst in sensiblen Waldlebensräumen wie dem Gebirgswald der Alpen im Einklang mit anderen menschlichen Interessen erhalten werden. Ob dies auch gelänge, wenn Rotwild sich auch außerhalb der derzeitigen Rotwildgebiete in ganz Bayern ausbreiten dürfte, ist eher fraglich. Denn Rotwildmanagement funktioniert in den Auwaldgebieten an der Isar anders als in den Hochlagen der Alpen. Flexibilität und fachliches Wissen ist erforderlich, wenn zwischen den menschlichen Belangen und den Ansprüchen des Rotwildes ein vernünftiger Ausgleich gelingen soll“.[2]

Ob das Konzept der räumlichen Beschränkung als Maßnahme der Lebensraumsicherung geeignet ist, erscheint indes fraglich. Die Idee, das Rotwildvorkommen auf einen geringen Teil seines Lebensraumes zu beschränken, beruht auch nicht auf dem (besonderen) Schutz regionaler Wildbestände und der Sicherung (jedenfalls) dieser Lebensräume als – im Gegenteil – auf dem Gedanken der Zurückdrängung so genannten „Schadwildes“.

Vorrangig ging es bei der Implementierung der Rotwildgebiete daher um die Interessen der Grundeigentümer: Sie sollen, was ein im Rahmen der Wildregulierung zu berücksichtigender Belang ist (§ 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG), vor Schäden, welche das Rotwild verursacht (insbesondere Schäl- und Verbissschäden), weitgehend geschützt werden. Die allgemeine Feststellung, dass die Rotwildbewirtschaftung im Auwald nach anderen Regeln zu erfolgen hat als in den Hochlagen der Alpen, trifft zwar zu. Das Ziel einer „flexiblen“ Rotwildbewirtschaftung könnte jedoch, wie es das BJagdG vorsieht, auch im Rahmen revierbezogener Abschusspläne erreicht werden. Denn deren Bestätigung beziehungsweise Festsetzung durch die unteren Jagdbehörden hat nach umfassender Würdigung der Revierverhältnisse, das heißt auch der im jeweiligen Habitat vorhandenen Wildbestände, zu erfolgen.

Einer Festlegung vermeintlich homogener Rotwildgebiete – das StMELF stellt hier plakativ die Isarauen und das Hochgebirge gegenüber – bedarf es zur Regulierung nicht. Die Abschottung und Verinselung beinhaltet vielmehr die Gefahr, dass der genetische Austausch durch künstlich errichtete Barrieren beeinträchtigt wird; potenziell geeignete Lebensräume werden eingeengt oder unerreichbar gemacht.[3] In der Darstellung des StMELF bleibt zudem unerwähnt, dass auch in den Rotwildgebieten eine kontinuierliche Erhöhung der Abschusszahlen festzustellen ist. Die Belange der dort lebenden Populationen, das heißt die Lebensraumsicherung, rückt auch hier in den Hintergrund.

Dass zusätzlich Schonzeiten durch Verordnungen (Art. 33 Abs. 3 Nr. 1 BayJG) und Einzelverwaltungsakte (Art. 33 Abs. 5 Nr. 2 BayJG) aufgehoben werden sowie die – auf Schalenwild grundsätzlich verbotene – Nachtjagd gestattet wird, kann ebenfalls kein Beleg dafür sein, dass sich das Rotwild wenigstens innerhalb der Rotwildgebiete ungestört ausbreiten darf, das heißt den Bedürfnissen dieser – störungsempfindlichen – Tierart Vorrang eingeräumt wird. Was unter einem „vernünftigen Ausgleich“ zwischen den Belangen des Menschen und des Rotwildes zu verstehen ist, ist damit eine Frage des Blickwinkels.

IV. Rechtliche Aspekte

Das bayerische Bewirtschaftungskonzept, einen Großteil der Landesfläche rotwildfrei zu machen und zu halten, wirft auch rechtliche Fragen auf. Hierbei stellt sich nicht nur die Frage der Vereinbarkeit mit der bundesrechtlich vorgesehenen Abschussplanpflicht für Schalenwild. Auch das BNatSchG und völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland müssen in die Betrachtung einbezogen werden.

1. Zulässige Ausnahme von der Abschussplanpflicht?

21 Abs. 2 Satz 1 BJagdG sieht unter anderem vor, dass Schalenwild (mit Ausnahme von Schwarzwild) nur aufgrund und im Rahmen eines Abschussplans erlegt werden darf, der von der zuständigen unteren Jagdbehörde im Einvernehmen mit dem Jagdbeirat (§ 37 BJagdG) zu bestätigen oder festzusetzen ist. Das Rotwild als Schalenwildart (§ 2 Abs. 3 BJagdG) unterliegt somit einer Abschussplanpflicht. Demgegenüber sieht § 17 Abs. 2 AVBayJG, auf der Grundlage von Art. 32 Abs. 9 i. V. m. Art. 32 Abs. 7 Nr. 3 BayJG vor, dass Flächen außerhalb der Rotwildgebiete „rotwildfrei zu machen und zu halten“ sind. Eine Abschussplanung ist im rotwildfreien Gebiet also landesrechtlich nicht vorgesehen.

a) Ausnahme von der Abschussplanpflicht als Detailregelung?

Ausgehend vom Wortlaut des § 21 Abs. 2 Satz 1 BJagdG erscheint die Unvereinbarkeit mit Bundesrecht offenkundig. Allerdings enthält § 21 Abs. 2 Satz 5 BJagdG die Bestimmung, dass die Landesgesetzgebung „Näheres“ zu den Abschussplänen regelt. Im Rahmen der – vor der Föderalismusreform geltenden – Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Rahmen des Jagdrechts kam dem BJagdG der Vorrang zu. § 21 Abs. 2 Satz 1 BJagdG zählt die Wildarten, die einer Abschussplanpflicht unterliegen, abschließend auf und lässt infolgedessen Ausnahmen hiervon nicht zu, es sei denn, das BJagdG sähe diese selbst vor, wie das zum Beispiel bei § 27 BJagdG der Fall ist. Im Hinblick darauf, dass das BJagdG den Abschussplan zwingend vorschreibt,[4] wirft § 17 Abs. 2 AVBayJG, wie auch die Ermächtigungsgrundlage in Art. 32 Abs. 9 BayJG, die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem BJagdG auf, soweit die Abschussplanpflicht im rotwildfreien Gebiet gänzlich entfällt, das heißt auf den von § 1 Abs. 2 BJagdG angestrebten artenreichen und gesunden Wildbestand sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen keine Rücksicht genommen werden darf.

Der BayVerfGH sieht in Art. 32 Abs. 7 Nr. 3, Abs. 9 BayJG, § 17 AVBayJG, nach denen Rotwild nur in festgelegten Gebieten gehegt werden darf, Jagdreviere außerhalb dieser Gebiete rotwildfrei zu halten sind und Rotwild hier ohne Abschussplan bejagt werden darf, keinen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV).[5] Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV sei erst dann verletzt, wenn der bayerische Normgeber offensichtlich den Bereich der Rechtsordnung des Bundes verletze und Landesrecht eindeutig ohne Rechtssetzungsbefugnis schaffe. Das sei – so der BayVerfGH – aber erst anzunehmen, wenn der Widerspruch zum Bundesrecht nicht nur offensichtlich zutage trete, sondern auch inhaltlich nach seinem Gewicht als schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung zu werten sei. Im vorliegenden Fall wurde ein schwerwiegender Verstoß verneint. § 21 Abs. 2 Satz 5 BJagdG sei nicht zwingend dahin zu verstehen, dass für jeden Abschuss ein Abschussplan zwingend vorgeschrieben sein müsse und der landesgesetzlichen Regelung lediglich das Verfahren zur Erstellung eines solchen und seiner Ausgestaltung offenstehe. § 21 Abs. 2 BJagdG diene der Verwirklichung der in § 21 Abs. 1 BJagdG genannten Grundsätze, es sei daher die Ansicht vertretbar, dass sich die Abschussplanung erübrige, soweit diese Grundsätze für ein bestimmtes Gebiet von vornherein eine Freimachung von Schalenwild verlangten. Für eine solche Auslegung falle ins Gewicht, „dass es sich bei § 21 BJagdG um eine Rahmenvorschrift handelt“. Von da aus gesehen könnten die fraglichen landesrechtlichen Vorschriften als eine „nähere Regelung“ angesehen werden, um das Wild in Einklang mit § 21 Abs. 1 BJagdG in anderen Gebieten in seinem Bestand zu sichern.[6]

b) Kritik

Der Standpunkt des BayVerfGH vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Zum einen handelt es sich bei § 21 Abs. 1 und § 21 Abs. 2 Satz 1 BJagdG nicht um rahmenrechtliche Vorschriften, die der „näheren“ Umsetzung durch den Landesgesetzgeber bedürften, sondern um unmittelbar geltende Vorschriften für die Abschussregelung beziehungsweise Abschussplanung.[7] Zum anderen lässt der klare Wortlaut des § 21 Abs. 2 Satz 1 BJagdG keine Auslegung zu, welche es dem Landesgesetzgeber ermöglichte, von der Abschussplanpflicht für Schalenwild (mit Ausnahme von Schwarzwild) abzuweichen.

Ebenso wenig rechtfertigt die in § 21 Abs. 2 Satz 5 BJagdG enthaltene Vorschrift, wonach die Landesgesetzgebung Näheres bestimmt, nach Wortlaut und Gesetzessystematik eine andere, letztlich zur Nichtanwendung des BJagdG führende, Interpretation. Hinzu kommt, dass der Abschussplan im Sinn von § 21 Abs. 2 Satz 1 BJagdG nicht nur eine Abschusserlaubnis, sondern auch eine Abschussverpflichtung enthält, die vom Revierinhaber zu erfüllen ist (§ 21 Abs. 2 BJagdG, Art. 7 Abs. 1 BayJG).

Die von der zuständigen Behörde festzulegende Abschussverpflichtung ist damit bereits nach Bundesrecht vorgesehen.[8] Die Abschussplanfreiheit für Rotwild außerhalb der Bewirtschaftungsbezirke (Rotwildgebiete) muss daher im Ergebnis als Verstoß gegen Bundesrecht betrachtet werden[9]. Sich als Landesgesetz- bzw. Verordnungsgeber auf das Votum des BayVerfGH zurückzuziehen und darin eine Bestätigung zu sehen, überzeugt hier nicht vollumfänglich: Zwar hat der BayVerfGH einen „schwerwiegenden Verstoß“ gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung durch die Landeslegislative beziehungsweise den Verordnungsgeber im Ergebnis verneint. Dies ist aber keine umfassende Billigung der bayerischen Rechtslage, insbesondere kann aus der Bewertung des BayVerfGH nicht abgeleitet werden, dass die landesrechtlichen Vorschriften – und diese Frage ist entscheidend – tatsächlich mit Bundesrecht im Einklang stehen.

Denn der Landesverfassungsgerichtshof des Freistaates war und ist zu einer Klärung, ob Landesrecht dem Maßstab des BJagdG gerecht wird, nicht berufen: Sein Prüfungsmaßstab ist allein die BV. Ob § 17 Abs. 2 AVBayJG mit § 21 Abs. 2 Satz 1 BJagdG in Einklang steht, ist vom BVerwG (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) zu beantworten. Die Rechtslage ist bis heute nicht höchstrichterlich geklärt. An diesem Ergebnis ändert auch nichts, dass die Bundesländer seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 zulässigerweise von der Abschussplanpflicht abweichen dürfen.

Dies ist – in Bezug auf Rehwild – in mehreren Bundesländern, dem Beispiel aus Rheinland-Pfalz im Jahr 2011 folgend, zwischenzeitlich geschehen. Da die hier in Rede stehenden bayerischen Vorschriften jedoch vor der Föderalismusreform verabschiedet wurden und in Kraft getreten sind, greift, soweit es um die Abweichungskompetenz geht, der vormalige Maßstab. Eine erneute Willensäußerung beziehungsweise ausdrückliche Bestätigung der zu § 21 Abs. 2 Satz 1 BJagdG in Widerspruch stehenden landesrechtlichen Vorschriften durch den bayerischen Landesgesetz- oder Verordnungsgeber hat es seit der Föderalismusreform nicht gegeben.

Anmerkung: Dieser Beitrag wird fortgesetzt.

Entnommen aus den Bayerischen Verwaltungsblättern, 4/2023, S. 109.

[1] Quelle: www.wildtierportal.bayern.de/wildtiere_bayern/101635/index.php (zuletzt abgerufen am 08.03.2023).

[2] A.a.O. (Fn. 3).

[3] Vgl. Wölfel/Meißner, Rotwildgebiete aus Sicht der Wildbiologie, in: Tagungsband zum 3. Rotwildsymposium „Freiheit für den Rothirsch – zur Zukunft der Rotwildgebiete in Deutschland“, 2007, S. 63 ff.

[4] Vgl. BVerwG NVwZ-RR 1992, 588.

[5] BayVerfGH RdL 97, 124.

[6] Vgl. Leonhardt/Pießkalla, Jagdrecht, Erl. 7 zu § 21 BJagdG.

[7] Vgl. Leonhardt/Pießkalla, Jagdrecht, Erl. 15 zu Art. 32 BayJG.

[8] Vgl. OVG RhPf, U.v. 11.02.2015 – Rn. 42 = JE Bd XVIII SG VI Nr. 75.

[9] Vgl. Leonhardt/Pießkalla,a.a.O.(Fn.9).