Gesetzgebung

Das bayerische Rotwildmanagement: zeitgemäß und rechtskonform? (3)

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Dies ist die Fortsetzung von Teil 2.

Die Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Jagdgesetzes (AVBayJG) sieht vor, dass das Hegen und Aussetzen von Rotwild in der freien Natur nur in festgelegten Rotwildgebieten zulässig ist (§ 17 Abs. 1 AVBayJG). Jagdreviere im Freistaat sind rotwildfrei zu machen und zu halten (§ 17 Abs. 2 AVBayJG). Die lange Zeit fehlende öffentliche Diskussion, gerade mit Blick auf die Lebensraumansprüche und die langfristige Überlebensfähigkeit des Rotwildes, ist durchaus überraschend und dürfte ihre Ursache darin haben, dass das bayerische Rotwildmanagementkonzept in der Bevölkerung bis heute weitgehend unbekannt und eine durch die Gesellschaft forcierte Revision ausgeblieben ist. Der nachfolgende Teil des Beitrags widmet sich abschließend dem Thema sowie einigen Rechtsfragen, welche mit ihm in Zusammenhang stehen (Teil 3).

IV. Rechtliche Aspekte
2. Naturschutzrecht

Zweifel am Rotwildzonierungskonzept ergeben sich auch auf der Grundlage des Naturschutzrechts. § 1 Abs. 1 BNatSchG sieht vor, dass Natur und Landschaft aufgrund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesiedelten Bereich so zu schützen sind, dass die biologische Vielfalt, die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter sowie die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind.

Bei der Zielvorschrift des Absatzes 1 handelt es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Naturschutzrechts im Sinn des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG, der einer abweichenden Gesetzgebung durch die Länder nicht zugänglich ist.[1] Zur dauerhaften Sicherung der biologischen Vielfalt, zu deren Erhaltung sich Deutschland als Vertragspartei des Biodiversitätsübereinkommens von 1992 völkerrechtlich verpflichtet hat,[2] sieht § 1 Abs. 2 BNatSchG unter anderem vor, dass lebensfähige Populationen wild lebender Tiere einschließlich ihrer Lebensstätten zu erhalten und der Austausch zwischen den Populationen sowie Wanderungen und Wiederbesiedelungen zu ermöglichen sind.

Ferner soll Gefährdungen von natürlich vorkommenden Ökosystemen, Biotopen und Arten entgegengewirkt werden. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 5 BNatSchG sind wild lebende Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften sowie ihre Biotope und Lebensstätten auch im Hinblick auf ihre jeweiligen Funktionen im Naturhaushalt zu erhalten.

a) Gefahr genetischer Verarmung

Die oben genannten Regelungen des BNatSchG beruhen auf der zutreffenden Annahme, dass die langfristige Erhaltung einer Art nur möglich ist, wenn sowohl ein Minimum an genetisch differenzierten Populationen als auch ein Gefüge geeigneter Ökosysteme erhalten bleibt.[3] Mit diesem Grundgedanken, der angesichts des Art. 20a GG, demzufolge die natürlichen Lebensgrundlagen einschließlich der Tierwelt für künftige Generationen zu erhalten sind, verfassungsrechtliche Bedeutung erlangt, sind weder die Abschottung von Rotwildpopulationen auf ein Minimum der Staatsfläche noch die Unterbindung von Wanderbewegungen infolge der in § 17 Abs. 2 AVBayJG vorgesehenen Abschusspflicht in Einklang zu bringen. Die Verinselung der Rotwildpopulationen fördert vielmehr – wissenschaftlich belegt – die Verarmung des Genpools und stellt mittel- bis langfristig die Überlebensfähigkeit dieser heimischen Art infrage.

b) Rotwild als „umbrella species“

Das Rotwild ist eine so genannte „Schirmart“. Deren Ansprüche an ihr Habitat und dessen Vernetzung sind repräsentativ für viele andere Tierarten, die auf einen großräumigen, zusammenhängenden und störungsarmen Lebensraum angewiesen sind. Kurz gesagt: Das Rotwild hilft dabei, Lebensräume für andere Tier- und Pflanzenarten zu sichern. Aufgrund des natürlichen Wanderverhaltens und der Störungsempfindlichkeit kann es als „Weiserart“ für die Ermittlung des Bedarfes an und die Beschaffenheit von Wanderkorridoren, Trittsteinbiotopen und Querungshilfen betrachtet werden.

Ein sachgerechter Umgang mit dieser Art hat daher positive Auswirkungen auf andere, zum Teil seltene oder gefährdete Arten. Auch vor diesem Hintergrund ist es verfehlt, das Rotwild auf die von ihm verursachten Schäden an Land- und Forstwirtschaft zu reduzieren. Denn obwohl § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG die volle Wahrung der berechtigten Ansprüche der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden – übrigens durch regulierende Abschussplanung, nicht durch lokale Abschottung – verlangt, bedeutet dies keinen „absoluten“ Schutz vor Wildschäden.

Bereits die Belange des Naturschutzes, die – wie § 1 BNatSchG zeigt – auch die Biodiversität und den Erhalt von Arten sowie Biotopen und von Lebensstätten, zu denen auch das Nahrungsangebot zählt,[4] beinhalten, zeigen, dass es Wildschäden, gerade in einer sich ausbreitenden Kulturlandschaft, immer geben wird. Es muss also darum gehen, einen Interessenausgleich vorzunehmen. Hieran können auch der notwendige Umbau der Wälder angesichts klimatischer Veränderungen und der in Art. 1 BayWaldG und Art. 1 BayJG enthaltene Grundsatz „Wald vor Wild“, der ohnehin erst Jahrzehnte nach der Implementierung der Rotwildgebiete im bayerischen Landesrecht normiert wurde, nichts ändern.

Kurz gesagt: Der Vorrang der Berücksichtigung der Waldvegetation ist durch die Abschussplanung sicherzustellen und bedeutet nicht, dass Tierarten ihre natürlichen Lebensräume nicht mehr bevölkern dürfen, das heißt Überlegungen des Natur- und Artenschutzes hintanstehen müssen. Der Natur- und Artenschutz gebietet es vielmehr sowohl auf nationaler als auch auf völkerrechtlicher Ebene, das natürliche Verbreitungsgebiet des Rotwildes zu erhalten und den erforderlichen genetischen Austausch durch Vernetzung von Lebensräumen sicherzustellen. Dies ist bei Aufrechterhaltung des § 17 Abs. 2 AVBayJG nicht umsetzbar.

Angesichts der bundesgesetzlichen Regelung in § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG und der korrespondierenden Vorschrift in Art. 32 Abs. 1 Satz 2 BayJG, wonach der Schutz ordnungsgemäßer Land- und Forstwirtschaft vor Wildschäden durch die Abschussplanung erfolgt und bereits durch sie – unter Wahrung der körperlichen Verfassung des Wildes und des Hegegedankens in § 1 Abs. 2 BJagdG – eine Reduzierung überhöhter, mit landeskulturellen Erfordernissen nicht im Einklang stehender Rotwildbestände erreicht werden kann, erscheint es ohnehin unverhältnismäßig, das Rotwild von seinen natürlichen Lebensräumen weitgehend auszuschließen und den Abschuss jedes nicht führenden Tieres während der Jagdzeiten anzuordnen.

3. Berner Konvention

Aspekte, welche den Schutz des Rotwildes betreffen, beruhen auch auf internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Besondere Erwähnung verdient hier die Berner Konvention, welche – als multilaterales Abkommen – von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1984 ratifiziert wurde.[5] Aus der Konvention ergeben sich völkerrechtliche Verpflichtungen zum Schutz wild lebender Tiere und Pflanzen. Da auch die Europäische Union Vertragspartei der Konvention ist, sind die dortigen Regelungen nach Art. 216 Abs. 2 AEUV für die Organe der Union und für jene der Mitgliedstaaten unmittelbar bindend, das heißt mit EU-Primärrecht gleichzusetzen.

a) Zielvorgabe

Vorrangiges Ziel der Berner Konvention ist es, wild lebende Pflanzen und Tiere sowie ihre natürlichen Lebensräume, insbesondere die Arten und Lebensräume, deren Erhaltung die Zusammenarbeit mehrerer Staaten erfordert, zu erhalten (Art. 1).

Nach Art. 2 haben die Vertragsparteien insbesondere Maßnahmen zu ergreifen, um die Population der wild lebenden Pflanzen und Tiere auf einem Stand zu erhalten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht. Hierbei muss den wirtschaftlichen und erholungsbezogenen Erfordernissen sowie den Bedürfnissen örtlich bedrohter Unterarten, Varietäten oder Formen Rechnung getragen werden.[6]

Die Bedeutung wild lebender Tiere – auch für die Beibehaltung des biologischen Gleichgewichtes – wird bereits in der Präambel ausdrücklich herausgestellt. Insoweit besteht ein Gleichlauf mit dem Grundgedanken des § 1 BNatSchG. Unter artenschutzrechtlichen Gesichtspunkten verpflichtet Art. 7 der Konvention jede Vertragspartei dazu, die geeigneten und erforderlichen gesetzgeberischen und Verwaltungsmaßnahmen zu ergreifen, um den Schutz der in Anhang III der Konvention aufgeführten wild lebenden Tierarten sicherzustellen.

Der besagte Annex erfasst unter anderem sämtliche cervidae – das heißt auch das Rotwild. Jegliche Nutzung ist hier so zu regeln, dass die Populationen in ihrem Bestand nicht gefährdet werden. Art. 8 verpflichtet ferner dazu, zum Schutz der in Anhang III der Konvention aufgezählten Tierarten die Verwendung aller zum wahllosen Fangen und Töten geeigneten Mittel (Anhang IV) sowie aller Mittel, die gebietsweise zum Verschwinden oder zu einer schweren Beunruhigung von Populationen dieser Arten führen können, zu verbieten.

Aus Art. 4 Abs. 3 geht zudem hervor, dass besondere Aufmerksamkeit dem Schutz derjenigen Gebiete zuzuwenden ist, die für die in den Anhängen II und III aufgeführten wandernden Arten von Bedeutung sind und die als Überwinterungs-, Sammel-, Futter-, Brut- oder Mauserplätze im Verhältnis zu den Wanderrouten günstig gelegen sind.

b) Anwendung auf § 17 Abs. 2 AVBayJG

Voranzustellen ist, dass das bayerische Rotwildmanagementkonzept trotz der für alle Geschlechter und Klassen des Rotwildes geltenden Abschussverpflichtung in der rotwildfreien Zone, das heißt des Verbotes selektiver Bejagung und Hege (§ 1 Abs. 2 BJagdG), nach der hier vertretenen Ansicht wohl keine „nicht selektive Fang- oder Jagdmethode“ nach Anhang IV der Berner Konvention sein dürfte.

Dies hat seine Grundlage darin, dass Anhang IV auf bestimmte jagdlich zum Einsatz kommende Werkzeuge und Methoden, zum Beispiel automatische Waffen, Nachtzieltechnik und das Beleuchten des Ziels, abhebt. Allerdings verpflichtet Art. 8 der Konvention die Bundesrepublik – das heißt auch die Legislative und die Exekutive des Freistaates Bayern – dazu, alle Mittel zu verbieten, die gebietsweise zum Verschwinden oder zu einer schweren Beunruhigung von Populationen der nach Anhang III geschützten Arten führen können. Das bayerische Konzept der Rotwildbewirtschaftung wird dieser Verpflichtung nicht gerecht. Es ist teleologisch auf das gebietsweise Verschwinden des Rotwildes angelegt. Zusätzlich werden Wanderungsbewegungen erschwert (Art. 4 Abs. 3 der Konvention).

Auch Art. 2 der Konvention kann mit § 17 Abs. 2 AVBayJG nicht vernünftig in Einklang gebracht werden. Schließlich ist die bereits wissenschaftlich belegte Gefahr genetischer Verarmung durch die Abschottung einzelner Populationen dem langfristigen Überleben dieser Art abträglich. Der völkerrechtlich vorgesehenen Erhaltung natürlicher Lebensräume, welche weit über die zugewiesenen Rotwildgebiete hinausgehen, kann § 17 Abs. 2 AVBayJG nicht gerecht werden. Im Ergebnis muss § 17 Abs. 2 AVBayJG daher auch als Verstoß gegen die sich aus der Berner Konvention ergebenden Verpflichtungen angesehen werden. Damit liegt, über Art. 216Abs. 2 AEUV, auch eine Verletzung von EU-Recht vor.[7]

V. Fazit

Das bayerische Rotwildmanagementkonzept nach § 17 AVBayJG stellt einen Verstoß gegen die in § 21 Abs. 2 Satz 1 BJagdG vorgesehene Abschussplanpflicht für Schalenwild, gegen das BNatSchG und gegen die Berner Konvention dar. Die Lebensraumansprüche des Rotwildes einschließlich der Vernetzung von Populationen sind nach der hier vertretenen Ansicht dadurch sicherzustellen, dass die rotwildfreien Gebiete abgeschafft und die Bewirtschaftung dieser Tierart in allen Jagdrevieren des Freistaates Bayern auf der Grundlage einer revierbezogenen Abschussplanung erfolgt.

Die berechtigten Interessen der Land- und Forstwirtschaft sind bei der Bestätigung oder Festsetzung der Abschusspläne zu berücksichtigen, wie es § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG und Art. 32 BayJG vorsehen. Ob die Vernetzung der bisherigen Rotwildgebiete durch großflächige Wanderkorridore ohne Abschussverpflichtung oder Abschussplanung zielführend ist, erscheint hingegen fraglich: Die rechtlichen Probleme, welche mit der Einschränkung des Rotwildlebensraumes verbunden sind, könnten so nicht gelöst werden.

In Zeiten, in denen die Rückkehr des Wolfes als Großprädator von großen Teilen der Bevölkerung, trotz mitunter erheblichen Folgen für die Nutztierhaltung, begrüßt wird, erscheint der Umgang mit dem wild lebenden Rotwild auf der Grundlage von agrar- und forstpolitischen Entscheidungen, die mehr als 50 Jahre zurückliegen und damit aus einer Phase stammen, in denen Fragen der Biodiversität und des Natur- und Artenschutzes nicht das heutige Gewicht beigemessen wurde, stark anachronistisch. Der heutige Blickwinkel der Gesellschaft, die auch Wechselwirkungen von Fauna und Flora im ökologischen Gesamtsystem in den Fokus zu rücken versucht, macht es notwendig, den Umgang mit dem Rotwild zu überdenken.

Die Einordnung als „Schadwild“ wird seiner Rolle nicht gerecht, die Hinnahme eines gewissen Wildschadens ist – auch das kommt in der mitunter heftig geführten Debatte über die richtige Form des Umgangs mit heimischen Wildtieren zu kurz – letztlich Ausdruck der Sozialpflichtigkeit des Grundeigentums. Dies zeigt auch Art. 20a GG, der den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere zum Staatsziel erhebt. Als störungsempfindliche Art wird cervus elaphus Lebensräume, die seinen Ansprüchen nicht gerecht werden, ohnehin meiden – die Furcht vor einer flächigen Besiedelung des Freistaates dürfte somit unbegründet sein; auch dieser Aspekt sollte in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einfließen.

 

Entnommen aus den Bayerischen Verwaltungsblättern, 4/2023, S. 109.

[1] Vgl. Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Auflage 2017, § 1 BNatSchG, Rn. 3.

[2] Abrufbar unter www.cbd.int.

[3] Vgl. Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Auflage 2017, § 1 BNatSchG, Rn. 14.

[4] Vgl. Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Auflage 2017, § 1 BNatSchG, Rn. 14.

[5] Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19.09.1979 über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume vom 17.07.1984, BGBl. II 1984, 618.

[6] Vgl. Pießkalla, NuR 44 (Ausgabe Mai 2022), S. 320 ff.

[7] Vgl. Leonhardt/Pießkalla, Jagdrecht, Erl. 1 zu § 17 AVBayJG.