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Zur Zulässigkeit von Anlassbeurteilungen bei einem vierjährigen Regelbeurteilungssystem

Beamtenrecht: Zur Zulässigkeit von Anlassbeurteilungen bei einem vierjährigen Regelbeurteilungssystem (hier für Richterinnen und Richter)

Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 BayRiStAG, Art. 56 Abs. 4 LlbG

Stellenbesetzung (Senatsvorsitz Obergericht); Konkurrentenstreitigkeit; Aktualität einer Regelbeurteilung; Aktualisierte periodische Beurteilung; Erfordernis einer Anlassbeurteilung; Vierjähriger Regelbeurteilungszeitraum

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16.11.2022, Az. 3 CE 22.1887

Leitsatz

Eine dienstliche Beurteilung kann ihre für eine Auswahlentscheidung erforderliche hinreichende Aktualität verlieren, wenn der Beamte nach dem Beurteilungsstichtag der letzten Regelbeurteilung während eines erheblichen Zeitraums wesentlich andere Aufgaben wahrgenommen hat. Ein erheblicher Zeitraum im vorstehenden Sinne liegt vor, wenn bei einem vierjährigen Regelbeurteilungszeitraum die anderen Aufgaben während mindestens zu zwei Dritteln (= 32 Monate) des Beurteilungszeitraums wahrgenommen wurden (Anschluss an BVerwG, Urteil vom 09.05.2019, Az. 2 C 1.18, juris).

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Im vorliegenden Beschluss bot sich dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) die Gelegenheit zu entscheiden, ob die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu den Voraussetzungen einer Anlassbeurteilung im Rahmen eines Regelbeurteilungssystems für Beamtinnen und Beamte mit dreijährigem Beurteilungsturnus (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019, Az. 2 C 1.18, juris) auf das Regelbeurteilungssystem für Richterinnen und Richter mit vierjährigem Turnus übertragen werden kann. Nachdem der BayVGH diese Frage in einem Beschluss vom 24.03.2020 (Az. 3 CE 20.224, nicht veröffentlicht) noch offengelassen hatte, bejahte er sie nun wie aus dem Leitsatz ersichtlich.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG hat bei einer dienstrechtlichen Auswahlentscheidung der Vergleich unter den Bewerbern gemäß Art. 33 Abs. 2 GG vor allem anhand dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019, Az. 2 C 1.18, juris Rn. 32 m.w.N.). Die Eignung von dienstlichen Beurteilungen als Grundlage für den Bewerbervergleich setzt voraus, dass diese zeitlich aktuell und inhaltlich aussagekräftig sind. Den Dienstherrn berechtigt jedoch nicht jede Veränderung der tatsächlichen Grundlagen der Beurteilungskriterien, die nach Erstellung der Regelbeurteilung eintritt, aus Anlass der Bewerbung eines Beamten für eine ausgeschriebene Stelle für diesen eine Anlassbeurteilung zu erstellen.

Denn die Entscheidung des Gesetzgebers für ein System von Regelbeurteilungen darf von der Verwaltung nicht dadurch unterlaufen werden, dass sie im Rahmen eines Auswahlverfahrens trotz des Vorliegens einer hinreichend aktuellen Regelbeurteilung ohne ausreichenden Grund Anlassbeurteilungen erstellt. Bedarf nach einer Aktualisierung der Beurteilungsgrundlage im Hinblick auf eine zu treffende Auswahlentscheidung kann aber entstehen, wenn der Beamte nach dem Stichtag der letzten (regulären oder aktualisierten) periodischen Beurteilung wesentlich andere Aufgaben (qualitatives Element) während eines erheblichen Zeitraums (zeitliches Element) wahrgenommen hat.

In seinem Grundsatzurteil vom 09.05.2019 (Az. 2 C 1/18) hat das BVerwG sowohl das qualitative als auch das zeitliche Element für einen solchen Aktualisierungsbedarf konkretisiert und dabei für den „erheblichen Zeitraum“ im vorgenannten Sinn bei einem dreijährigen Beurteilungsturnus entschieden, dass die wesentlich anderen Aufgaben während mindestens zu zwei Dritteln des Beurteilungszeitraums wahrzunehmen sind, also zwei Jahre lang. Dabei traf das BVerwG auch Aussagen für Fälle eines zweijährigen Beurteilungsturnus, nicht jedoch für Fälle eines vierjährigen Beurteilungsturnus.

2. Diese Voraussetzungen des BVerwG für die Erstellung einer Anlassbeurteilung gelten nach Auffassung des BayVGH für das vierjährige Beurteilungssystem der Richterinnen und Richter entsprechend, also mit der Maßgabe, dass die vorgenannte Zwei-Drittel-Grenze hier bei 32 Monaten liegt. Der Zweck, durch eine klare, zeitlich bezifferte Grenzziehung Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität zu schaffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019, Az. 2 C 1.18, juris Rn. 49), gelte unabhängig vom jeweiligen Beurteilungszeitraum. Dafür spreche auch die Aussagekraft der Regelbeurteilung über einen vierjährigen Beurteilungszeitraum, weil diese umso größer sei, je länger der Zeitraum ist, den die Regelbeurteilung abbildet.

Vor diesem Hintergrund sei es gerechtfertigt, einen im Verhältnis dazu entsprechend längeren Zeitraum als Voraussetzung für die Erstellung einer Anlassbeurteilung zu verlangen, währenddessen die wesentlich anderen Aufgaben ausgeübt worden sein müssen (s. Rn. 26).

3. Dabei ist zu beachten, dass nach bayerischem Landesrecht sichergestellt ist, dass eine periodische Beurteilung auch bei vierjährigem Turnus grundsätzlich volle vier Jahre lang für Auswahlentscheidungen herangezogen werden kann, sofern die vorgenannten Voraussetzungen für die Erstellung einer Anlassbeurteilung nicht vorliegen. Dies gilt nicht nur für Regelbeurteilungen (vgl. Art. 56 Abs. 4 Satz 1 LlbG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 BayRiStAG), sondern auch für so genannte aktualisierte periodische Beurteilungen, die im Leistungslaufbahngesetz ausdrücklich vorgesehen und von Anlassbeurteilungen abzugrenzen sind (vgl. Art. 56 Abs. 4 Sätze 2 und 3 LlbG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 BayRiStAG).

Im vorliegenden Fall hatte die zur Stellenbesetzung ausgewählte Richterin (Beigeladene) eine Anlassbeurteilung erhalten, obwohl die Aktualisierung ihrer periodischen Beurteilung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Anlassbeurteilungserstellung nicht länger als vier Jahre zurücklag, sondern nur 44 Monate. Zudem hatte sie eine andere Tätigkeit nur 28 Monate, nicht jedoch die vom BayVGH geforderten (mindestens) 32 Monate lang ausgeübt.

In Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung, die den Eilantrag der im Auswahlverfahren unterlegenen Antragstellerin noch abgelehnt hatte, gab der BayVGH daher der Beschwerde statt und untersagte die Besetzung der Stelle mit der Beigeladenen vorläufig. Die Auswahlentscheidung beruhe auf einem fehlerhaften Leistungsvergleich, weil die ihr zugrundeliegende Anlassbeurteilung der Beigeladenen rechtswidrig gewesen sei, da für sie kein (hinreichender) Anlass bestanden habe (s. Rn. 22).

4. Die vorliegende Entscheidung des BayVGH stärkt die Bedeutung periodischer Beurteilungen, die in einem Regelbeurteilungssystem für den Leistungsvergleich konkurrierender Bewerber vorrangig herangezogen werden müssen, während Anlassbeurteilungen nur ausnahmsweise zulässig sind. Auf dieser Linie liegt auch die jüngere Rechtsprechung des BVerwG, die in Bezug auf Anlassbeurteilungen zurückhaltend ist.

Nach Ansicht des BVerwG begegnen Anlassbeurteilungen gegenüber Regelbeurteilungen grundsätzlich Bedenken, weil sie gerade im Hinblick auf eine anstehende Auswahlentscheidung erstellt würden und damit der Verdacht entstehen könne, sie dienten zielgerichtet lediglich der Durchsetzung von vorgefassten, Art. 33 Abs. 2 GG nicht genügenden Personalentscheidungen.

Zudem sei die Aussagekraft einer ausnahmsweise zulässigen Anlassbeurteilung begrenzt. Da sie einen deutlich kürzeren Zeitraum als die Regelbeurteilung abbilde, müsse die Anlassbeurteilung aus der Regelbeurteilung entwickelt werden und dürfe diese lediglich fortentwickeln (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019,
Az. 2 C 1.18, juris Rn. 41; Beschluss vom 02.07.2020, Az. 2 A 6.19, juris Rn. 11).

 

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts.

 

 

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