Rechtsprechung Bayern

Eltern sind zur Durchsetzung der Schulpflicht ihres Kindes verpflichtet

annanahabed

Ein Elternpaar unterließ es willentlich, ihren Sohn auf eine staatliche Grundschule zu schicken, und widersetzte sich damit der staatlichen Schulpflicht. Dafür wurden sie mit einer Durchsetzungsverpflichtung inklusive eines Zwangsgeldes bei Nichteinhaltung belegt. Auf das gegen sie verhängte Zwangsgeld reagierten die Erziehungsberechtigten mit einem Widerspruchsantrag, den der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen hatte.

Dem unten vermerkten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 7.3.2023 lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Antragsteller wenden sich gegen die Bescheide des Antragsgegners, mit denen sie als Erziehungsberechtigte ihres 2012 geborenen Sohnes F. jeweils verpflichtet wurden, dafür zu sorgen, dass dieser regelmäßig am Unterricht der Klasse 3a der Grundschule R. und an den sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen bzw. alternativ regelmäßig am Unterricht der Jahrgangsstufe 3 einer staatlich genehmigten Ersatz-Grundschule ihrer Wahl teilnimmt. Für den Fall, dass die Antragsteller der Verpflichtung nicht innerhalb von 7 Tagen nach Zustellung der Bescheide nachkommen, wurde ein Zwangsgeld von jeweils 5.000 Euro festgesetzt. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Über die hiergegen eingelegten Widersprüche ist noch nicht entschieden.

F. besuchte zuletzt die Jahrgangsstufe 3 der M. Schule in G. Aufgrund andauernder Fehlzeiten kündigte diese den Schulvertrag zum 31.7.2022. Obwohl das Staatliche Schulamt die Antragsteller als Erziehungsberechtigte auf die Schulpflicht von F. hingewiesen hatte, besucht dieser seit dem Ende der Sommerferien 2022 weder die für ihn als Sprengelschule zuständige Grundschule R. noch eine andere staatlich genehmigte Ersatz-Grundschule.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller, nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung ihrer Widersprüche gegen die Anordnung, für den Schulbesuch des Sohnes Sorge zu tragen, wiederherzustellen und die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Androhung des Zwangsgelds anzuordnen, abgelehnt. Die Beschwerde der Antragsteller zum VGH blieb erfolglos. Dem Beschluss des VGH ist Folgendes zu entnehmen:

1. Elterliche Erziehungsmittel zur Durchsetzung der Schulpflicht

„Aus dem Beschwerdevortrag ergeben sich – ebenso wie auch im erstinstanzlichen Vortrag – keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller ihre Verpflichtung wahrgenommen hätten, dafür Sorge zu tragen, dass ihr Sohn F. seiner Schulpflicht nachkommt. Soweit sich der Bevollmächtigte … darauf beruft, ,alle dort aufgeführten Maßnahmen – so sie unter der Gewaltschwelle liegen – [seien] umgesetzt und dem Gericht zur Kenntnis gegeben‘, wird nicht dargelegt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO), welche konkreten Maßnahmen die Antragsteller ergriffen haben. Die Ausführungen des Bevollmächtigten …, wonach die Schulabsenz ,ausschließlich auf den klaren und autonom gebildeten Willen des Sohnes der Antragsteller‘ zurückzuführen ist, sprechen eher dafür, dass die Antragsteller die Verweigerung des Schulbesuchs durch ihren 10-jährigen Sohn ohne Weiteres akzeptieren.

Ein solch weitgehendes Selbstbestimmungsrecht von Kindern ist jedoch mit dem durch die Art. 6 und 7 GG herausgestellten elterlichen und staatlichen Erziehungsauftrag ebenso wenig vereinbar wie die von den Antragstellern beanspruchte Freiheit, ein solches Selbstbestimmungsrecht respektieren zu dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.4.1989 – 1 BvR 235/89 – BeckRS 1989, 6942 Rn. 7). Entgegen dem Vortrag der Antragsteller stellen die vom Verwaltungsgericht aufgezeigten möglichen erzieherischen Maßnahmen wie Taschengeldentzug, Ausgeh-, Fernseh-, Computer- oder Handynutzungsverbot, mit denen sie dafür Sorge tragen könnten, ihrer Verpflichtung aus Art. 76 Satz 2 BayEUG nachzukommen, keine über der ,Gewaltschwelle‘ liegenden Erziehungsmaßnahmen dar. Die Ausführungen des Bevollmächtigten, diese Maßnahmen erforderten ein Über- und Unterordnungsverhältnis, es müsse dem Gericht aber bewusst sein, dass es hier im Speziellen um Familienrecht gehe, liegen neben der Sache. Nach § 1631a Abs. 1 BGB umfasst die Personensorge insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

Elterliche Erziehungsmittel sind z.B. Ermahnungen, Verweise, Ausgehverbot oder Taschengeldentzug (vgl. Huber in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 1631 Rn. 5; Amend-Traut in beck-online.Großkommentar, Stand 1.12.2022, § 1626 BGB Rn. 113). Falls sich die Antragsteller nicht in der Lage sehen, adäquate gewaltlose Erziehungsmittel anzuwenden, um den Sohn F. von der Verpflichtung zum Schulbesuch zu überzeugen, haben sie die Möglichkeit, aber auch die in ihrer Erziehungspflicht wurzelnde Verpflichtung, entsprechende Hilfe in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. § 1631 Abs. 3 BGB, § 27 SGB VIII).“

2. Ordnungswidrigkeitenverfahren und die Androhung von Zwangsgeld (hier in Höhe von 5.000 Euro) schließen sich nicht gegenseitig aus

„Soweit der Bevollmächtigte die Verletzung von ,Grundrechten der Beschwerdeführer‘ rügt, wird schon nicht dargelegt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), welche Grundrechte der Antragsteller durch die angefochtenen Bescheide verletzt sein könnten. Der Einwand des Bevollmächtigten, gegen die Beschwerdeführer seien bereits Bußgeldverfahren wegen der Verletzung der Schulpflicht eingeleitet worden und die nunmehrige Androhung, ein Zwangsgeld zu verhängen, verstoße gegen das Verbot der Doppelbestrafung, verkennt den grundlegend unterschiedlichen Charakter von Bußgeld und Strafe einerseits und Verwaltungsmaßnahmen andererseits. Mit diesem Argument kann weder die Rechtswidrigkeit der Androhung von Zwangsgeld in den streitgegenständlichen Bescheiden begründet werden, noch die Verfassungswidrigkeit des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG. Im Hinblick auf die genannten Sanktionen liegt kein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) vor.

Ein Ordnungswidrigkeitenverfahren nach § 119 BayEUG dient der Ahndung einer (in der Vergangenheit liegenden) Ordnungswidrigkeit durch die Verhängung einer Geldbuße, während die Androhung von Zwangsgeld nicht auf eine (weitere) Bestrafung der Antragsteller gerichtet ist, sondern die Herbeiführung von künftig rechtmäßigem Verhalten bezweckt. Das (repressive) Ordnungswidrigkeitenverfahren mit sanktionierendem Charakter und die allein der Gefahrenabwehr dienende (präventive) Androhung von Zwangsgeld unterscheiden sich insoweit in ihren Funktionen und schließen sich daher nicht gegenseitig aus (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21.1.2003 – 1 C 5.02 – juris Rn. 19; BayVGH, Urteil vom 27.10.1981 – 22 B 2206/79 – BeckRS 1981, 3587). Entgegen der Auffassung der Antragsteller wird nicht ,über den Umweg des LStVG die Höchstpönalisierung umgangen‘. § 17 Abs. 1 OWiG, der eine maximale Höhe des Bußgeldes von 5.000 Euro vorgibt, ist aufgrund des unterschiedlichen Charakters von Ordnungswidrigkeitenverfahren und Verwaltungsvollstreckung nicht geeignet, Maßstab für die Höhe von Zwangsgeldern zu sein.“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 7.3.2023 – 7 CS 23.324

 

Entnommen aus der Fundstelle Bayern 15/2023, Rn. 174.