Rechtsprechung Bayern

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr durch Einwirkung auf ein Pferd

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Eine Frau wurde auf ihrem Pferd reitend von ihren Grundstücksnachbarn bedrängt. Diese warfen der Reiterin Schnee hinterher, was zur Verängstigung des Tiers führte. Mit der von der Reiterin erhobenen Klage beschäftigte sich das  Bayerische Oberste Landgericht unter Annahme der Körperverletzung sowie gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.
Sachverhalt

Die beiden miteinander verheirateten Angeklagten und die Nebenklägerin sind Nachbarn. Am Nachmittag des 19.01.2021 ritt die Nebenklägerin auf ihrem Pferd auf der öffentlichen Gemeindestraße zwischen den Anwesen der Angeklagten und der Familie der Nebenklägerin. Der Nebenklägerin war aufgrund vorangegangener Vorfälle mit den Angeklagten bekannt, dass diese aufgrund einer langjährigen Nachbarschaftsstreitigkeit mit der Familie der Nebenklägerin immer wieder versuchen, die Pferde der Nebenklägerin beim Passieren ihres Grundstücks zu erschrecken.

Als sich die Nebenklägerin dem Haus der Angeklagten näherte, waren diese mit Schneeräumarbeiten beschäftigt. Während die Nebenklägerin an der Angeklagten vorbeiritt, warf diese mit der Schneeschaufel eine geringe Menge Schnee dem Pferd hinterher. Das Pferd wurde von dem Schnee nicht getroffen. Die von der Nebenklägerin gerittene Stute geriet hierdurch in eine gewisse Aufregung, konnte jedoch von ihr nach wenigen Sekunden unter Kontrolle gebracht werden.

Zu einem Sturz oder einer Verletzung der Nebenklägerin kam es nicht. Auch die konkrete Gefahr eines Sturzes konnte nicht festgestellt werden. Dass die Angeklagte einen solchen Sturz und eine daraus resultierende mögliche Verletzung der Nebenklägerin gewollt oder zumindest billigend in Kauf genommen hätte, konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

Die Nebenklägerin und die Angeklagte gerieten daraufhin vor der Terrasse des Anwesens der Angeklagten in ein Streitgespräch, bei dem die Nebenklägerin die Angeklagte mehrfach erzürnt anschrie: „Mach nur weiter! Komm, noch ’ne Schippen!“ Der Angeklagte, der wenige Meter entfernt weiterhin Schnee von der Terrasse seines Anwesens geschoben hatte, ohne sich anfangs um die Nebenklägerin zu kümmern, warf nunmehr – durch das laute Schreien der Nebenklägerin provoziert – ebenfalls eine Schaufelladung Schnee in Richtung der Nebenklägerin und ihres Pferdes, worauf diese mit dem Ausruf „Ja, das hat ja wohl ein Nachspiel! Freu’ Dich schon mal!“ in ihr gegenüberliegendes Grundstück ritt. Eine Schreckreaktion des Pferdes durch das Verhalten des Angeklagten war nicht erkennbar. Während des gesamten Vorfalls waren keine anderen Verkehrsteilnehmer auf der Straße unterwegs.

Das Amtsgericht verurteilte die Angeklagten am 18.01.2022 wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (beim Angeklagten im Stadium des Versuchs) in Tateinheit mit versuchter „vorsätzlicher“ Körperverletzung jeweils zu Geldstrafen. Auf die hiergegen gerichteten Berufungen der Angeklagten hat das Landgericht Bayreuth mit Urteil vom 23.05.2022 das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Mit ihrer gegen die Freisprüche gerichteten und von der Generalstaatsanwaltschaft München vertretenen Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Nebenklägerin stützt ihre ebenfalls eingelegte Revision auf die Sachrüge.

StGB – §§ 22, 185, 194 Abs. 1, 223 Abs. 1, Abs. 2, 315b Abs. 1 Nr. 3, 315b Abs. 2

StPO – §§ 264 Abs. 1, 337 Abs. 1, 344 Abs. 2 Satz 2, 473 Abs. 1 Satz 1, 473 Abs. 2 Satz 1

  1. Der Straftatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (hier: § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB) setzt den Eintritt einer konkreten Gefahr voraus. Eine solche Gefahr ist bei einer Einwirkung auf ein im Straßenverkehr bewegtes Pferd nicht gegeben, wenn das Tier zwar kurzzeitig in Aufregung gerät, aber sogleich von dem Reiter unter Kontrolle gebracht werden kann.
  2. Teilt das tatrichterliche Urteil im Falle eines Freispruchs den Anklagevorwurf nicht mit, stellt dies keinen zur Aufhebung führenden durchgreifenden Rechtsfehler dar, weil das Revisionsgericht den Inhalt der Anklageschrift zur Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ohnehin von Amts wegen zur Kenntnis nehmen muss.
  3. Die Verfahrensvoraussetzung eines Strafantrags ist nur dann erfüllt, wenn sich der Wille des Verletzten zur Antragstellung auch auf das Tatgeschehen, für welches das Strafantragserfordernis besteht, erstreckt.

Bayerisches Oberstes Landgericht (Urt. v. 16.12.2022 – 202 StRR 110/22 – Verlags-Archiv Nr. 23-10-05)

Aus den Gründen

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben keinen Erfolg.

Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Die Freisprüche halten der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Das Berufungsurteil weist nicht etwa deshalb einen zur Urteilsaufhebung führenden Darstellungsmangel auf, weil die jeweiligen Anklagevorwürfe in den Urteilsgründen nicht wiedergegeben werden. Zwar entspricht es gefestigter Rechtsprechung, dass ein freisprechendes Urteil zunächst die individuellen Anklagevorwürfe aufzuzeigen und sodann die als erwiesen angesehenen Tatsachen in einer geschlossenen Darstellung wiederzugeben hat. Dass das Berufungsurteil zwar den festgestellten Sachverhalt mitteilt, nicht aber die Anklagevorwürfe konkret darlegt, stellt indes keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar, auf dem die freisprechende Erkenntnis beruhen würde (§ 337 Abs. 1 StPO).

Das Revisionsgericht muss die Anklageschrift zur Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ohnehin von Amts wegen zur Kenntnis nehmen, sodass der Senat aus diesem Grund um deren Inhalt weiß. Der Senat kann daher beurteilen, dass die Berufungskammer bei der Entscheidungsfindung die angeklagte Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO zugrunde gelegt und damit die ihr obliegende Kognitionspflicht nicht verletzt hat.

Kein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr

b) Zutreffend hat die Berufungskammer eine Strafbarkeit wegen vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint. Denn nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fehlt es schon an einer vom Straftatbestand vorausgesetzten konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert, sodass es auf die weiteren Tatbestandsmerkmale nicht mehr ankommt.

aa) Eine konkrete Gefahr ist nur dann anzunehmen, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“.

Keine übermäßige Reaktion des Pferdes

bb) Gemessen hieran rechtfertigen die tatrichterlichen Feststellungen einen „Beinahe-Unfall“ in diesem Sinne nicht. Vielmehr hat das von der Nebenklägerin gerittene Pferd nach den Urteilsgründen auf die Schneewürfe nicht derart reagiert, dass von einem Beinahe-Unfall gesprochen werden könnte. Auf den von der Angeklagten mittels einer Schneeschippe in Richtung des Pferdes durchgeführten Wurf von einer „geringen Menge Schnee“ geriet das Pferd zwar in eine „gewisse Aufregung“, konnte aber bereits nach wenigen Sekunden unter Kontrolle gebracht werden. Letzteres ist umso bemerkenswerter, als dies der Nebenklägerin offensichtlich ohne weiteres gelang, obwohl sie gleichzeitig das Geschehen mit der Kamera ihres Mobiltelefons aufzeichnete, was die Konzentration auf das Geschehen und die Kontrolle des Pferdes von vornherein erschwerte. Nach den Urteilsfeststellungen handelte es sich damit um eine ohne weiteres im Alltag zu erwartende Reaktion eines Pferdes, mit der jederzeit gerechnet werden muss, was aber noch keineswegs dazu führte, dass eine konkrete Gefährdung für Pferd, Reiterin oder sonstige Verkehrsteilnehmer, die ohnehin nicht zugegen waren, eingetreten wäre. Diese Einschätzung wird überdies durch das Verhalten der Nebenklägerin bestätigt, die nach den Urteilsfeststellungen die Angeklagten lautstark mit den Worten „noch ’ne Schippen“ sogar dazu aufforderte, ihr Verhalten zu wiederholen. Auf das Handeln des Angeklagten, der nach den Gründen des Berufungsurteils anschließend ebenfalls eine Schaufelladung Schnee in Richtung der Nebenklägerin und ihres Pferdes warf, reagierte das Pferd überhaupt nicht mehr.

Nach den Urteilsfeststellungen ist damit in beiden Fällen allenfalls von einer abstrakten Gefahr, die sich theoretisch zu einer Verletzung hätte verdichten können, auszugehen, was aber für die Tatbestandserfüllung des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB gerade nicht genügt.

Von Verurteilung wegen versuchter Körperverletzung wird abgesehen

c) Auch von einer Verurteilung wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 22 StGB sowie versuchter Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, Abs. 2, 22 StGB hat die Berufungskammer in rechtlich nicht zu beanstandender Weise abgesehen, weil das Tatgericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme einen Tatentschluss wenigstens in der Form eines dolus eventualis mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung verneint hat.

[…]

 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv 10/2023, Lz. 351.