Rechtsprechung Bayern

Errichtung weiterer auswärtiger Senate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in Ansbach

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Amtlicher Leitsatz:

Allenfalls teilweise zulässiger und insoweit unbegründeter Antrag im Verfahren der Meinungsverschiedenheit sowie mangels ausreichender Substanziierung insgesamt unzulässige Popularklage gegen die Gesetzesänderung zur Errichtung weiterer auswärtiger Senate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in Ansbach (Art. 1 Abs. 1 Satz 3 AGVwGO).

BayVerfGH, Entscheidung vom 27.06.2023, Vf. 12-VIII-22 u.a.

Zum Sachverhalt

Die zur gemeinsamen Entscheidung gemäß Art. 30 Abs. 1 VfGHG, § 93 VwGO verbundenen Verfahren der Meinungsverschiedenheit (Vf. 12-VIII-22) und der Popularklage (Vf. 13-VII-22) mit Anträgen jeweils vom 25. Juli 2022 betreffen beide die Frage, ob § 1 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22. April 2022 (GVBl. S. 148) sowie Art. 1 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom20. Juni 1992 (GVBl. S. 162, BayRS 34-1-l), das zuletzt durch Gesetz vom 22. April 2022 (GVBl. S. 148) geändert worden ist, gegen die Bayerische Verfassung verstoßen. Die angegriffene Bestimmung des Änderungsgesetzes betrifft die Errichtung weiterer auswärtiger Senate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in Ansbach und hat zu einer Neufassung des Satzes 2 sowie des angegriffenen Satzes 3 des Art. 1 Abs. 1 AGVwGO geführt, der seither folgenden Wortlaut hat:

Art. 1

Bayerische Verwaltungsgerichtsbarkeit (1) 1Das Oberverwaltungsgericht für den Freistaat Bayern führt die Bezeichnung „Bayerischer Verwaltungsgerichtshof “. 2Der Verwaltungsgerichtshof hat seinen Sitz und die Mehrzahl seiner Senate in München. 3In Ansbach werden mindestens sechs auswärtige Senate des Verwaltungsgerichtshofs errichtet. …

Gemäß § 2 VwGO sind in den Ländern Verwaltungsgerichte und das jeweilige Oberverwaltungsgericht errichtet. Das Oberverwaltungsgericht für den Freistaat Bayern führt gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO die Bezeichnung „Bayerischer Verwaltungsgerichtshof “, dessen Sitz gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 2 AGVwGO in München ist.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verfügt seit 1995 über eine Außenstelle in Ansbach. Deren erstmalige Einrichtung mit zunächst drei Senaten geht zurück auf das am 1. Januar 1994 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 23. Juni 1993 (GVBl. S. 408).

Seit dem 1. Juli 2007 bestehen in Ansbach insgesamt vier auswärtige Senate aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22. Juni 2007 (GVBl. S. 389). Seither lautete Art. 1 Abs. 1 Satz 3 AGVwGO: „In Ansbach werden vier auswärtige Senate des Verwaltungsgerichtshofs errichtet“. Die Bayerische Staatsregierung beschloss als Fortschreibung der Heimatstrategie aus dem Jahr 2014 das Konzept „Behördenverlagerungen Bayern 2030 2. Stufe“.

Es wird damit das Ziel weiterverfolgt, wohnortnahe Arbeitsplätze zu schaffen und strukturschwache Regionen zu fördern. Das Konzept „Behördenverlagerungen Bayern 2030 2. Stufe“ enthält neben anderen Vorhaben insbesondere die beabsichtigte Stärkung der Region Ansbach durch die Verlagerung weiterer Senate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs von München nach Ansbach mit insgesamt mindestens 35 Beschäftigten.

Der von der Staatsregierung am 14. Dezember 2021 in den Bayerischen Landtag eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (LT-Drs. 18/19570) sah in § 1 Nr. 1 Buchst. b folgende Änderung des Art. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) vor:

Abs. 1 Satz 2 und 3 wird wie folgt gefasst:

„Der Verwaltungsgerichtshof hat seinen Sitz und die Mehrzahl seiner Senate in München. 3In Ansbach werden mindestens sechs auswärtige Senate des Verwaltungsgerichtshofs errichtet“.

Anlässlich der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs im Bayerischen Landtag am 25. Januar 2022 bemängelte ein Abgeordneter der Antragstellerin im Verfahren der Meinungsverschiedenheit, dass die genaue Anzahl der Außensenate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in Ansbach durch das Gesetz nicht konkret festgelegt werde (Plenarprotokoll 18/102 S. 13905). Die Staatsregierung habe diese Problematik auch erkannt. Wenn diese schon einmal selbst erkenne, dass ein Gesetz dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht genügen könnte, sei höchste Vorsicht geboten. Das weitere Verfahren im Verfassungsausschuss werde sich insoweit auf eine intensive Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs beziehen müssen. Es wäre „doch wirklich schade, wenn Behördenverlagerungen und die damit einhergehende Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Bayern am fortdauernden handwerklichen Unvermögen der Staatsregierung scheitern sollten“.

Auf Empfehlung des Ausschusses für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration (LT-Drs. 18/21848) beschloss der Bayerische Landtag den Gesetzentwurf der Staatsregierung in zweiter Lesung am 30. März 2022 ohne Aussprache und ohne Änderungen, gegen die Stimme der Antragstellerin im Verfahren der Meinungsverschiedenheit mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Bayerischen Landtags (Plenarprotokoll 18/109 S. 14877 f.; LT-Drs. 18/22039).

Das Gesetz wurde am 22. April 2022 vom Bayerischen Ministerpräsidenten ausgefertigt und im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt vom 29. April 2022 bekannt gemacht (GVBl. S. 148). Es trat am 1. Mai 2022 in Kraft. Die Antragstellerin im Verfahren der Meinungsverschiedenheit nach Art. 75 Abs. 3 BV und die Antragsteller im Verfahren der Popularklage gemäß Art. 98 Satz 4 BV wenden sich jeweils sowohl gegen die Änderungsbestimmung in § 1 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung als auch gegen Art. 1 Abs. 1 Satz 3 AGVwGO in der dadurch seither geltenden Fassung.

Entnommen aus BayVBl 18/2023, S. 627.