Das entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) im unten vermerkten Beschluss vom 15.2.2023. Zugrunde lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt: Die Antragstellerin ist eine gemeinnützige GmbH, die ein Tierheim betreibt. Ihr einziger Gesellschafter ist ein Tierschutzverein. Zwischen dem Tierschutzverein und der Antragsgegnerin besteht seit 2013 ein privatrechtlicher Vertrag zur Unterbringung unter anderem von Tieren, die aufgrund von Vorschriften des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) sichergestellt wurden (Verwahrtiere).
2021 attackierten die beiden Hunde des Herrn N. unvermittelt einen Passanten und fügten ihm durch eine Vielzahl von Bissen schwere Verletzungen am ganzen Körper zu. Die Hunde wurden daraufhin aufgrund einer für sofort vollziehbar erklärten Anordnung der „Wegnahme und Unterbringung“ samt Kostentragungspflicht mit Bescheid vom selben Tag – gestützt auf Art. 7 Abs. 2 LStVG – gegenüber dem Halter und Eigentümer bei der Antragstellerin untergebracht. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 6.10.2021 ordnete die Antragsgegnerin gegenüber Herrn N. – unter anderem gestützt auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG 2 an, die Euthanasierung der Hunde zu dulden (im Folgenden: Tötungsduldung). Ebenfalls an diesem Tag teilten die Antragstellerin und der Tierschutzverein der Antragsgegnerin mit, dass sie die Hunde zum Zweck der Tötung nicht herausgeben würden.
Mit Bescheid vom 29.11.2021 ordnete die Antragsgegnerin – gestützt auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG – gegenüber der Antragstellerin u.a. an, den Abtransport und die anschließende Sedierung der Hunde an einem bestimmten Termin durch eine beauftragte Person zu dulden. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Hiergegen hat die Antragstellerin Klage erhoben und Eilantrag auf Wiederherstellung beziehungsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Mit Urteil vom 12.5.2022 (M 22 K 21.6204) hat das Verwaltungsgericht den Bescheid der Antragsgegnerin aufgehoben. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hin hat der VGH mit Beschluss vom 27.12.2022 (10 CS 22.1799) den Eilantrag der Antragstellerin in Bezug auf die Duldungsanordnungen abgelehnt. Zur Begründung hat der VGH unter anderem angeführt, dass es für die Rechtmäßigkeit der gegenüber der Antragstellerin ergangenen Duldungsanordnungen mangels eines Rechts zum Besitz der Antragstellerin keiner inzidenten Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegenüber Herrn N. ergangenen, bestandskräftigen Tötungsduldung bedarf und sich diese im Übrigen im Rahmen der vorzunehmenden Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO auch als rechtmäßig erweist.
Am 11.1.2023 hat die Antragstellerin hiergegen Anhörungsrüge erhoben, wobei sie unter anderem vorgetragen hat, dass sie Eigentümerin der beiden Hunde geworden wäre. Mit ihrer am 16.1.2023 eingelegten Beschwerde beantragt die Antragstellerin, dass die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin erneut wiederhergestellt bzw. erneut angeordnet wird. Hierzu führt sie im Wesentlichen an, dass laut dem vorgelegten Vertrag vom 11.1.2023 zwischen Herrn N. und dem Tierschutzverein letzterer Eigentümer der Hunde geworden sei. Dem Tierschutzverein gegenüber sei jedoch bislang keine Tötungsduldung ergangen. Der Tierschutzverein habe die beiden Hunde zur Unterbringung und Betreuung in die Obhut der Antragstellerin gegeben, diese würden von ihr gehalten, und sie habe daher nunmehr auch ein Recht zum Besitz.
Da der Tierschutzverein Eigentümer der Hunde sei, handele es sich bei diesen nicht mehr ausschließlich um Verwahrtiere der Antragsgegnerin. Die Verpflichtung aus der Tötungsduldung sei nicht im Wege der Rechtsnachfolge auf den Tierschutzverein übergegangen. Die Antragsgegnerin habe die konkrete Gefahr im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG für die Tötungsduldung gegenüber Herrn N. maßgeblich mit der unzureichenden Haltung begründet („durch Ihre Hundehaltung“). Herr N. sei nicht mehr Halter und auch nicht mehr Eigentümer. Die Antragsgegnerin müsse erst einmal eine konkrete Gefahr durch die Haltung des Tierschutzvereins beziehungsweise der Antragstellerin darlegen und erneut eine begründete Anordnung erlassen.
Der VGH lehnte den auf Grundlage von § 80 Abs. 7 VwGO gestellten Antrag ab und führt Folgendes aus:
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage
„Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage einer Klage gegen eine auf Art. 7 Abs. 2 LStVG gestützte Anordnung zur Gefahrenabwehr ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung (vgl. BayVGH, Beschluss vom 21.9.20221) – 11 ZB 22.881 – juris Rn. 16; Beschluss vom 12.2.2008 – 7 CS 08.187 – juris Rn. 15). Dies gilt insbesondere auch für Anordnungen im Zusammenhang mit Hunden (vgl. BayVGH, Beschluss vom 29.8.2001 – 24 ZS 01.1967 – juris Rn. 4: ,Die durch Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gedeckten Anordnungen werden nicht etwa rückwirkend dadurch rechtswidrig, dass die Antragstellerin den Hund (angeblich) außerhalb des Gemeindegebietes verbringt und glaubt, dadurch die rechtmäßigen Anordnungen des Antragsgegners unterlaufen zu können.‘). Es ist kein Grund ersichtlich, hiervon in Dreieckskonstellationen abzuweichen, bei denen zur Beseitigung von Zwangsvollstreckungshindernissen zusätzlich zu der Grundverfügung der Erlass von Duldungsanordnungen gegenüber Dritten notwendig ist, zumal in den Fällen, in denen die Gefahrenabwehrbehörde ihre Gefahrenprognose – wie hier die Antragsgegnerin in dem streitbefangenen Bescheid … – aktualisiert hat.“
2. Die Anordnung der Duldung einer Tötung ist kein Dauerverwaltungsakt
„Die hier streitbefangenen Duldungsanordnungen sind auch nicht als Dauerverwaltungsakte zu qualifizieren, die ein Abstellen auf einen anderen Zeitpunkt gebieten würden. Einen Dauerverwaltungsakt kennzeichnet, dass die mit ihm getroffene Regelung nicht mit einer einmaligen Befolgung erledigt ist, sondern innerhalb der Geltungsdauer oder bis zum Erlass eines neuen Verwaltungsakts fortdauernd Geltung beansprucht und damit in ihrer Wirkung wesensgemäß auf Dauer angelegt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.7.2013 – 3 B 100.12 – juris Rn. 4; …). Bei einer Duldungsanordnung zur Gefahrenabwehr ist maßgeblich, welches staatliche Verhalten zu dulden ist, mithin ob dieses seinerseits auf Dauer angelegt ist oder sich in einem einzigen Akt erschöpft (vgl. zu einer auf Art. 18 Abs. 2 LStVG gestützten Untersagungsanordnung: BayVGH, Urteil vom 26.11.20142) – 10 B 14.1235 – juris Rn. 21 ff.; vgl. zu einer auf Art. 19 Abs. 5 Satz 2 LStVG gestützten Untersagungsanordnung eines Einzelereignisses: Beschluss vom 14.12.2020 – 10 ZB 20.2656 – juris Rn. 12). Die zu duldende Sedierung und der zu duldende Abtransport erschöpfen sich jeweils in einem einmaligen Akt. Die von der Antragstellerin geltend gemachten nachträglichen Änderungen, die nach den … erlassenen Duldungsanordnungen ergangen sein sollen, vermögen deshalb die Erfolgsaussichten der erhobenen Klage nicht zu verbessern.“
3. Die präventive Sicherstellung (eines Hundes) durch die allgemeine Sicherheitsbehörde löst ein relatives Verfügungsverbot aus
„Selbst wenn man die von der Antragstellerin zuletzt vorgetragenen Umstände eines Eigentumsübergangs der Hunde von Herrn N. an den Tierschutzverein beziehungsweise die Antragstellerin zugrunde legte, würde dies keine Änderung der vorangehenden Eilentscheidung gebieten.
§ 929 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 90a Satz 3 BGB setzt für die Übereignung eines Tieres neben einer entsprechenden Einigung auch eine Übergabe voraus. Diese kann zwar nach § 931 BGB grundsätzlich durch Abtretung der Herausgabeforderung ersetzt werden. Dies ist indes im vorliegenden Fall mit Wirkung gegenüber der Antragsgegnerin nicht möglich, weil die mit bestandskräftigem Bescheid … angeordnete und vollzogene Sicherstellung der Hunde gestützt auf Art. 7 Abs. 2 LStVG zu deren Gunsten ein relatives Verfügungsverbot nach § 136 BGB in Verbindung mit § 135 BGB bewirkt hat, mit der Folge, dass eine Übereignung dieser gegenüber unwirksam ist.
Nach § 136 BGB steht ein Veräußerungsverbot, das von einem Gericht oder von einer anderen Behörde innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassen wird, einem gesetzlichen Veräußerungsverbot der in § 135 BGB bezeichneten Art gleich. § 136 BGB und § 135 BGB sind nicht auf (obligatorische) Veräußerungsverbote beschränkt, sondern haben nach allgemeiner Meinung auch (dingliche) Verfügungsverbote zum Gegenstand. Behördliche Verbote im Sinne von § 136 BGB in Verbindung mit § 135 BGB erfassen dabei (dingliche) Verfügungen jeder Art …
Ebenso wie mit einer strafprozessualen Beschlagnahme ein relatives Verfügungsverbot zugunsten des Staates entsteht (vgl. § 111d Abs. 1 Satz 1 StPO u. bereits zu § 111c Abs. 5 StPO a.F.: BVerfG, Beschluss vom 13.8.2018 – 2 BvR 745/ 14 – juris Rn. 28), löst auch die polizeiliche präventive Sicherstellung gemäß Art. 25 ff. PAG ein relatives Verfügungsverbot aus. Dies beruht darauf, dass die Polizei sich nicht mit Streitigkeiten über das Recht an der Sache beschäftigen müssen soll (vgl. BayVGH, Beschluss vom 22.5.2017 – 10 B 17.83 – juris Rn. 32; …). Dafür, dass dies bei identischer Interessengrundlage nicht auch für die allgemeine Sicherheitsbehörde gilt, die gestützt auf Art. 7 Abs. 2 LStVG eine sofort vollziehbare präventive Sicherstellung anordnet und amtlichen Gewahrsam begründet, sieht der Senat keine überzeugenden Gründe. Eine solche präventive Sicherstellung der allgemeinen Sicherheitsbehörde löst vielmehr ebenfalls ein relatives Verfügungsverbot aus.
So liegt der Fall hier. Die Antragsgegnerin ist bei Erlass des Bescheides … als nach Art. 7 Abs. 2 LStVG zuständige allgemeine Sicherheitsbehörde tätig geworden … Die mit Bescheid … getroffenen Anordnungen der ,Wegnahme und Unterbringung‘ (samt Kostentragungspflicht) sind als Sicherstellungsanordnung zu qualifizieren (vgl. bereits BayVGH, Beschluss vom 27.12.2022 2 10 CS 22.1799 – juris Rn. 4). Mit der Sicherstellung einer Sache durch Verwaltungsakt begründet eine Gefahrenabwehrbehörde – unter Ausschluss des bisherigen Inhabers – die tatsächliche Sachherrschaft, mithin amtlichen Gewahrsam. Genau dies ist in Bezug auf die zwei Hunde geschehen. Eine derartige Anordnung wurde getroffen und auch unmittelbar umgesetzt … Die mit Bescheid … verfügte Sicherstellung entfaltet daher zu Gunsten der Antragsgegnerin als Prozessgegnerin ein relatives Verfügungsverbot.
Die Verbotswidrigkeit der nachträglichen (dinglichen) Verfügung in Form des ,Übereignungsvertrags‘ oder einer anderen nicht näher konkretisierten Übereignung konnte der Tierschutzverein oder die Antragstellerin aufgrund der Kenntnis von den Umständen mangels Gutgläubigkeit entsprechend §§ 932 ff. BGB auch nicht überwinden …
Die behaupteten Umstände können daher einen Eigentumsübergang und damit auch eine Unwirksamkeit der Tötungsduldung, auf die sich die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin beruft, nicht bewirken. Insofern fehlt es an einer entscheidungserheblichen Änderung, da sie die in dem Beschluss des Senats vom 27.12.2022 angestellten Erwägungen nicht in Zweifel ziehen.“
[…]Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15.2.2023 – 10 AS 23.94
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in FStBy 18/2023, Rn. 212.