Rechtsprechung Bayern

Verwirkung des Rechts des Grundstückseigentümers, die Freigabe seines Grundstücks für den öffentlichen Verkehr zu widerrufen

Hiermit befasste sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) im unten vermerkten Beschluss vom 8 . 5 . 2 0 2 3 . Der Kläger begehrte die Feststellung seiner Berechtigung, den 4 m2 umfassenden Teil einer über sein Grundstück verlaufenden Straße für die Allgemeinheit zu sperren.

Die Voreigentümerin hatte die Nutzung dieses Grundstücksteils für den öffentlichen Verkehr über Jahrzehnte hingenommen, war aber nicht bereit, die Teilfläche an die Gemeinde zu veräußern. Im Jahr 1981 oder 1982 wurde die Straße asphaltiert; ob die Voreigentümerin dem zugestimmt hat, war zwischen den Beteiligten streitig. Das Verwaltungsgericht hat dies nach Einvernahme mehrerer Zeugen bejaht und ist von einer Verwirkung des Widerrufsrechts ausgegangen. Der VGH hat die verwaltungsgerichtliche Entscheidung bestätigt. Dem Beschluss kann Folgendes entnommen werden:

1. Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts

Zur Würdigung der Zeugenaussagen durch das Verwaltungsgericht führt der VGH aus:

„Das Verwaltungsgericht hat seine Überzeugung, die frühere Eigentümerin B. habe der Asphaltierung der Straße im Jahr 1981 oder 1982 zugestimmt, im Wesentlichen auf die Aussage des Zeugen R. gestützt. Dieser habe glaubhaft erklärt, die Zustimmung sei nach zähen Verhandlungen mit dem Bürgermeister abgegeben worden… Der gegenteiligen Aussage des Ehemanns der Voreigentümerin (Zeuge B.) in der mündlichen Verhandlung … und in der – vom Vater des Klägers vorgefertigten – schriftlichen Erklärung vom18.1.2022…hat es keinen ausschlaggebenden Beweiswert zugemessen. Der Zeuge B. habe insgesamt hinsichtlich des Beweisthemas einen sehr unsicheren Eindruck gemacht und auf Nachfragen oft ausweichend, leicht gereizt und häufig zunächst mit ,Echofragen‘ reagiert; seine Angaben seien zum Teil widersprüchlich (z.B. zur Kenntnis der Ehegatten von den Eigentumsverhältnissen) und sein Erinnerungsvermögen verblasst oder nicht zuverlässig…Mit ihrer Wertung, die Aussage des Zeugen R. sei nicht glaubhaft, nimmt die Klägerseite eine eigene Beweiswürdigung vor; augenscheinliche gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten der Beweiswürdigung zeigt sie damit nicht auf.“

a) Nähere Umstände der Zustimmungserklärung

„Dass der Zeuge R. keine Angabe zu bestimmten, vom Zulassungsantrag angeführten Modalitäten der Zustimmungserklärung gemacht hat (Erklärung durch einen [welchen?] oder beide Ehegatten, Zustimmung wann und bei welcher Gelegenheit erteilt, Adressat der Zustimmungserklärung, wozu genau wurde die Zustimmung erklärt), genügt dafür nicht. Nur weil sich die Zeugenaussage zu den von der Klägerseite thematisierten Einzelpunkten nicht verhielt, war ihr die Glaubhaftigkeit nicht abzusprechen. Der Zeuge R. hat die Vorgeschichte und das Zustandekommen der Zustimmung der früheren Eigentümerin B. mit einigen Detailkenntnissen vorgetragen. So berichtete er von mehreren Gesprächen der Voreigentümerin B. mit dem Bürgermeister; an einem davon habe er selbst teilgenommen.

Nach zähen Verhandlungen und dem Entgegenkommen der Beklagten, einen Teil des klägerischen Grundstücks (Vorplatz zur Scheune) auf ihre Kosten zu asphaltieren …, habe sie im letzten Moment zugestimmt. Soweit der Kläger in der Schilderung des Zeugen R. weitere Einzelheiten vermisst, darf auch die lange Zeitspanne seit dem Jahr 1981 bzw. 1982 nicht unberücksichtigt bleiben.“

b) Gemeindebeamter als „Zeuge vom Hörensagen“

„Auch der Vorhalt, der Zeuge R. habe die Zustimmung nicht aus eigener Wahrnehmung bestätigen können, greift nicht durch. Der Zeuge vom Hörensagen ist kein von vornherein ungeeignetes Beweismittel, auch wenn dessen Aussage einer Entscheidung regelmäßig nur zugrunde gelegt werden kann, wenn es für das Vorliegen der Tatsache noch andere Anhaltspunkte gibt … Vorliegend hat es selbst der Zeuge B. für möglich erachtet, dass seine verstorbene Ehefrau zugestimmt hat; die Asphaltierung der Straße sei wegen des Lärms durch den früheren Pflasterbelag ja in ihrem Sinn gewesen… Hinzu kommt, dass der Zeuge R. nicht als ,unbeteiligter‘ Zeuge vom Hörensagen angesehen werden kann, weil er als geschäftsleitender Beamter der Beklagten mit der streitbefangenen Angelegenheit befasst war und auch die Umsetzung von Erklärungen, die dem Bürgermeister gegenüber abgegeben wurden, zu seinen Dienstaufgaben gezählt hat.

Die frühere langjährige Tätigkeit des Zeugen R. als Beamter der Beklagten hat das Verwaltungsgericht gewürdigt, darin aber keinen Interessenkonflikt erkannt, weil dessen Pensionierung viele Jahre zurückliege, sodass er beruflich mit den Streitigkeiten zwischen der Beklagten und der Familie des Klägers nicht mehr in Berührung gekommen sei … Der pauschale Vorhalt des Klägers, es bestehe noch immer ein ,besonderes Näheverhältnis‘, setzt sich mit dieser Begründung des Ausgangsgerichts nicht hinreichend auseinander. Der Vortrag, die persönliche Beziehung des Zeugen R. zur Familie des Klägers sei während der gesamten Dauer des Dienstverhältnisses – vorsichtig ausgedrückt – ,angespannt‘ gewesen, bleibt im Ungefähren.“

c) Beweislast für die Verkehrsfreigabe

„Da das Verwaltungsgericht keine Beweislastentscheidung getroffen, sondern der Aussage des Zeugen R. in der mündlichen Verhandlung Glauben geschenkt hat, führt auch das Zulassungsvorbringen, die materielle Beweislast für die Verkehrsfreigabe treffe die Beklagte, nicht zum Erfolg …“

2. Kein Schriftformerfordernis der Zustimmungserklärung

„Die Zustimmung eines Eigentümers zur Asphaltierung, die zu einem rechtmäßigen Überbau geführt hat … unterliegt auch keinem (Schrift-)Formerfordernis; dass die Zustimmung der Voreigentümerin B. nicht schriftlich dokumentiert wurde, ist deshalb ohne Belang.“

Entnommen aus FStBay 20/2023 Rn. 234.