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Entgeltgleichheitsklage: Schadensersatz aufgrund einer Benachteiligung wegen des Geschlechts

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Mit diesen Themen befasste sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) im unten vermerkten Urteil vom 16.2.2023. Die Orientierungssätze des BAG zu der Entscheidung lauten:

1. Ein Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung aufgrund des Geschlechts kann sich sowohl aus dem direkt anwendbaren Art. 157 AEUV als auch aus § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG ergeben.

2. Ob die betroffenen Arbeitnehmer die „gleiche Arbeit“ oder „gleichwertige Arbeit“ i.S.v. Art. 157 AEUV verrichten, ist eine Frage der Tatsachenwürdigung durch die nationalen Gerichte.

3. Sowohl zur Feststellung, ob Arbeitnehmer „gleiche Arbeit“ i.S.v. Art. 157 AEUV ausüben, als auch zur Feststellung, ob sie „gleichwertige Arbeit“ im Sinne dieser Bestimmung ausüben, ist zu prüfen, ob diese Arbeitnehmer unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren, wie der Art der Arbeit, der Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können.

4. Ob der Grundsatz der Entgeltgleichheit eingehalten ist, wird nicht im Wege einer Gesamtbewertung verschiedener Entgeltbestandteile ermittelt, sondern ist für jeden einzelnen Bestandteil des Entgelts gesondert zu prüfen. Andernfalls werden eine echte Transparenz und eine wirksame Kontrolle nicht erreicht.

5. Legt eine Partei dar und beweist sie im Bestreitensfall, dass ihr Arbeitgeber Kollegen/Kolleginnen des anderen Geschlechts für die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit ein höheres Entgelt zahlt, begründet dies regelmäßig die Vermutung i.S.v. § 22 AGG, dass die Entgeltungleichbehandlung wegen des Geschlechts erfolgt.

6. Die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung kann im Einzelfall widerlegt sein, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass das höhere Entgelt wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt erforderlich war, um die offene Stelle mit einer geeigneten Arbeitskraft zu besetzen.

7. Einigen sich die Parteien eines Arbeitsvertrags im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt, als der Arbeitgeber mit einer Arbeitskraft des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbart, ist dies für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung zu widerlegen.

8. Allein der Umstand, dass Arbeitskräfte unterschiedlichen Geschlechts, die die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, als Ersatz für unterschiedlich vergütete ausscheidende Arbeitskräfte eingestellt worden sind, ist ebenfalls nicht geeignet, die Vermutung der Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts zu widerlegen.

9. Sowohl eine bessere Qualifikation aufgrund einer fachspezifischen Ausbildung als auch eine längere einschlägige Berufserfahrung einer besser vergüteten Arbeitskraft, die die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet, sind grundsätzlich geeignet, die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts zu widerlegen.

10. Eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts kann neben dem Anspruch auf ein höheres Entgelt aus Art. 157 AEUV bzw. aus § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG im Einzelfall sowohl einen Anspruch auf Ersatz eines materiellen Schadens nach § 15 Abs. 1 AGG als auch einen Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadens nach § 15 Abs. 2 AGG begründen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.2.2023 – 8 AZR 450/21.

Entnommen aus der Fundstelle Bayern Heft 2/24, Rn. 15.