Mit seinem unten vermerkten Beschluss vom 16.5.2023 hat sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit einem gegen eine Gemeinde und einen Landkreis gerichteten Verlangen von Grundstückseigentümern befasst, eine straßenbaubedingte Erhöhung des Gehwegs an ihrer Grundstückszufahrt rückgängig zu machen und eine auf ihrem Grundstück liegende Teilfläche des Gehwegs zu entfernen.
Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem Wohnhaus nebst Garagengebäude bebauten Grundstücks, das an einer Ortsdurchfahrt („Hauptstraße“) liegt. Im Zuge der Fahrbahnsanierung mit Anbau eines neuen Gehwegs wurde der bestehende Gehweg im Bereich der Grundstückszufahrt der Kläger um 12 cm erhöht. Zudem wurde das klägerische Grundstück im Bereich der Zufahrt zur Garage auf einer Fläche von ca. 2–3 qm überbaut. Das Verwaltungsgericht wies die Klage der Grundstückseigentümer, die Erhöhung des Gehwegs im Bereich ihrer Grundstückszufahrt zu beseitigen und die auf ihrem Grundstück überbaute Asphaltfläche zu entfernen, ab. Der VGH hat diese Entscheidung bestätigt. Seinem Beschluss kann Folgendes entnommen werden:
1. Grundsätze und Reichweite des Anliegergebrauchs
„Das Recht der Kläger aus ihrer Stellung als Straßenanlieger (Anliegergebrauch) wird durch die Änderung der Höhenlage des Gehwegs nicht in seinem Kern verletzt.
Straßenanliegern steht kein Anspruch darauf zu, dass die Straße nicht geändert oder eingezogen wird. Nur wenn Zufahrten auf Dauer unterbrochen werden oder ihre Benutzung erheblich erschwert wird, hat der Straßenbaulastträger – soweit zumutbar – einen angemessenen Ersatz zu schaffen (vgl. Art. 17 Abs. 1 und 2 Satz 1 Bay-StrWG). Damit wird die Erreichbarkeit eines innerörtlichen Grundstücks von dem einfachgesetzlichen Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs nicht uneingeschränkt, sondern nur in seinem Kern geschützt. Sein Schutz erstreckt sich lediglich auf einen notwendigen Zugang von der Straße zum Grundstück, gewährt aber keinen Anspruch auf optimale Zufahrt und schützt nicht vor Einschränkungen oder Erschwernissen bei den Zufahrtsverhältnissen, solange die Straße als Verkehrsmittler erhalten bleibt. Zudem wird es dem Straßenanlieger zugemutet, zunächst die Zufahrtsverhältnisse auf dem eigenen Grundstück umzuorganisieren, bevor ihm ein Anspruch gegen den Straßenbaulastträger eingeräumt wird (stRspr, vgl. BayVGH, … Beschluss vom 19.8.2009 – 8 ZB 09.1065 – BayVBl 2010, 84 = juris Rn. 9; …).
Diese ständige Rechtsprechung des Senats genügt entgegen der Auffassung der Kläger der Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV. Das Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs ist nicht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern aus dem einfachen Recht herzuleiten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.5.1999 – 4 VR 7.99 – NVwZ 1999, 1341 = juris Rn. 5; BayVGH, Beschluss vom 10.8.2021 – 8 CE 21.1989 – NVwZ-RR 2022, 15 = juris Rn. 49). Die Gewährleistung der Zugänglichkeit eines Grundstücks bedeutet weder eine Bestandsgarantie hinsichtlich der Ausgestaltung und des Umfangs der Grundstücksverbindung mit der Straße noch die Gewährleistung einer Bequemlichkeit oder Leichtigkeit des Zu- und Abgangs (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 27.7.1995 – Vf. 8- VII-93 – BayVBl 1995, 687 = juris Rn. 65; BVerwG, Urteil vom 8.9.1993 – 11 C 38.92 – BVerwGE 94, 136 = juris Rn. 12; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand September 2021, Art. 17 Rn. 45). Da die Straße als öffentliche Einrichtung nicht allein der Erschließung der Anlieger, sondern auch dem allgemeinen Verkehrsbedürfnis in seinen unterschiedlichen Ausgestaltungen dient, muss ein Ausgleich zwischen einer Vielzahl von Interessen erfolgen; die Bedürfnisse der Anlieger sind von Verfassungs wegen nur in ihrem Kern geschützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.9.1990 – 1 BvR 988/90 – NVwZ 1991, 358 = juris Rn. 5).“
2. Keine erhebliche Erschwerung der Grundstückszufahrt
Der VGH stellt zu dem vorliegenden Einzelfall fest:
„Das Verwaltungsgericht hat die für den Anliegergebrauch geltenden rechtlichen Maßstäbe zutreffend auf den vorliegenden Fall angewandt … Es ist unter Würdigung des…eingenommenen Augenscheins zu der Einschätzung gelangt, dass die Erhöhung des Gehwegs um 12 cm die Zufahrt auf das – auffällig tief liegende – Grundstück der Kläger und die Nutzung der dortigen Garagen nicht erheblich erschwert. Der Rangieraufwand beim Befahren der Garagen – insbesondere der ersten Garage nahe der Grundstücksgrenze – sei zumutbar. Im Übrigen könne eine höhengleiche Einfahrt durch Umnutzung der unbefestigten Grünfläche vor dem Wohngebäude als Zufahrt hergestellt werden; das Gefälle am rechten Grundstücksrand könne durch Aufschüttung im Hofbereich abgemildert werden.
Die Kläger ziehen diese Sachverhalts- und Beweiswürdigung (vgl. § 96 Abs. 1 Satz 2, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht ernstlich in Zweifel. Der Zulassungsantrag zeigt keine guten Gründe auf, wonach die tatsächlichen Feststellungen des Ausgangsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweisen …“
a) Anfahrmöglichkeit der Garagen mit Pkw
„Das Befahren aller auf dem Grundstück der Kläger vorhandenen Garagen ist unstreitig möglich … Weshalb der damit verbundene Rangieraufwand unzumutbar sein sollte (vgl. dazu auch VG Neustadt [Weinstraße], Urteil vom 16.6.2011 – 4 K 228/11.NW – juris Rn. 27; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Art. 17 Rn. 42; Herber in Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, Kap. 25 Rn. 124), legt der Zulassungsantrag nicht konkret dar. Dass ein Befahren der Garagen vor dem Straßenausbau und Gehweganbau ohne jedes Rangieren möglich war, genügt dafür nicht. Die uneingeschränkte Anfahrmöglichkeit mit Kraftfahrzeugen bei einem innerörtlichen Wohngrundstück gehört selbst bei vorhandenen Garagen oder Stellplätzen nicht zum geschützten Kernbereich des Anliegergebrauchs (vgl. BayVGH, Urteil vom 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – BayVBl 2007, 45 = juris Rn. 38; …). Die Behauptung der Klägerseite, die Garagen könnten mit steigendem Alter der Kläger faktisch nicht mehr genutzt werden, ist auf künftige Nutzungseinschränkungen gerichtet. Insoweit wird nicht näher dargestellt, inwiefern Rangiermanöver erforderlich wären, die von älteren Fahrzeugführern – ohne fahreignungsrelevante altersbedingte Defizite – nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten vollbracht werden könnten.“
b) Umorganisation der Zufahrtsverhältnisse im Einzelfall zumutbar
„Auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, die Kläger könnten die Zufahrtsverhältnisse auf ihrem Grundstück – insbesondere unter Nutzung einer bisher nicht befestigten Grünfläche – so umorganisieren, dass eine Zufahrt zu den Garagen leichter möglich sei …, zieht der Zulassungsantrag nicht ernstlich in Zweifel. Der Zulassungsantrag legt nicht dar, dass der bauliche Aufwand einer solchen Umorganisation unvertretbar wäre … Die Grünfläche im nordwestlichen Bereich des Grundstücks ist nicht befestigt; der Gehweg ist auch in diesem Bereich abgesenkt.
Auch die Grundstücksfläche vor den Garagen, auf der das Gefälle mit Aufschüttungen abgemildert werden könnte, ist nicht befestigt. Auf alle diese Aspekte hat das Verwaltungsgericht abgestellt … Zudem hat es eine Vorbelastung des Grundstücks aufgrund seiner tieferen Lage im Vergleich zu den nachbarschaftlichen Grundstücken festgestellt … Der Zulassungsantrag zeigt nicht auf, dass die tragenden verwaltungsgerichtlichen Erwägungen augenscheinlich nicht zuträfen oder gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufwiesen.
Eine etwaige Minderung des Werts des klägerischen Grundstücks infolge der vom Verwaltungsgericht als realisierbar aufgezeigten Möglichkeit einer Anpassung der Zufahrtsverhältnisse zu den vorhandenen Garagen führt nicht zur Unzumutbarkeit dieser Option. Art. 14 Abs. 1 GG gebietet nicht, jede Wertminderung auszugleichen, die einem staatlichen Verhalten zugerechnet werden kann; solange das Grundstück bewohnbar bleibt und die Wertminderung nicht eine unzumutbare Höhe erreicht, sind solche vom Eigentümer hinzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.6.2017 – 3 A 1.16 – DVBl 2018, 187 = juris Rn. 142 m.w.N.). Noch viel weniger lässt sich hierauf regelmäßig ein Abwehr- oder Beseitigungsanspruch gegenüber einer hoheitlichen Planung stützen. Anhaltspunkte für eine unzumutbare Wertminderung zeigen die Kläger nicht auf.
Die Behauptung der Kläger, sie müssten infolge der gemeindlichen Gehwegplanung eine neue Garage errichten, erweist sich nach alldem als nicht haltbar.“
[…]Den vollständigen Beitrag entnehmen Sie der Fundstelle Bayern Heft 8/2024, Rn. 91.