Rechtsprechung Bayern

Erlass von Beitragsbescheiden

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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat sich in unten vermerktem Beschluss vom 4.3.2024 mit der Frage auseinandergesetzt, ob kommunale Eigenbetriebe ohne besondere Befugnisübertragung für den Erlass von Beitragsbescheiden sachlich zuständig sind. Dem Urteil lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Der inmitten stehenden Beitragserhebung lag ein Beitragsbescheid zugrunde, den die in der Rechtsform eines Eigenbetriebs im Sinne von Art. 88 der Gemeindeordnung (GO) betriebenen Stadtwerke erlassen hatten. Nach § 2 Abs. 4 der Betriebssatzung sind „die Stadtwerke L. zuständig für den Vollzug und die Umsetzung von Gesetzen, Verordnungen und Satzungen [z.B. Satzung für die öffentliche Entwässerungsanlage der Stadt L. (Entwässerungssatzung – EWS) und der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Stadt L. (BGSEWS)], die im Zusammenhang mit den Aufgaben nach Abs. 1 stehen und zu beachten sind.“

Dem Urteil entnehmen wir:

1. Verwaltungsprozessual ist ein kommunaler Eigenbetrieb weder beteiligungsfähig noch nach dem Rechtsträgerprinzip passivlegitimiert

Zur Problematik, weshalb die betroffene Stadt selbst – und nicht die Stadtwerke – passivlegitimiert nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bzw. Beteiligte des Rechtsstreits im Sinne von § 61 Nr. 1 VwGO ist, wird erläutert:

„Der Rechtsstreit ist zwar bislang gegen die ,Stadtwerke L.‘ gerichtet; diese weisen als kommunaler Eigenbetrieb der Beklagten i.S.d. Art. 86 Nr. 1, 88 Abs. 1 GO aber keine eigene Rechtspersönlichkeit auf und sind daher mangels Rechtsfähigkeit im Verwaltungsrechtsstreit nicht beteiligungsfähig im Sinne des § 61 Nr. 1 VwGO (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand März 2023, § 61 VwGO Rn. 4). Beteiligungsfähig und passivlegitimiert nach dem Rechtsträgerprinzip (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 1 VwGO) ist hier vielmehr die Stadt L. als rechtsfähige kommunale Gebietskörperschaft (vgl. Art. 1 Satz 1 GO), der die ,Stadtwerke L.‘ als Eigenbetrieb zuzurechnen sind. Die falsche Bezeichnung des Beklagten ist nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 VwGO unschädlich.“

2. Kommunale Eigenbetriebe sind keine Behörde der sie tragenden Gebietskörperschaft im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG

Hierzu führt das Gericht aus:

„Die ,Stadtwerke L.‘ sind als Eigenbetrieb der Beklagten nicht deren Behörde. Behörde i.S.d. Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG ist eine mit hinreichender organisatorischer Eigenständigkeit ausgestattete Einrichtung eines Rechtsträgers, der Aufgaben der öffentlichen Verwaltung und entsprechende Zuständigkeiten zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung (nach außen) übertragen sind (stRspr., vgl. nur BVerwG, U.v. 3.11.2011 – 7 C 3.11 – juris Rn. 11 ff.; vgl. auch Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 1 VwVfG Rn. 137). Bei den ,Stadtwerken L.‘ handelt es sich aber gemäß § 1 Abs. 1 der Betriebssatzung vom 1.1.2002 um einen Eigenbetrieb i.S.d. Art. 86 Nr. 1, 88 Abs. 1 GO und damit um ein Unternehmen, das gerade außerhalb der allgemeinen Verwaltung der Beklagten als Sondervermögen ohne eigene Rechtspersönlichkeit geführt wird (Art. 88 Abs. 1 GO, vgl. auch § 1 Abs. 1 der Betriebssatzung der ,Stadtwerke L.‘).

Der kommunale Eigenbetrieb i.S.d. Art. 88 GO zeichnet sich dadurch aus, dass er – trotz fehlender eigenständiger Rechtspersönlichkeit – über eigene, gegenüber der Gemeindeverwaltung weitgehend verselbständigte und eigenverantwortlich handelnde Verwaltungsorgane verfügt (Art. 88 Abs. 2 ff. GO, vgl. dazu auch Glaser/Weber in Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, Stand April 2023, Art. 88 Rn. 6; Bauer/Böhle/Ecker/Kuhne, Bay. Kommunalgesetze), Stand November 2023, Art. 88 GO Rn. 6 ff.).

Die Verwaltungsorgane des Eigenbetriebs handeln ausschließlich mit Wirkung für und gegen den Eigenbetrieb und in dessen Angelegenheiten. Für alle anderen Aufgaben – insbesondere die allgemeinen Angelegenheiten der Gemeinde, die Rechtsträgerin des Eigenbetriebs ist –, haben sie dagegen kein Mandat. Insofern stellt der Eigenbetrieb wegen seiner organisatorischen und wirtschaftlichen ,Teilselbständigkeit‘ (vgl. Bauer/Böhle/Ecker/Kuhne, Bay. Kommunalgesetze, Stand November 2023, Art. 88 GO Rn. 9) keine Behörde der ihn tragenden Gemeinde dar (vgl. BayVGH, U.v. 26.6.2017 – 20 B 16.189 – juris Rn. 17; Schulz in Praxis der Kommunalverwaltung Bayern, Bd. B I, Stand November 2023, Erl. 1.1 zu Art. 88 GO; Glaser/Weber in Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, Stand April 2023, Art. 88 Rn. 7).“

3. Eine besondere Übertragung der Befugnis zum Erlass von Beitragsbescheiden auf den kommunalen Eigenbetrieb ist zwingend erforderlich

Fehlt diese, liegt die sachliche Erlasszuständigkeit bei der Gebietskörperschaft selbst; dazu heißt es im Urteil:

„Den ,Stadtwerken L.‘ ist keine Befugnis zum Erlass von Beitragsbescheiden und damit von Verwaltungsakten übertragen worden. Eine solche Befugnisübertragung war aber erforderlich, da weder die Vorschriften der Gemeindeordnung über den Eigenbetrieb (Art. 86 Nr. 1, 88 GO) noch die Bayerische Eigenbetriebsverordnung (EBV) vom 29.5.1987 (GVBl S. 196) eine derartige Befugnis enthalten (BayVGH, U.v. 26.6.2017 – 20 B 16.189 – juris Rn. 19; U.v. 6.9.2012 – 20 B 11.2171 – juris Rn. 25; U.v. 25.1.2010 – 23 B 09.1553) – juris Rn. 29 ff.).

Anders als bei selbständigen Kommunalunternehmen i.S.d. Art. 86 Nr. 2, 89 ff. GO, bei denen in der Regelung der Befugnis zur Vollstreckung von Verwaltungsakten nach Art. 91 Abs. 4 GO die Befugnis zum Erlass solcher Verwaltungsakte gesetzlich vorausgesetzt ist (vgl. BayVGH, U.v. 16.2.2017 – 20 BV 16.90) – juris Rn. 20), folgt daher bei Eigenbetrieben – allgemeinen öffentlich-rechtlichen Grundsätzen entsprechend – aus einer Aufgabenzuweisung nicht ohne weiteres auch eine Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten.

Eine Befugnisübertragung ergibt sich hier weder aus der der Beitragserhebung nach Art. 2 Abs. 1 KAG zugrundeliegenden Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung (BGS-EWS) vom 28.11.2016 noch aus der dazugehörigen Stammsatzung (Satzung für die öffentliche Entwässerungseinrichtung (Entwässerungssatzung – EWS)) vom 14.12.2012, denn beide Satzungen betreffen ausschließlich die Beklagte selbst. Eine Befugnisübertragung ergibt sich aber auch nicht aus der Betriebssatzung für den Eigenbetrieb ,Stadtwerke L.‘ (Betriebssatzung) vom 1.1.2002. In der Beschreibung des Unternehmensgegenstandes (§ 2 der Betriebssatzung) ist lediglich eine Aufgabenzuweisung und keine Befugnisübertragung zu sehen (vgl. auch BayVGH, U.v. 26.6.2017 – 20 B 16.189 – juris Rn. 19; U.v. 25.1.2010 – 23 B 09.1553 – juris Rn. 32). Soweit die ,Stadtwerke L.‘ nach § 2 Abs. 4 der Betriebssatzung ausdrücklich ,zuständig für den Vollzug und die Umsetzung von Gesetzen, Verordnungen und Satzungen‘ sind, ergibt sich auch hieraus keine Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten.

Mit der dem insoweit eindeutigen Wortlaut nach hiermit übertragenen (sachlichen) Zuständigkeit ist allein die Eröffnung eines Aufgabenbereichs verbunden; das Recht zum Erlass von Verwaltungsakten mit Eingriffscharakter – die Befugnis – bedarf einer ausdrücklichen Übertragung, die hier gerade fehlt. Der denkbar weitgefasste und pauschale Bezug auf den ,Vollzug und die Umsetzung von Gesetzen, Verordnungen und Satzungen‘ umfasst zudem auch Vollzugshandlungen ohne Eingriffscharakter, weshalb sich auch aus der Systematik der Vorschrift keine Befugnisübertragung ableiten lässt.

Insoweit ist die Formulierung in § 2 Abs. 4 der Eigenbetriebssatzung der ,Stadtwerke L.‘ gerade nicht mit der dem Senatsurteil vom 25.1.2010 (23 B 09.1553 – juris Rn. 39) zugrundeliegenden Betriebssatzung vergleichbar, in der die Zuständigkeit des Eigenbetriebs ausdrücklich auf die ,Erhebung von öffentlichen Abgaben nach den kommunalabgabenrechtlichen Vorschriften – einschließlich des Erlasses von Bescheiden‘ erstreckt wurde.

Ob die Beklagte – wie sie vorträgt – mit der Ergänzung des § 2 Abs. 4 der Betriebssatzung durch Änderungssatzung vom 25.10.2010 auf das o.g. Senatsurteil reagieren und eine Befugnis des Eigenbetriebs begründen wollte, kann insofern dahingestellt bleiben, denn eine solche Regelungsabsicht hätte weder im Wortlaut noch in der Systematik der Norm einen hinreichenden Ausdruck gefunden.

Soweit schließlich nach § 7 Abs. 2 Nr. 6 der Eigenbetriebssatzung der ,Stadtwerke L.‘ zu den Zuständigkeiten der Werkleitung des Eigenbetriebs die Führung der ,laufenden Geschäfte‘ der Stadtwerke und dabei insbesondere die ,Erhebung von öffentlich-rechtlichen Abgaben und privatrechtlichen Entgelten‘ zählt, folgt daraus schon deshalb keine Befugnisübertragung auf den Eigenbetrieb, weil § 7 der Betriebssatzung lediglich die funktionelle (Organ-)Zuständigkeit betrifft; eine solche funktionelle Zuweisung an ein bestimmtes Behördenorgan setzt aber das Bestehen einer materiellen Kompetenz des jeweiligen Hoheitsträgers zwingend voraus und kann diese Kompetenz nicht begründen.

Sachlich zuständig zum Erlass des streitgegenständlichen Bescheides war damit die Beklagte selbst (Art. 27 Abs. 1 GO, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG i.V.m. § 1 BGS-EWS), weshalb mit den ,Stadtwerken L.‘ eine unzuständige Behörde gehandelt hat.“

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Die Gemeindekasse Bayern 20/2024, Rn. 171.