Rechtsprechung Bayern

„Co-Living“ als Wohngemeinschaft

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Art. 1, 3 ZwEWG; § 13 ZeS (Wohnnutzung; „Co-Living“ als Wohngemeinschaft; keine Fremdenbeherbergung; Serviceleistungen)

Amtliche Leitsätze:

1. Wohnnutzung, nicht hingegen eine (gewerbliche) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, liegt vor, wenn in einer Wohnung (weitere) Personen leben, die jeweils über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet, während der übrige Wohnraum nebst Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden. Dass eine Nutzung nur für einen begrenzten Zeitraum und nicht auf lange Dauer angelegt ist, ändert an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts.

2. Die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft beispielsweise an einen Arbeitnehmer, der sich aus Anlass eines Arbeitsauftrages in einer Kommune aufhält und währenddessen nicht nur eine Heimstatt im Alltag, sondern in der Regel sogar (vorübergehend) seinen Lebensmittelpunkt in dieser Gemeinschaft begründet, ist regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen zu qualifizieren mit der Folge, dass die Annahme einer Zweckentfremdung nicht in Betracht kommt.

3. Das Zweckentfremdungsrecht erschöpft sich im „Bestandsschutz von Wohnraum“; es vermittelt deshalb kein Recht, bestimmte Wohnformen in ihrer „Wertigkeit“ zu definieren und gegenüber anderen, insbesondere solchen von längerer Dauer zu diskriminieren oder gar als „sozialschädlich“ anzusehen und deshalb als „bekämpfungsbedürftig“ zu erachten.

BayVGH, Urteil vom 15.07.2024, 12 B 23.2195

(rechtskräftig)

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020, mit dem sie unter Androhung eines Zwangsgeldes von jeweils 10 000,– Euro zur Beendigung der Nutzung der verfahrensgegenständlichen Wohnung zur Fremdenbeherbergung und zur Wiederzuführung zu Wohnzwecken aufgefordert wurde.

Die Klägerin vermietet in München, Berlin und anderen europäischen Städten Wohnungen zimmerweise nach ihrem „Co- Living“-Konzept (wörtlich übersetzt: „gemeinschaftliches Wohnen“). Die möblierten Wohnungen verfügen über großzügige Gemeinschaftsräume. Die Mieter bewohnen jeweils ein möbliertes Zimmer und nutzen Küche und Bäder gemeinsam. Die Klägerin bietet für diese Wohnungen unterschiedliche Serviceleistungen an, insbesondere regelmäßige Reinigung und Unterhalt. Die Mietverträge werden auf unbestimmte Zeit geschlossen.

Die streitbefangene Wohnung in der H-Straße in M besteht aus sechs Zimmern, Küche, zwei Bädern und Abstellraum und ist insgesamt 235 m² groß. Sie ist baurechtlich als Wohnraum genehmigt. Die Klägerin ist selbst Mieterin und zur Untervermietung berechtigt. Die vermieteten Räume sind möbliert. Als Serviceleistung war zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses ein Reinigungsdienst installiert, und es wurde eine Grundausstattung für Küche und Toiletten gestellt. Die gesamten Mieteinnahmen der Klägerin ohne eine Nebenkostenpauschale betrugen zum Januar 2020 5550,– Euro monatlich. Ihrerseits hatte die Klägerin an den Eigentümer 3780,– Euro, davon 285,– Euro Nebenkostenpauschale ohne Heizkosten, zu entrichten.

Am 23. Juni 2020 führte die Beklagte eine Ortsbesichtigung in der verfahrensgegenständlichen Wohnung durch. Hierbei waren alle fünf Mieter anwesend; ein Zimmer stand zu diesem Zeitpunkt leer. Die Bewohner teilten mit, dass zweimal in der Woche ein Putzservice käme. Das Waschen der Kleidung erfolge durch die Bewohner selbst, dafür stünden zwei Waschmaschinen bereit, die nicht zusätzlich bezahlt werden müssten. Küche und Bäder stünden allen Bewohnern zur Verfügung. Um das Essen habe sich jeder selbst zu kümmern, ein Auffüllen des Kühlschranks sei im Service nicht inbegriffen. Ein Treppenaufgang ermögliche allen Bewohnern den Zugang zum Gemeinschaftsraum. Alle Bewohner waren im Besitz von befristeten Visa- und Aufenthaltserlaubnissen zu Arbeitszwecken.

Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Untersagung der Nutzung der Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung legte der Bevollmächtigte der Klägerin eine Aufstellung sämtlicher Mietverträge vor. Danach seien Mietverhältnisse unter sechs Monaten nur Ausnahmen gewesen, die insbesondere der Corona-Pandemie geschuldet gewesen seien. Einige Bewohner seien fast zwei Jahre geblieben. Es würden Wohnraumietverträge auf unbestimmte Zeit geschlossen.

Der Eigentümer der Wohnung teilte im Rahmen der Anhörung mit, dass er die Wohnung nach Erhalt der Kündigung der bisherigen Mieter unmittelbar auf verschiedenen Internetplattformen angeboten sowie eine Maklerfirma mit der Mietersuche beauftragt habe. Trotzdem habe er über einen Zeitraum von über sieben Monaten keinen Mieter gefunden. Im Februar 2019 habe er sich daher entschieden, mit der Klägerin einen Mietvertrag abzuschließen.

Mit Bescheid vom 27. August 2020 forderte die Beklagte die Klägerin auf, die Nutzung der Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung unverzüglich zu beenden (Ziffer 1) und den Wohnraum unverzüglich nach Beendigung der gewerblichen Nutzung zu Zwecken der Fremdenbeherbergung wieder Wohnzwecken zuzuführen (Ziffer 2). In Ziffer 3 und Ziffer 4 des Bescheids wurde für einen Verstoß gegen Ziffern 1 und 2 jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 10 000,– Euro angedroht.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 2. September 2020 erhob die Klägerin Klage mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 27. August 2020 aufzuheben.

Die Mindestmietzeit betrage nunmehr sechs Monate und die Serviceleistungen sowie das Zurverfügungstellen einer Grundausstattung seien beendet worden. Die Zimmer seien abschließbar. Die Pro-Kopf-Miete sei im Hinblick auf die großzügigen Gemeinschaftseinrichtungen angemessen. Die Anmietung erfolge zur dauerhaften Verlegung des Hauptwohnsitzes nach M. Im Übrigen sei nicht nachgewiesen, dass die Bewohner andere Hauptwohnsitze im Sinne eines Lebensmittelpunkts gehabt hätten.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass bis zum Bescheiderlass in großem Umfang fremdenverkehrstypische Leistungen zur Versorgung erbracht worden seien. Das geänderte Nutzungskonzept sei neu und nicht überprüft worden. Die bisherigen Mietverhältnisse seien in einem Drittel der Fälle nach drei bis fünf Monaten beendet worden. Das „Co-Living“-Konzept sei als Übergangsform nach einem Umzug nach M und als vorübergehende Unterkunft bei einer begrenzten Aufenthaltsdauer als Nutzungskonzept eine Fremdenbeherbergung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZeS.

Mit Urteil vom 14. Juli 2021 wies das Verwaltungsgericht München die Klage ab. Mit Beschluss vom 20. November 2023 ließ der Senat die Berufung der Klägerin zu.

Beitrag entnommen aus Bayerische Verwaltungsblätter 22/2024, S. 778.