Rechtsprechung Bayern

Willkürverbot

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Art. 91, 118 BV; §§ 156, 161 VwGO (Willkürverbot; rechtliches Gehör; Einstellungsbeschluss; übereinstimmend für erledigt erklärte Klage; billiges Ermessen; keine Veranlassung zur Erhebung der Klage; formloses außergerichtliches Verlangen)

Amtliche Leitsätze:
  1. Ein Beschwerdeführer kann sich nicht erfolgreich auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) wegen fehlender Übersendung eines Schreibens der Gegenpartei durch das Gericht berufen, wenn er im verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren nicht um dessen nachträgliche Übersendung oder um Einsichtnahme in die Gerichtsakten gebeten, sondern lediglich gerügt hat, dass ihm der Inhalt des Schreibens vorenthalten worden sei.
  2. Nach der weitgehenden Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Bayern besteht für Rechtsuchende bei belastenden Verwaltungsakten in der Regel keine Obliegenheit, sich vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Aufhebungsbegehren zunächst an die zuständige Verwaltungsbehörde zu wenden. Es ist daher offensichtlich sachwidrig und kann Willkür begründen, wenn ein Verwaltungsgericht im Rahmen der Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO) einem Kläger die Verfahrenskosten allein mit der Begründung auferlegt, die sich nach Klageerhebung selbst korrigierende Behörde habe im Sinn von § 156 VwGO keine Veranlassung zur Klage gegeben.

BayVerfGH, Entscheidung vom 12.09.2024, Vf. 44-VI-22

Zum Sachverhalt:

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen einen Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts M vom 17. Januar 2022 – M 23 K 21.4827, mit dem die Kosten eines übereinstimmend für erle digt erklärten Klageverfahrens dem Beschwerdeführer auferlegt wurden, sowie gegen einen Beschluss desselben Gerichts vom 16. Mai 2022 – M 23 K9 22.2454, mit dem eine dagegen erhobene Anhörungsrüge zurückgewiesen wurde.

Gegenstand des Verwaltungsstreitverfahrens war eine vom Beschwerdeführer am 11. September 2021 erhobene und mit Schreiben vom 21. Oktober 2021 näher begründete Klage gegen eine von der Landeshauptstadt M durch verkehrsrechtliche Anordnung vom 24. September 2020 angeordnete Radwegbenutzungspflicht in der L-Straße im Bereich um den O-Platz.

Mit Schreiben vom 7. Dezember 2021 erkannte die Landeshauptstadt das Klagebegehren des Beschwerdeführers „sofort“ an und teilte mit, dass sie die streitgegenständliche verkehrsrechtliche Anordnung durch Anordnung vom 30. November 2021 aufgehoben habe; die vor Ort aufgestellten Verkehrszeichen zur Radwegbenutzungspflicht seien am 6. Dezember 2021 entfernt worden. Die Stadt stimme einer etwaigen Erledigungserklärung des Beschwerdeführers unter Verwahrung gegen die Kostenlast zu.

Das Verwaltungsgericht bat daraufhin den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 10. Dezember 2021 um umgehende Abgabe einer verfahrensbeendenden Erklärung; zugleich gab es ihm Gelegenheit, sich zur Kostenverteilung zu äußern. Ob dabei, wie mit Verfügung des Berichterstatters vom 9. Dezember 2021 angeordnet, auch der Schriftsatz der Landeshauptstadt M vom 7. Dezember 2021 übermittelt wurde, lässt sich der Gerichtsakte nicht entnehmen.

Mit Schreiben vom 29. Dezember 2021 erklärte der Beschwerdeführer, die Beschilderung sei entfernt worden; die angegriffene Benutzungspflicht bestehe nicht mehr. Die Landeshauptstadt werde aufgefordert, die Klageforderung anzuerkennen oder eine Erledigungserklärung abzugeben. Es werde darauf hingewiesen, dass sich die Kosten für den Fall einer Kostenübernahmeerklärung oder des Anerkenntnisses der Forderung auf den einfachen Satz ermäßigten. Er selbst werde eine Erledigungserklärung erst nach Äußerung der Landeshauptstadt abgeben.

Mit Schreiben vom 10. Januar 2022 wies das Gericht den Beschwerdeführer darauf hin, dass die Landeshauptstadt einer Erledigung bereits zugestimmt habe. Falls er nicht umgehend Erledigung erkläre, müsse die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses abgewiesen werden.

Der Beschwerdeführer erklärte daraufhin mit Schreiben vom 13. Januar 2022 die Erledigung des Rechtsstreits und beantragte, die Kosten vollständig der Landeshauptstadt aufzuerlegen. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 17. Januar 2022 – M 23 K 21.4827 stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren ein (I.) und erlegte dem Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens auf (II.). In der Begründung wurde hierzu ausgeführt, dies entspreche billigem Ermessen, da sich die Landeshauptstadt auf die Anwendung des § 156 VwGO berufen könne. Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes sei demzufolge nicht zwingend erforderlich gewesen. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder auch vorgetragen, dass die Stadt dem Klagebegehren nicht außergerichtlich nachgekommen wäre; dies dürfte dem Beschwerdeführer bekannt gewesen sein.

Gegen die Kostenentscheidung erhob der Beschwerdeführer am 2. Februar 2022 eine Anhörungsrüge. Mit dem ebenfalls angegriffenen Beschluss vom 16. Mai 2022 – Az. M 23 K9 22.2454 wies das Verwaltungsgericht die Anhörungsrüge zurück.

Mit der am 21. Juli 2022 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 91 Abs. 1 BV (rechtliches Gehör) und Art. 118 Abs. 1 BV (Willkürverbot) durch die angegriffenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts; weiter macht er eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren sowie seines Justizgewährleistungsanspruchs geltend.

Beitrag entnommen aus Bayerische Verwaltungsblätter 01/2025, S. 13.