Gesetzgebung

Behindertenbeauftragte: Gemeinsam für ein besseres Bundesteilhabegesetz (BTHG) – Was geändert werden muss

Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen im Bund und den anderen Ländern fordert Irmgard Badura, die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Nachbesserungen beim Bundesteilhabegesetz.

Zum Herbst 2016 tritt das Gesetzgebungsverfahren zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) im Bundestag und im Bundesrat in die entscheidende Phase. Das BTHG bringt mit dem Budget für Arbeit, der unabhängigen Beratung, der Trennung von existenzsichernden und Fachleistungen sowie der Einrichtung von Frauenbeauftragten in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen wichtige Neuerungen für Menschen mit Behinderungen auf den Weg.

Die Beauftragten von Bund und Ländern für die Belange von Menschen mit Behinderungen vermissen aber die konsequente Umsetzung der von Deutschland 2009 ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Gesetzesentwurf des BTHG. Wir fordern deshalb die Abgeordneten des Bundestages und die Bundesländer auf, sich für wichtige Änderungen zugunsten der Rechte der Menschen mit Behinderungen im Gesetzgebungsverfahren einzusetzen.

Keine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises (§ 99 SGB IX-E)

Die Umstellung auf die internationale Klassifizierung von Behinderung (ICF) ist richtig und entspricht unseren Forderungen und der UN-BRK.

Jedoch ist die Festlegung im Gesetz auf einen notwendigen Unterstützungsbedarf nach ICF in fünf beziehungsweise drei von neun Lebensbereichen willkürlich. Ein Ermessensspielraum reicht nicht aus. Bevor eine Festlegung stattfindet, muss eine Evaluation erfolgen. Die Festlegung kann in einer Verordnung geregelt werden und muss nicht im Gesetz festgeschrieben werden. Keinem Menschen mit Behinderung dürfen Teilhabeleistungen durch die willkürliche Vorfestlegung im Gesetz vorenthalten werden.

Teilhabe vor Pflege (§ 103 SGB IX-E)

Teilhabe ist unteilbar. Eine Begrenzung von Teilhabeleistungen aufgrund des Umfangs des Unterstützungsbedarfs im häuslichen Bereich lehnen wir ab. Leistungen für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, an Bildung, Kultur, Freizeit und im politischen Engagement müssen auch für Menschen mit Behinderungen im Alter gewährt werden. Eine Altersbeschränkung leitet sich nicht aus der UN-BRK ab.

Keinesfalls dürfen die pauschalisierten Leistungen nach § 43a SGB XI auf ambulant betreute Wohnformen ausgeweitet werden. Dies würde den Auftrag aus der UN-BRK verhindern, der da lautet: „Weg von Sondereinrichtungen für Menschen mit Behinderungen – hin zu inklusiv ausgerichteten Wohnmöglichkeiten in der Gemeinde“. Die Aufgabe und das Ziel der Inklusion sind mit dieser Regelung gefährdet.

Inklusion hat Vorrang (§ 104 SGB IX-E)

Niemand darf aufgrund seiner Behinderungen gezwungen werden, in besonderen Wohnformen für Menschen mit Behinderungen zu leben. Das ist nach Art. 19 UN-BRK von Deutschland anerkanntes Menschenrecht. Dass es für Menschen mit Behinderungen weiter zumutbar sein soll, auf ein Wohnheim verwiesen zu werden und dort zu verbleiben, ist ein Verstoß gegen die UN-BRK. Im Gesetz muss der Vorrang inklusiver Leistungen verankert werden – so wie bisher der Grundsatz „Ambulant vor Stationär“.

Selbstbestimmung stärken – persönliche Assistenz nicht einschränken (§ 116 SGB IX-E)

Gemeinschaftliche Leistungserbringung kann für einzelne Bereiche, beispielsweise in Teilbereichen von Schule und Kommunikation, sinnvoll sein. Die gemeinschaftliche Leistungserbringung darf aber nicht dazu führen, dass Menschen mit Behinderungen in ihrer Lebensgestaltung und Selbstbestimmung eingeschränkt werden, weil als zumutbar entschieden wird, dass Assistenz und Unterstützung zusammen mit anderen Menschen mit Behinderungen genutzt werden müssen. Die Selbstbestimmung, wann, wo und durch wen Assistenz und Unterstützung gewährleistet wird, muss im Gesetz abgesichert sein. Deshalb ist die Zustimmung der leistungsberechtigten Menschen mit Behinderungen Voraussetzung für gemeinschaftliche Leistungserbringung.

Weitere Schritte bei Einkommen und Vermögen (§ 136 SGB IX-E)

Die geplanten Verbesserungen im Rahmen des Eigenbeitrags sind für uns nur erste Schritte, die Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe herauszulösen und zu einem modernen Teilhaberecht umzugestalten. Noch sind die Eigenbeiträge zu hoch und für einige Menschen mit Behinderungen wird sich die Situation sogar noch verschlechtern. In den belegbaren Fällen muss das Gesetz jetzt nachgebessert werden. Menschen mit Behinderungen und hohem Assistenzbedarf müssen weiterhin ermutigt werden, ihr Potenzial im gesellschaftlichen Leben und im Beruf einzubringen.

Weitere Schritte zur Freistellung von Einkommen und Vermögen sind erforderlich und mit der Evaluation des BTHG verbindlich zu regeln.

Hilfen aus einer Hand verbindlich umsetzen (Kapitel 4, §§ 14 ff. SGB IX-E)

Auch bei den Verfahrensregeln im ersten Teil des SGB IX ist eine konsequente Umsetzung des Grundsatzes „Hilfen aus einer Hand“ zu gewährleisten. 15 Jahre nach Inkrafttreten des SGB IX ist für uns Beauftragte immer noch eine der Hauptaufgaben, Menschen mit Behinderungen zu unterstützen bei der Klärung, wer für welche Leistungen in unserem zergliederten System der Teilhabeleistungen zuständig ist. Für die leistungsberechtigten Menschen mit Behinderungen sind die unterschiedlichen Zuständigkeiten der Reha-Träger, wie Krankenversicherung, Arbeitsagentur, Rentenversicherung sowie Länder und Kommunen, in der Regel ein undurchschaubarer Dschungel. Deshalb müssen die Verfahrensregeln und die gemeinsame Teilhabeplanung für alle Reha-Träger verbindlich und klar gestaltet und von ihnen konsequent umgesetzt werden. Die Verwässerung der bisherigen Errungenschaft einer eindeutigen Zuweisung der Zuständigkeit durch die vorgesehene Ermöglichung einer zumindest teilweisen Weiterleitungsbefugnis lehnen wir ab. Die Einführung der Genehmigungsfiktion begrüßen wir ausdrücklich. Allerdings bleibt im Falle einer ausstehenden Antragsbearbeitung durch neue Begrifflichkeiten („leistender Rehabilitationsträger“) unklar, gegen wen sich ein Erstattungsanspruch richtet. Ausnahmeregeln für einzelne Reha-Träger wie für die Träger der Eingliederungshilfe lehnen wir ab. Das Persönliche Budget muss bei jeder Leistungsgewährung vorrangig angeboten werden.

Chancengleichheit bei Bildung und Ausbildung (§ 112 SGB IX-E)

Karrieren auf dem zweiten Bildungsweg oder eine berufliche Neuorientierung müssen auch für Menschen mit Behinderung möglich sein. § 112 Abs. 2 SGB IX schränkt den Anspruch auf Deckung behinderungsbedingter Mehrbedarfe diskriminierend durch zeitliche und inhaltliche Vorgaben ein. Besonderheiten im Bildungsverlauf von Menschen mit Behinderungen (z.B. krankheitsbedingte Verlängerungen der Schul- oder Studienzeit, beeinträchtigungsbedingte berufliche Umorientierungen) bleiben unberücksichtigt. Echte Chancengleichheit besteht nur, wenn sich ein Mensch mit Behinderung immer dann für eine Ausbildung entscheiden kann, wenn sich in der gleichen Situation auch ein Mensch ohne Behinderung für diese (weitere) Ausbildung entscheiden würde. Deshalb sollte auf zeitliche und inhaltliche Vorgaben, die den Anspruch diskriminierend einschränken, verzichtet werden.

Ein gutes Bundesteilhabegesetz braucht Änderungen

Für eine inklusive Gesellschaft brauchen wir diese Änderungen im BTHG. Die UN-BRK ist der Maßstab, an dem das BTHG ausgerichtet sein muss. Das Menschenrecht auf Selbstbestimmung, Gleichstellung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen muss mit dem BTHG gesetzlich verankert werden.

Die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Pressemitteilung v. 11.10.2016

Redaktionelle Hinweise

  • Am 23.09.2016 fand der erste Durchgang im Bundesrat statt. Zur Stellungnahme des Bundesrates vgl. hier.
  • Zum Vorgang im DIP mit den amtlichen Dokumenten, insbes. dem Gesetzentwurf, vgl. hier.
  • Zu Stellungnahmen insbesondere der kommunalen Spitzenverbände vgl. hier.