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Kampfmittelbeseitigung – Räumung und Sperrung von Grundstücken auf dem rechtlichen Prüfstand

von Victor Struzina, Universität Augsburg

I. Einleitung

Auch mehr als 70 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs kommt es immer wieder zum Fund von Kampfmitteln[1]. Für die betroffenen Grundstückseigentümer kann sich die Frage stellen, inwiefern sie als Verantwortliche zur Tragung der für die Bergung und Beseitigung der Kampfmittel entstandenen Kosten herangezogen werden können.[3] Abseits dieser Frage sind von der Kampfmittelbeseitigung meist nicht nur die Grundstückseigentümer betroffen, sondern von der damit einhergehenden zeitweisen Räumung und Sperrung eines bestimmten Gebiets um die Fundstelle herum potenziell alle Bürger. Vor allem für Anwohner und Berufstätige kann sich die Räumung und die Sperrung der entsprechenden Grundstücke als gravierender Einschnitt in den Alltag darstellen. Die zuständigen Behörden stehen insoweit vor der Herausforderung, unter Zeitnot die im Einzelfall angemessenen Maßnahmen zu ergreifen. Der vorliegende Beitrag untersucht, welche hoheitlichen Maßnahmen für die Räumung und die Sperrung von Grundstücken aus Anlass der Beseitigung von Kampfmitteln in Betracht kommen. Nach einer Vorbemerkung zur Terminologie (II.) werden die rechtlichen Voraussetzungen erörtert, unter denen eine entsprechende Räumung bzw. eine entsprechende Sperrung erlassen[4] (III.) und vollstreckt (IV.) werden kann.

II. Zur Terminologie

Die Begriffe „Räumung“ und „Sperrung“ werden vorliegend wie folgt verwendet:[5] Unter „Räumung“ fällt eine behördliche Anordnung für den Einzelfall, mittels derer mindestens eine natürliche Person aufgefordert wird, einen bestimmten Ort zu verlassen. Mit „Sperrung“ ist eine behördliche Anordnung für den Einzelfall gemeint, durch die mindestens einer natürlichen Person untersagt wird, einen bestimmten Ort aufzusuchen.

III. Voraussetzungen einer Räumung bzw. einer Sperrung

Mit der Räumung bzw. mit der Sperrung eines Grundstücks regelt die jeweilige Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts einen Einzelfall mit Rechtswirkung nach außen. Es handelt es sich daher bei der Räumung und der Sperrung jeweils um Verwaltungsakte, Art. 35 Satz 1 BayVwVfG. Sofern sich die Räumung bzw. die Sperrung nicht nur an eine Person, sondern – was dem Regelfall entsprechen dürfte – an einen bestimmbaren[6] Personenkreis richtet, liegt eine Allgemeinverfügung (Art. 35 Satz 2 BayVwVfG) vor.

1. Potenzielle Rechtsgrundlagen

Während es bei der Räumung um das Verlassen eines Ortes geht, steht bei der Sperrung die Verhinderung des Aufsuchens eines Ortes im Vordergrund. Insoweit sind als Rechtsgrundlagen für die Räumung eine Anordnung nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG bzw. eine Platzverweisung nach Art. 16 Satz 1 Alt. 1 PAG[8] denkbar. Als Befugnis für die Sperrung ist eine Anordnung nach Art. 26 Abs. 2 LStVG (und für öffentliche Wege, Straßen und Plätze wegen Art. 26 Abs. 1 Satz 2 LStVG eine Maßnahme nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO[9]) bzw. eine Platzverweisung nach Art. 16 Satz 1 Alt. 2 PAG[10] in Betracht zu ziehen.

2. Formelle Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit

a) Zuständige Behörden

Wenn ein Kampfmittel gefunden wird, besteht allgemein die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts insbesondere hinsichtlich der Rechtsgüter Leben und Gesundheit. Eine solche abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit bleibt auch während der Beseitigung des Kampfmittels (etwa in Form der Entschärfung oder bei einer „kontrollierten“ Sprengung) bestehen.[11] Damit ist der Aufgabenbereich der Sicherheitsbehörden gem. Art. 6 LStVG eröffnet.[12]

Die in ihrem Gebiet jeweils betroffene Gemeinde[13] (Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG, Art. 22 Abs. 1 GO) ist für die Abwehr der von dem Kampfmittel ausgehenden Gefahr sachlich und örtlich zuständig.[14] Die Organkompetenz richtet sich auf Grund der Dringlichkeit der Anordnung nach Art. 29, Art. 37 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GO; zuständig ist dann der erste Bürgermeister[15]. Soweit die Abwehr der Gefahr durch die Sicherheitsbehörde(n) nicht (rechtzeitig) möglich erscheint, ist die Polizei sachlich und örtlich für das gesamte Staatsgebiet zuständig, Art. 2 Abs. 1 PAG, Art. 3 PAG, Art. 3 Abs. 1 POG.

b) Verfahren, Form und Bekanntgabe

Von einer Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG kann bei einer Räumung bzw. bei einer Sperrung auf Grund der Notwendigkeit einer sofortigen Entscheidung regelmäßig und beim Erlass einer Allgemeinverfügung stets abgesehen werden, Art. 28 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4 BayVwVfG. Im Fall des Erlasses einer Allgemeinverfügung kann der verfügende Teil des Verwaltungsaktes öffentlich bekannt gegeben werden, Art. 41 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 BayVwVfG. Sofern eine Begründung nicht bereits nach Art. 39 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG unterbleibt, ist in der ortsüblichen Bekanntmachung der Allgemeinverfügung anzugeben, wo die Begründung eingesehen werden kann, Art. 41 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG. Mit der (öffentlichen) Bekanntgabe ist die (nicht nichtige) Allgemeinverfügung wirksam und entfaltet ihre Rechtsfolgen, Art. 43 Abs. 1, 3 BayVwVfG.[16]

3. Materielle Rechtmäßigkeit

a) Bestimmtheit

Als einfachgesetzliche Ausprägung des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots verlangt Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG von der handelnden Behörde ein inhaltlich hinreichend bestimmtes Handeln. In Bezug auf die Räumung und die Sperrung von Grundstücken bedeutet dies vor allem, dass der Adressat der jeweiligen Maßnahme anhand dieser genau erkennen können muss, welches Grundstück er zu verlassen hat bzw. welches Grundstück er nicht aufsuchen darf.

b) Tatbestandsvoraussetzungen der potenziellen Rechtsgrundlagen

Der Tatbestand von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG verlangt eine konkrete Gefahr etwa für Leben oder Gesundheit.[18] § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO setzt eine Erforderlichkeit der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit voraus. Nach Art. 26 Abs. 2 (i.V.m. Abs. 1) LStVG bedarf es einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit. Die für eine erhebliche Gefahr erforderliche Schwere kann sich aus dem Gewicht des bedrohten Rechtsguts oder auch aus der Intensität der Gefährdung ergeben.[19] Art. 16 Satz 1 PAG verlangt, dass die Maßnahme nur vorrübergehender Art ist und lässt im Übrigen jede konkrete Gefahr genügen.

Ein Kampfmittel stellt auch im Einzelfall einen Risikofaktor dar, bei dem die ernstzunehmende Möglichkeit eines Schadenseintritts für die Rechtsgüter Leben und Gesundheit besteht. Insoweit liegen die Voraussetzungen von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG, § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO jeweils vor. Im Hinblick auf die Vielzahl an potenziell von einem Kampfmittel betroffenen Rechtsgutsträgern kann zudem eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit bejaht werden. Damit ist der Tatbestand von Art. 26 Abs. 2 LStVG in den für gefundene Kampfmittel typischen Sachverhalten stets erfüllt. [20] Da nach der Beseitigung des Kampfmittels von diesem keine Gefahr mehr ausgeht, ist die Räumung bzw. die Sperrung durch die Polizei auch nur vorrübergehender Art.[21] Insoweit sind auch die Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 16 Satz 1 PAG gegeben.

c) Maßnahmerichtung

Im Fall einer Platzverweisung lässt sich der zulässige Adressatenkreis einer Räumung bzw. einer Sperrung bereits dem Regelungszweck des Art. 16 Satz 1 PAG entnehmen: Es kommt auf die Anwesenheit einer Person in räumlicher Nähe des Kampfmittels an, von dem die konkrete Gefahr ausgeht.[22] Als Adressaten einer Platzverweisung kommen daher sämtliche Personen in Betracht, die sich an einem Ort aufhalten, an dem die vom Kampfmittel ausgehende Gefahr noch eintreten kann (also etwa innerhalb eines bestimmten Umkreises um den Fundort des Kampfmittels).

Bei den in Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 26 Abs. 2 LStVG, § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO enthaltenen Rechtsgrundlagen bedarf es zur Bestimmung der zulässigen Maßnahmerichtung jeweils eines Rückgriffs auf die Vorschrift des Art. 9 LStVG. Die Adressaten einer sicherheitsbehördlichen Maßnahme, mittels derer Grundstücke geräumt bzw. gesperrt werden, haben die von dem Kampfmittel ausgehende Gefahr regelmäßig nicht durch ihr Verhalten verursacht. Eine Verantwortlichkeit dieser Personen nach Art. 9 Abs. 1 LStVG scheidet daher aus. Soweit sich die Räumung bzw. die Sperrung eines Grundstücks, auf dem das Kampfmittel gefunden wurde, gegen Personen richtet, die das Grundstück tatsächlich nutzen (also etwa Anwohner), kommt eine Heranziehung dieser als Zustandsverantwortliche nach Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG in Betracht.[23] Für Personen, die das Grundstück, auf dem das Kampfmittel gefunden wurde, nicht nutzen, gilt bezüglich der Maßnahmerichtung Art. 9 Abs. 3 LStVG. Die in Art. 9 Abs. 3 LStVG normierten Voraussetzungen für die Heranziehung nicht verantwortlicher Personen können bei einer von einem gefundenen Kampfmittel ausgehenden Gefahr regelmäßig bejaht werden.

d) Wahrung der Verhältnismäßigkeit

Die sicherheitsbehördliche bzw. die polizeiliche Maßnahme muss den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren, Art. 8 LStVG, Art. 4 PAG. In vorliegendem Zusammenhang setzt dies voraus, dass die Räumung bzw. die Sperrung zum Zeitpunkt des Erlasses der jeweiligen Maßnahme geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig im engeren Sinn ist.[24] Im Hinblick auf das von der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 101 BV) umfasste Recht des Einzelnen auf Selbstgefährdung[25] stellt sich allerdings zunächst die Frage, inwiefern der mit einer Räumung bzw. der mit einer Sperrung verfolgte Zweck (etwa nach Art. 6 LStVG, Art. 2 Abs. 1 PAG die Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit) überhaupt legitim ist.[26]

aa) Legitimer Zweck

In der Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit kann bei der Räumung bzw. bei der Sperrung von Grundstücken gegenüber dem Einzelnen nur insofern ein legitimer Zweck gesehen werden, als es sich dabei um das Leben und die Gesundheit Dritter oder beim Einzelnen um eine solche Person handelt, die (noch) keinen (hinreichend) autonomen Willen bilden kann (also etwa Minderjährige oder psychisch kranke Personen). Denn weder eine staatliche Schutzpflicht noch die Grundrechte als sog. „objektive Werteordnung“ vermögen es, im Schutz des autonom handelnden Menschen vor sich selbst einen legitimen Zweck für hoheitliche Eingriffe zu begründen.[27]

Neben dem Schutz des Lebens und der Gesundheit Dritter sowie dem Schutz von Personen, die (noch) nicht fähig sind, einen autonomen Willen zu bilden, kann allerdings auch der im Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 Satz 1 GG) bzw. der in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV wurzelnde Schutz des Gemeinwohls als legitimer Zweck für eine Räumung bzw. für eine Sperrung herangezogen werden: Bei der Realisierung der von einem Kampfmittel ausgehenden Gefahr (etwa in Form der Verletzung oder der Tötung einer sich selbstgefährdenden Person) ist es denkbar, dass die Solidargemeinschaft durch den Einsatz von Rettungsdiensten und durch die Bereitstellung (sonstiger) ärztlicher Dienstleistungen (finanziell) stärker belastet würde, als dies der Fall wäre, wenn die sich selbstgefährdende Person nicht an einem Ort aufgehalten hätte, an dem von einem Kampfmittel Gefahren ausgehen.[28]

bb) Geeignetheit

Eine Räumung bzw. eine Sperrung dient der Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit Dritter sowie auch dem Schutz des Gemeinwohls und ist damit zur Herbeiführung des gewünschten Erfolgs geeignet: Wenn sich (außer etwa den Mitarbeitern des Kampfmittelbeseitigungsdienstes sowie den Dienstkräften der Sicherheitsbehörden, der Polizei und der Feuerwehr) keine Personen im Gebiet der von einem Kampfmittel ausgehenden Gefahr aufhalten, kann insoweit ausgeschlossen werden, dass die Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes sowie die entsprechenden Dienstkräfte (als Dritte) bei ihrer Tätigkeit durch andere (sich selbstgefährdende) Personen behindert und damit selbst an Leben und Gesundheit geschädigt werden. Der Schutz des Gemeinwohls wird insofern gefördert, als durch eine geringere Anzahl an anwesenden Personen in einem Gebiet, innerhalb dessen von einem Kampfmittel eine Gefahr ausgeht, verhindert wird, dass das Leben und die Gesundheit (einer Vielzahl) von Personen verletzt werden und die Solidargemeinschaft hierdurch (in größerem Umfang) belastet wird.

cc) Erforderlichkeit

Allerdings stellt sich die Frage, ob neben der Räumung bzw. der Sperrung von Grundstücken nicht ein gleich wirksames Mittel existiert, das den Einzelnen weniger sowie Dritte und die Allgemeinheit nicht stärker belastet. Angesichts der Erheblichkeit der von einem Kampfmittel ausgehenden Gefahr dürften mildere aber im Vergleich zur Räumung bzw. zur Sperrung gleich wirksame Mittel oftmals ausscheiden.

Sollten es allerdings die Umstände des Einzelfalls trotz der Dringlichkeit der Gefahrenabwehr zulassen, wäre Folgendes denkbar: Die Räumung bzw. die Sperrung von Grundstücken könnte ab einem bestimmten Umkreis um das gefundene Kampfmittel, bei dem eine Behinderung der Maßnahmen des Kampfmittelbeseitigungsdienstes durch Dritte ausgeschlossen wäre, mit einer auflösenden Bedingung erlassen werden, Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG. Als Ereignis für den Eintritt dieser Bedingung würde sich etwa der Zugang einer durch eine volljährige (und nicht unter Betreuung stehenden) Person abgegebenen Erklärung[29] beim Rechtsträger der jeweiligen Sicherheitsbehörde anbieten, mittels derer der Erklärende für den Fall eines Schadenseintritts bei seinen Rechtsgütern infolge der von dem Kampfmittel ausgehenden Gefahr auf Leistungen[30] aus der Solidargemeinschaft verzichtet.[32] Mit dem Eintritt einer solchen Potestativbedingung würde die Räumung bzw. die Sperrung (beim Erlass einer Allgemeinverfügung alleine gegenüber dem Verzichtenden[33]) ex nunc unwirksam, Art. 43 Abs. 2 Var. 4 BayVwVfG.[34] Insoweit wäre einerseits ausgeschlossen, dass durch eine sich selbstgefährdende Person Dritte in ihren Rechtsgütern Leben bzw. Gesundheit geschädigt werden und bzw. oder die Solidargemeinschaft (zusätzlich) belastet wird. Gleichzeitig würde aber das Recht des Einzelnen auf Selbstgefährdung insofern weniger beeinträchtigt, als dieser sich durch seine autonome Entscheidung zumindest an einem solchen Ort aufhalten darf, der von den Sicherheitsbehörden bzw. von der Polizei ausschließlich als „gefährlich für sich selbst“ eingestuft wurde.

dd) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn

Im Hinblick auf die beim Adressaten einer Räumung bzw. einer Sperrung betroffenen Grundrechte (neben Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 101 BV unter Umständen auch  Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 106 Abs. 3 BV sowie Art. 11 Abs. 1 GG, Art. 109 Abs. 1 BV) sind die Sicherheitsbehörden bzw. die Polizei zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn vor allem dazu angehalten, die Reichweite des geräumten bzw. des gesperrten Gebiets und gegebenenfalls des Gebiets, innerhalb dessen die Räumung bzw. die Sperrung auflösend bedingt ist, jeweils sorgfältig festzulegen.

e) Ordnungsgemäße Ermessensausübung

Sämtliche potenziellen Rechtsgrundlagen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 26 Abs. 2 LStVG, § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO, Art. 16 Satz 1 PAG) stellen die Entscheidung über den Erlass der Räumung bzw. der Sperrung in das Ermessen der Sicherheitsbehörde bzw. der Polizei[35]. Die jeweils handelnde Behörde hat insoweit die vorgenannten Gesichtspunkte (vgl. oben a) bis d)) im Sinne der Effektivität der Gefahrenabwehr ordnungsgemäß zu berücksichtigen und ihrer Entscheidung über die Wahl des Mittels entsprechend zu Grunde zu legen, Art. 40 BayVwVfG.

f) Art. 7 Abs. 4 LStVG

Sollte eine Sicherheitsbehörde die Räumung einer Wohnung auf Grundlage von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG anordnen, ist schließlich noch Art. 7 Abs. 4 LStVG zu beachten. Art. 7 Abs. 4 LStVG erklärt eine Einschränkung der Unverletzlichkeit der Wohnung auf Grund einer Maßnahme nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG für unzulässig. Allerdings ist fraglich, ob Art. 7 Abs. 4 LStVG in vorliegendem Zusammenhang überhaupt anwendbar ist.[36] Denn bei der von einem Kampmittel ausgehenden Gefahr handelt es sich regelmäßig um eine gemeine Gefahr bzw. um eine Lebensgefahr i.S.v. Art. 13 Abs. 7 GG. Eingriffe in bzw. Beschränkungen von Art. 13 Abs. 1 GG zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen sind nach Art. 13 Abs. 7 GG auch ohne gesetzliche Grundlage möglich. Aus diesem Grund dürfte Art. 7 Abs. 4 LStVG bei der Räumung einer Wohnung zur Abwehr der von einem Kampfmittel ausgehenden Gefahr keine Anwendung finden.

IV. Voraussetzungen der Vollstreckung einer Räumung bzw. einer Sperrung

Je nach den Umständen des Einzelfalls sind mehrere Vorgehensweisen denkbar, mittels derer die erlassenen Maßnahmen vollstreckt werden können. Zur Ermittlung der für die jeweilige Vorgehensweise einschlägigen Vollstreckungsbefugnisse kommt es zunächst darauf an, ob die Sicherheitsbehörde oder die Polizei die Räumung bzw. die Sperrung erlassen hat.[37]

1. Räumung bzw. Sperrung durch die Sicherheitsbehörde

Hat die Sicherheitsbehörde die Räumung bzw. die Sperrung erlassen, kann sie diese Maßnahmen selbst vollstrecken, Art. 30 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Art. 20 Nr. 1 VwZVG.[38] Da ein Zwangsgeld regelmäßig keinen rechtzeitigen Erfolg erwarten lässt, kommt als Zwangsmittel zur Durchsetzung einer Räumung bzw. einer Sperrung vor allem (angedrohter[39]) unmittelbarer Zwang in Betracht, Art. 29 Abs. 2 Nr. 4, Art. 34 VwZVG. Benötigt die Sicherheitsbehörde bei dem von ihr angewendeten Zwangsmittel Unterstützung, so kann sie die örtlich zuständige Polizeidienststelle um Hilfeleistung ersuchen, Art. 37 Abs. 2 VwZVG („unselbstständige Vollzugshilfe“).[40]

Anstatt die von ihr angeordnete Räumung bzw. Sperrung selbst durchzusetzen, kann die Sicherheitsbehörde die Polizei auch um „selbstständige“ Vollzugshilfe ersuchen, Art. 2 Abs. 3, Art. 50 ff. PAG, Art. 4 ff. BayVwVfG. In diesem Fall richtet sich die Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei zusätzlich zu Art. 37 VwZVG gem. Art. 50 Abs. 3 PAG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG nach Art. 60 ff. PAG.[41]

2. Räumung bzw. Sperrung durch die Polizei

Unter den Voraussetzungen des Art. 3 PAG kann die Polizei die Räumung bzw. die Sperrung selbst erlassen. Denkbar ist allerdings auch, dass die Sicherheitsbehörde gem. Art. 9 Abs. 2 POG einer Dienststelle der Polizei in deren Aufgabenbereich die Weisung zum Erlass einer entsprechenden Räumung bzw. Sperrung erteilt.[42] Unabhängig vom Vorliegen einer sicherheitsbehördlichen Weisung kann die Polizei jede der von ihr erlassenen Maßnahmen nach Art. 53 ff. PAG vollstrecken. Bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs durch die Polizei (Art. 58 PAG) gelten dann wiederum die besonderen Vorschriften der Art. 60 ff. PAG.

V. Zusammenfassung

Als Rechtsgrundlagen für die Räumung von Grundstücken aus Anlass der Beseitigung von Kampfmitteln kommen Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG und Art. 16 Satz 1 Alt. 1 PAG in Betracht; als Rechtsgrundlagen einer entsprechenden Sperrung von Grundstücken können Art. 26 Abs. 2 LStVG, § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO und Art. 16 Satz 1 Alt. 2 PAG herangezogen werden (vgl. III. 1.). Für die Rechtmäßigkeit der Räumung bzw. der Sperrung ist auf Grund der mit diesen Maßnahmen verbundenen Eingriffe in verschiedene Freiheitsrechte des Einzelnen die Wahl des verhältnismäßigen, zumal des erforderlichen Mittels von großer Bedeutung (vgl. III. 3.). Die Befugnisse zur Vollstreckung hängen davon ab, ob eine Sicherheitsbehörde oder die Polizei die jeweiligen Grundstücke geräumt bzw. gesperrt hat, im Fall einer sicherheitsbehördlichen Räumung bzw. Sperrung ferner davon, ob die Polizei um Hilfeleistung oder um Vollzugshilfe ersucht wurde (vgl. IV.).

Net-Dokument: BayRVR2017042501 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

Titelfoto/-abbildung: (c) animaflora – Fotolia.com

Anmerkung der Redaktion

Victor Struzina ist wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Augsburg (Prof. Dr. Josef Franz Lindner).

Beiträge des Autors: hier.


[1] Ein prominenteres Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit stellt etwa der „Munitionsfund“ in München-Freimann dar, vgl. etwa http://www.sueddeutsche.de/muenchen/kampfmittel-in-der-erde-explosive-angelegenheit-1.3416115 (abgerufen am 24.04.2017). Zur Kampfmittelbeseitigung im Jahre 2015 vgl. auch die Pressemitteilung des StMI vom 17.06.2016. Zum Begriff „Kampfmittel“ vgl. die Bek. des StMI vom 15.04.2010 (AllMBl. S. 136).

[3] Vgl. dazu ausführlich Thilo, DÖV 1997, 725 ff.

[4] Maßnahmen ohne vorausgehenden Verwaltungsakt (namentlich Maßnahmen nach Art. 7 Abs. 3 LStVG, Art. 9 Abs. 1, Art. 53 Abs. 2 PAG) spielen (mangels vertretbarer Handlung) in vorliegendem Zusammenhang regelmäßig keine Rolle.

[5] Die Differenzierung zwischen „Räumung“ und „Sperrung“ erfolgt auch in 6.3.1 der Bekanntmachung des StMI v. 15.04.2010 (AllMBl. S. 136).

[6] Die Bestimmbarkeit ergibt sich etwa aus der räumlichen Distanz zwischen einer natürlichen Person und dem Fundort des Kampfmittels.

[7] Vgl. oben II.

[8] Soweit Polizei nicht zur Verfügung steht, kommt auch eine Platzverweisung durch die Feuerwehr nach Art. 25 Satz 1 BayFwG in Betracht.

[9] Die für den Erlass einer Maßnahme nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO zuständigen örtlichen Straßenverkehrsbehörden sind in Bayern die Gemeinden, vgl. Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Satz 1 Nr. 1 ZustGVerk. Da die von einem gefundenen Kampfmittel ausgehende Gefahr nicht auf dem baulichen Zustand einer Straße beruht, scheiden § 7 Abs. 2 FernStrG bzw. Art. 15 BayStrWG als Rechtsgrundlagen für eine Räumung aus.

[10] Vgl. Fn. 8.

[11] Die Sicherheitsbehörden und die Polizei sind (nicht zuletzt aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zur Abwehr der von einem Kampfmittel ausgehenden Gefahr verpflichtet. Zur Erfüllung dieser Pflicht wird ihnen der vom StMI vorgehaltene Kampfmittelbeseitigungsdienst zur Verfügung gestellt, vgl. 5.1 der Bekanntmachung des StMI v. 15.04.2010 (AllMBl. S. 136). Insoweit tritt neben die von dem (ruhenden) Kampfmittel ausgehende Gefahr durch die Maßnahmen des Kampfmittelbeseitigungsdienstes eine weitere Gefahr.

[12] Da von Kampfmitteln regelmäßig eine Brand- oder Explosionsgefahr ausgeht, ist zugleich auch der Aufgabenbereich der gemeindlichen Feuerwehren eröffnet, Art. 1 Abs. 1, Abs.  2, Art. 4 Abs. 1 BayFwG.

[13] In gemeindefreien Gebieten ist nach Art 10a Abs. 5 GO das Landratsamt als untere staatliche Verwaltungsbehörde zuständig.

[14] Bei einer überörtlichen Gefahr sind auch die Landratsämter als untere staatliche Verwaltungsbehörde sowie die Regierungen zuständig, vgl. Gallwas/Lindner, in: Gallwas/Lindner/Wolff, Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht, 4. Aufl. 2015, Rn. 169 ff. Neben der Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden ist im Fall einer Katastrophe ferner die Zuständigkeit der Katastrophenschutzbehörde denkbar, vgl. Art. 1, 2 BayKSG.

[15] In kreisfreien Städten und in großen Kreisstädten der Oberbürgermeister, Art. 34 Abs. 1 Satz 2 GO.

[16] Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 43 Rn. 14.

[18] Vgl. Gallwas/Lindner, in: Gallwas/Lindner/Wolff, Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht, 4. Aufl. 2015, Rn. 323.

[19] Vgl. Koehl, in: Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, 35. Ergänzungslieferung 2014, Art. 26 Anm. 30.

[20] Vgl. Koehl a.a.O., Anm. 30, 32.

[21] Vgl. Gallwas/Lindner, in: Gallwas/Lindner/Wolff, Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht, 4. Aufl. 2015, Rn. 668.

[22] Dies ist allerdings umstritten. Nach anderer Ansicht ist auf Art. 7, 9, 10 PAG zurückzugreifen. Vgl. zum Ganzen Gallwas/Lindner, a.a.O., Rn. 670.

[23] Vgl. zur Verantwortlichkeit des Zustandsstörers bei gefundenen Kampfmitteln, insbesondere auch zu den Eigentumsverhältnissen in Bezug auf Kampfmittel Thilo, DÖV 1997, 725 (727 ff.).

[24] Vgl. dazu im Einzelnen Gallwas/Lindner, in: Gallwas/Lindner/Wolff, Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht, 4. Aufl. 2015, Rn. 560 ff.

[25] Vgl. zum Recht auf Selbstgefährdung etwa Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 78. Ergänzungslieferung 2016, Art. 2 Rn. 50.

[26] Maßnahmen der Verwaltung müssen zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stets einen (verfassungs-)rechtlich legitimen Zweck verfolgen, vgl. Kingreen/Poscher, Grundrechte, 32. Aufl. 2016, Rn. 298.

[27] Vgl. Gampp/Hebeler, BayVBl. 2004, 257 (260 ff.) m.w.Nachw.

[28] Vgl. auch Gampp/Hebeler, a.a.O., 263.

[29] Praktisch ließe sich die Abgabe und der Zugang einer solchen Erklärung etwa durch ein von der jeweiligen Sicherheitsbehörde (elektronisch) bereitgestelltes und vom Bürger ausgefülltes Formular realisieren.

[30] Bei Versicherten i.S.d. §§ 5 ff. SGB V etwa Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse.

[32] Vgl. auch den in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 PAG enthaltenen Rechtsgedanken.

[33] Gegenüber solchen Adressaten der Allgemeinverfügung, die keine Verzichtserklärung abgeben bzw. deren Verzichtserklärung nicht zugeht, wäre die Allgemeinverfügung dagegen weiterhin wirksam. Insoweit könnte man von einer „relativen Wirkung“ der auflösenden Bedingung sprechen.

[34] Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Aufl. 2016, § 43 Rn. 40c.

[35] Vgl. auch Art. 5 PAG.

[36] Vgl. dazu näher Struzina/Lindner, Einweisung Obdachloser in leerstehende Räume der im Übrigen genutzten Wohnung, BayRVR, Net-Dokument BayRVR2016022501, III. 3. c) bb).

[37] Bei einer Platzverweisung durch die gemeindliche Feuerwehr (vgl. Fn. 8) richtet sich die Vollstreckung nach Art. 25 Satz 2 BayFwG.

[38] Wegen Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG bietet es sich für die Sicherheitsbehörde an, die sofortige Vollziehung der Räumung bzw. der Sperrung anzuordnen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).

[39] Vgl. aber Art. 35 VwZVG.

[40] Vgl. zur „unselbständigen Vollzugshilfe“ Gallwas/Lindner, in: Gallwas/Lindner/Wolff, Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht, 4. Aufl. 2015, Rn. 396 ff.

[41] Vgl. zu den Befugnissen im Rahmen „selbstständiger“ Vollzugshilfe Gallwas/Lindner, a.a.O., Rn. 389 ff.

[42] Vgl. zum (umstrittenen) Verhältnis zwischen Art. 9 Abs. 2 POG und Art. 3 PAG: Gallwas/Lindner, a.a.O., Rn. 189 ff.