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Eigengenutzte Zweitwohnung; ortsübliche Nettokaltmiete; Schätzung

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Im unten vermerkten Beschluss vom 04.03.2021 hatte sich der VGH mit der grundsätzlichen Frage zu befassen, wie die im Zweitwohnungssteuerrecht häufig als Bemessungsgrundlage dienende Nettokaltmiete im Falle von selbstgenutzten Eigentumswohnungen zu bestimmen ist.

Die beklagte Gemeinde hatte den Kläger, der eine Doppelhaushälfte mit einer Wohnfläche von 170 m² zeitweise als Zweitwohnung nutzte und sie im Übrigen leer stehen ließ, auf der Grundlage eines von ihr geschätzten ortsüblichen Mietpreises von 7,10 Euro/m² und der entsprechenden Jahresnettokaltmiete von 14.484 Euro gemäß dem in der Zweitwohnungssteuersatzung (ZwStS) festgelegten Steuersatz von 12 % zu einer jährlichen Zweitwohnungssteuer von 1.738,08 Euro herangezogen. Hiergegen wandte sich der Kläger im Wesentlichen mit dem Argument, die für den Verwaltungsvollzug in § 4 Abs. 3 ZwStS getroffene Regelung, wonach bei selbstgenutzten Eigentumswohnungen eine Schätzung durch die Behörde vorzunehmen sei, widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz und dem Wesen der Zweitwohnungssteuer als einer Aufwandsteuer. Es bedürfe anstelle der Schätzung einer realitätsgerechteren Bewertung in Form eines Sachverständigengutachtens. Die Beklagte habe die jährliche Nettokaltmiete auch deshalb fehlerhaft ermittelt, weil sie keine Feststellungen zur Art, zur Lage und zur Ausstattung der Zweitwohnung getroffen und damit nicht auf die konkreten Verhältnisse abgestellt habe. Die Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung lehnte der VGH im Wesentlichen mit folgender Begründung ab:

  1. Wie bei selbstgenutzten Eigentumswohnungen der für die Bemessung der Zweitwohnungssteuer anzusetzende Mietwert ermittelt wird, kann die Gemeinde nach Ermessen entscheiden

Zu den prinzipiellen Einwänden des Klägers gegen die Gültigkeit der Satzung äußert sich das Gericht zu Beginn der Entscheidung wie folgt: „Die den angegriffenen Bescheiden zugrundeliegende Zweitwohnungssteuersatzung ist wirksam; sie verstößt mit dem in § 4 ZwStS festgelegten Steuermaßstab nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der anhand der Jahresnettokaltmiete festgestellte Mietaufwand ist eine von der Rechtsprechung anerkannte Bemessungsgrundlage für die Erhebung einer Zweitwohnungssteuer (BVerwG, U.v. 29.3.2003 – 9 C 3.02 – BVerwGE 117, 345/347; U.v. 26.10.1989 – 8 B 36.89 – NVwZ 1990, 568/569). Er spiegelt die in der Einkommensverwendung typischerweise zum Ausdruck kommende Leistungsfähigkeit der Wohnungsinhaber wider (BVerfG, B.v. 18.7.2019 – 1 BvR 807/121) u.a., ZKF 2020, 16 Rn. 56). Da für selbstgenutzte Eigentumswohnungen keine Miete zu zahlen ist, liegt der für das Innehaben einer solchen Wohnung anfallende Aufwand im Verzicht auf die dadurch erzielbaren Mieteinnahmen. Auf welche Weise der entsprechende fiktive Mietwert ermittelt wird, ist gesetzlich nicht vorgegeben, sondern liegt im Ermessen der Gemeinde (BayVGH, U.v. 4.4.2006 – 4 N 04.27982) – BayVBl 2006, 500).“

  1. Der Steuerschuldner hat keinen Anspruch darauf, dass der Mietwert seiner Zweitwohnung durch ein Sachverständigengutachten festgestellt wird

Einen generellen Vorzug der externen Begutachtung gegenüber der behördlichen Schätzung vermag das Gericht nicht zu erkennen: „Mangels einer für das konkrete Objekt bestehenden Mietvereinbarung stellt in solchen Fällen die Schätzung der Nettokaltmiete in ortsüblicher Höhe eine geradezu zwingende Ermittlungsmethode dar (BayVGH, a.a.O.). Sofern kein Mietspiegel existiert, der als Schätzungsgrundlage in Betracht käme, können – ohne Bindung an die mietrechtliche Vorschrift des § 558 Abs. 2 BGB – auch sonstige Informationen über das Mietzinsniveau im Gemeindegebiet herangezogen werden, um den auf dem örtlichen Mietmarkt erzielbaren Mietzins zu bestimmen (vgl. BayVGH, U.v. 2.5.2016 – 4 BV 15.27783) – juris Rn. 50 m.w.N.). Aus Gründen der rechtsstaatlichen Bestimmtheit und der abgabenrechtlichen Gleichbehandlung muss der Satzungsgeber allerdings die Parameter festlegen, an denen sich die Schätzung zu orientieren hat (BayVGH, a.a.O.). Diesen Vorgaben entspricht die von der Beklagten in § 4 Abs. 3 Satz 2 ZwStS getroffene Regelung,  wonach die Schätzung der fiktiven Miethöhe in Anlehnung an die für Räume gleicher oder ähnlicher Art, Lage und Ausstattung regelmäßig gezahlte Nettokaltmiete geschätzt wird. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die steuererhebende Gemeinde nicht verpflichtet, anstelle einer eigenen Schätzung anhand der vorgegebenen Parameter die Bestimmung der ortsüblichen Nettokaltmiete im Wege eines Sachverständigengutachtens vorzuschreiben bzw. vornehmen zu lassen. Es ist bereits fraglich, ob – namentlich in kleineren Gemeinden – ein externer (Miet-)Sachverständiger über eine umfassendere Datengrundlage und somit über bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügt als die fortlaufend mit dem Vollzug der Zweitwohnungssteuersatzung und daher auch mit der Beobachtung des örtlichen Wohnungsmarkts befasste Gemeindeverwaltung. Davon abgesehen hat der Abgabenpflichtige keinen Anspruch auf ein bestimmtes, aus seiner Sicht optimales Verfahren zur Feststellung des Mietwerts der Wohnung, sondern nur darauf, dass diese Bemessungsgrundlage für die Zweitwohnungssteuer in sachgerechterWeise ermittelt wird. Die der Beklagten in § 4 Abs. 3 Satz 2 ZwStS eingeräumte Schätzungsbefugnis ist hiernach nicht zu beanstanden. Sie stellt eine zulässige Vollzugserleichterung dar und entbindet die Beklagte davon, den Mietaufwand in der ortsüblichen Höhe für die jeweilige Wohnung durch ein Sachverständigengutachten exakt ermitteln zu müssen (ebenso BVerwG, U.v. 14.12.2017 – 9 C 11.164) – BVerwGE 161, 119 Rn. 27). Der sachliche Grund für die verfahrensrechtliche Ungleichbehandlung gegenüber den von den Steuerpflichtigen gemieteten Zweitwohnungen liegt darin, dass es bei eigengenutzten Zweitwohnungen an einer Vereinbarung über die Miethöhe fehlt, aus der sich der finanzielle Aufwand für das Innehaben der Wohnung unmittelbar ergibt.“

  1. Die durch Satzung verliehene Schätzungsbefugnis widerspricht nicht den im Kommunalabgabenrecht geltenden Grundsätzen der Abgabenordnung

Der vom Kläger insoweit erhobene Einwand ist aus Sicht des VGH unbegründet: „Die Notwendigkeit der Einschaltung eines Sachverständigen folgt auch nicht aus der vom Kläger zitierten Vorschrift des § 162 Abs. 1 Satz 1 AO, die über Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. aa KAG für die Heranziehung zur Zweitwohnungssteuer entsprechende Anwendung findet. Danach hat die Behörde die Besteuerungsgrundlagen (nur) dann zu schätzen, wenn sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Die darin liegende gesetzliche Beweismaßreduzierung betrifft das Verfahren der Steuerfestsetzung im Einzelfall (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand 10/2020, § 162 AO Rn. 14) und richtet sich schon ihrem Wortlaut nach allein an die Vollzugsbehörde. Dass mit der Verweisung auf die bundesrechtliche Regelung des § 162 Abs. 1 Satz 1 AO zugleich das Satzungsermessen des kommunalen Normgebers beschränkt werden sollte, ist nicht ersichtlich. Es kann daher offenbleiben, ob sich die fiktive Jahresnettokaltmiete für eine nicht vermietete Wohnung durch ein Sachverständigengutachten tatsächlich im Sinne eines Vollbeweises ,ermitteln‘ oder auch wieder nur (auf andere Weise) schätzen lässt. Eine generelle Pflicht zur Einschaltung eines externen Gutachters dürfte hier im Übrigen schon deswegen nicht bestehen, weil damit regelmäßig ein unzumutbar hoher Ermittlungsaufwand verbunden wäre. Der Vorrang der vollständigen Sachverhaltsaufklärung gegenüber einer Schätzung entfällt, wenn die Kosten der in Betracht kommenden Ermittlungsmaßnahmen in keinem angemessenen Verhältnis zu der betreffenden Steuerforderung stehen (vgl. BFH, U.v. 7.12.1994 – 1 R 85/93 u.a. – juris Rn. 20; Rüsken in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 162 Rn. 20). Dies wäre wohl der Fall, wenn für jede eigengenutzte Zweitwohnung die dafür anzusetzende ortsübliche Nettokaltmiete gesondert für jedes Kalenderjahr (vgl. § 6 Abs. 1 ZwStS) durch das Gutachten eines Sachverständigen festgestellt werden müsste.“

  1. Eine vom Satzungsgeber eingeräumte Schätzungsermächtigung impliziert einen Beurteilungsspielraum der Behörde, so dass das Ergebnis der Schätzung vom Gericht nur eingeschränkt überprüft werden kann

Abschließend stellt der Senat klar, dass in diesen Fällen keine gerichtliche Vollkontrolle stattfindet: „Unzutreffend ist auch die Annahme des Klägers, bei der Schätzung des Mietwerts seiner Zweitwohnung seien entgegen der Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 ZwStS keine Feststellungen zur Art, Lage und Ausstattung getroffen und damit die konkreten Verhältnisse außer Betracht gelassen worden. Der Schätzung lagen ersichtlich die Angaben in der Zweitwohnungssteuererklärung vom 17.3.2011 und die bei den Akten befindlichen Lichtbilder zum äußeren Erscheinungsbild des klägerischen Anwesens zugrunde. Die geschätzte Nettokaltmiete beruhte, wie sich insbesondere aus der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 5.10.2018 ergibt, auf der sachlich nachvollziehbaren und vom Kläger nicht bestrittenen Annahme, dass es sich um ein Wohnobjekt gehobener Qualität handelt. Hiernach war ein fiktiver Mietwert im oberen Bereich der für das Gemeindegebiet ermittelten Mietpreisspanne anzusetzen. Der von der Beklagten angenommene Quadratmeterpreis von 7,10 Euro lag demgemäß, wie im Urteil des Verwaltungsgerichts näher dargelegt wird, in jedem Fall auf der sicheren Seite und konnte keinesfalls als überhöht oder gar als willkürlich angesehen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit der Einräumung einer Schätzungsermächtigung notwendigerweise ein gewisser Schätzungsspielraum und damit ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum der Behörde verbunden ist (vgl. BayVGH, U.v. 2.5.2016 – 4 BV 15.2778 – juris Rn. 49 m.w.N.). Dass die Schätzung der für das klägerische Anwesen erzielbaren Nettokaltmiete in fehlerhafter Weise erfolgt wäre, etwa weil sie auf falschen oder offenbar unsachlichen Erwägungen beruht, wesentliche Tatsachen außer Acht gelassen oder unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hätte, ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch im Zulassungsverfahren nicht substanziiert vorgetragen worden.“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 4.3.2021 – 4 ZB 20.246

1) GKBay Randnummer 53/2020.

2) GKBay Randnummer 129/2006.

3) GKBay Randnummer 202/2016.

4) GKBay Randnummer 98/2018.

Entnommen aus Gemeindekasse Bayern, Heft 20/2021, Rdnr. 190.