Rechtsprechung Bayern

Das Gebot der Staatsferne der Presse gilt auch für einen kommunalen Internetauftritt

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Das hat das Oberlandesgericht München (OLG) in seinem unten vermerkten, nicht rechtskräftigen Urteil vom 30.9.2021 festgestellt. Das OLG ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zu. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen das Betreiben eines Internet-Stadtportals gegen das Gebot der Staatsferne der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2GGverstoßen kann, insbesondere, ob und inwieweit die vom BGH zu Printmedien entwickelten Kriterien insoweit anwendbar sind, ist umstritten und höchstrichterlich noch nicht geklärt.

Nachdem zahlreiche Städte und Gemeinden entsprechende oder zumindest ähnliche Internetauftritte unterhalten, kann sich die Rechtsfrage in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen. Folgender Sachverhalt lag hier zu Grunde: Die Klägerinnen sind in der Stadt ansässige und überregionale Zeitungsverlage. Sie beanstanden das Internetangebot von m….de als Verstoß gegen das aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Gebot der Staatsferne der Presse und damit als wettbewerbswidrig im Sinne von § 3a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und machen einen Unterlassungsanspruch geltend. Bei dem Internetauftritt m….de handelt es sich um das im Jahr 2004 in der heute abrufbaren Form aufgeschaltete „offizielle Stadtportal“ für die Stadt M.. Das Portal (Stand August 2019) umfasst ca. 173.000 Seiten. Nach vorangegangenen Gesprächen mahnten die Klägerinnen die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 29.10.2019 wegen des Betriebs von muenchen.de ab. Die mit der Abmahnung geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Beklagte nicht abgegeben. Auf die in der Folge erhobene Klage hat das Landgericht mit Endurteil vom 17.11.2020 die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, das Telemedienangebot muenchen.de zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/machen zu lassen, wenn dies geschieht wie in der Aufzeichnung des Angebots zwischen dem 16.8. bis 19.8.2019 auf einem USB-Stick wiedergegeben. Das OLG hat die Berufung der Beklagten weitgehend zurückgewiesen. Dem umfangreichen Urteil des OLG ist auszugsweise Folgendes zu entnehmen:

Die vom BGH zum Gebot der Staatsferne kommunaler Printmedien aufgestellten Grundsätze sind auf Internetportale übertragbar

„Ob … das Telemedienangebot m….de selbst unter den Pressebegriff nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fällt oder nicht, kann letztlich offenbleiben. Denn darauf kommt es für die Frage, ob die Grundsätze aus der Entscheidung C.Stadtblatt II des BGH auf Stadtportale wie das vorliegende übertragbar sind … nicht an. Zum einen spricht der BGH im Leitsatz und in den Entscheidungsgründen mehrfach nur allgemein von gemeindlichen bzw. kommunalen ,Publikationen‘, worunter auch das Stadtportal m. .de unzweifelhaft fällt. Zum anderen kann ein staatlicher Eingriff in die Pressefreiheit auf verschiedenste Weise erfolgen (wie beispielsweise durch Druckausübung auf private Presseunternehmen oder die unmittelbare oder mittelbare Beherrschung von Presseunternehmen durch den Staat) und damit nicht nur durch eine eigene Pressetätigkeit (im engeren Sinne) des Staates. Mithin kann auch jedes unzulässige staatliche Informationshandeln potentiell das Grundrecht der Klägerinnen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen (vgl. OLG Hamm GRUR-RS 2021, 14024 Rn. 72, 73 und 76 – Stadtportal.de). Für die Anwendbarkeit der Beurteilungsgrundsätze des BGH auf Stadtportale spricht auch, dass es nicht allein darauf ankommen kann, ob ein staatliches bzw. kommunales Telemedienangebot als ,Marketingprodukt‘ verpackt wird. Denn der Staat bzw. die Kommunen dürfen auch nicht unter dem Deckmantel der Eigenwerbung bzw. des Stadtmarketings unzulässige Presse- bzw. pressemäßige Arbeit betreiben. Würde man es für eine Verneinung der Anwendbarkeit der Grundsätze aus der Entscheidung C. Stadtblatt II genügen lassen, dass ein kommunales Internetangebot als ,offizielles Stadtportal‘ bezeichnet und von der Kommune selbst als bloßes Instrument des Stadtmarketings deklariert wird, könnte sich ein Hoheitsträger letztlich auf einfache Art undWeise der wettbewerbsrechtlichen Kontrolle im Hinblick auf das Gebot der Staatsferne der Presse entziehen.

Auch mit der Begründung, Stadtportale wie das vorliegende stellten kein funktionales Äquivalent zu privaten Pressemedien dar (so Köhler, GRUR 2019, 265, 267), kann die Anwendbarkeit der Grundsätze aus der Entscheidung C. Stadtblatt II aus Sicht des Senats nicht von vornherein verneint werden. Denn die Frage, ob eine gemeindliche Publikation als funktionales Äquivalent zu einem privaten Pressemedium wirkt bzw. die gemeindliche Publikation einen pressesubstituierenden Gesamtcharakter aufweist, kann und muss gerade erst im Wege der vom BGH geforderten umfassenden Gesamtwürdigung ermittelt werden und kann folglich nicht schon im Sinne einer vorgelagerten Frage geprüft (und verneint) werden. Die vom BGH aufgestellten Grundsätze für die Bewertung gemeindlicher Publikationen lassen sich … mithin grundsätzlich auch auf gemeindliche Internetportale übertragen. Allerdings sind hierbei, was sich aus der Natur der Sache ergibt, die Besonderheiten eines Internetportals gegenüber einer gedruckten Zeitung (wie das C. Stadtblatt) im Rahmen der Gesamtwürdigung jeweils bei den einzelnen Kriterien des BGH zu berücksichtigen – wie beispielsweise bei der Frage, ob ein Beitrag bzw. das Portal insgesamt ,pressemäßig‘ oder auch/nur ,internettypisch‘ aufgemacht ist … Daraus kann sich im Einzelfall ergeben, dass die Grenzen des Zulässigen – im Ergebnis – ,etwas großzügiger‘ verlaufen als bei einer gemeindlichen Publikation in Form einer gedruckten Zeitung, wie es das Landgericht angenommen hat. Dies kann aus Sicht des Senats aber nicht dahingehend verstanden werden, dass bei Internetportalen generell ein ,großzügigerer Maßstab‘ anzulegen wäre.“

 

Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der FstBY 4/2022, Rn. 40.