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Nachprüfungspflicht bei Strafurteilen im Rahmen der Ausweisung

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§ 53, § 54, § 82 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG, Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG/§ 25 Abs. 1 Satz 1 VwVfG

Nachprüfungspflicht bei strafgerichtlichen Urteilen, Beratungspflicht der Ausländerbehörden, Mitwirkungspflichten des Ausländers

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 02.05.2022, Az. 10 CS 21.1706

Orientierungssätze der LAB:

1. Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, die Beweisaufnahme eines Strafgerichts quasi nachzuvollziehen, um die Tragfähigkeit der Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu überprüfen. Erst recht nicht kann es das strafgerichtliche Urteil einer eigenen strafrechtlichen Überprüfung und Bewertung unterziehen (vgl. Rn. 6).

2. Die Beratungspflicht der Behörde in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG ändert an den Mitwirkungspflichten des Ausländers nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nichts (vgl. Rn. 9).

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Die vorliegende Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) gibt näheren Aufschluss über die Reichweite der Nachprüfungspflicht der Verwaltungsgerichte und Ausländerbehörden bei strafgerichtlichen Urteilen im Rahmen der Ausweisung sowie der Beratungspflicht der Ausländerbehörden im Verhältnis zu den Mitwirkungspflichten des Ausländers nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG.

1. Nach ständiger Rechtsprechung sind – wie der BayVGH (Rn. 5) unter Angabe weiterer Nachweise zusammenfasst – die Ausländerbehörden und die Verwaltungsgerichte an strafrechtliche Urteile und die darin enthaltenen tatsächlichen Feststellungen zwar rechtlich nicht gebunden. Sie können diese aber ihrer Entscheidung in der Regel zugrunde legen und brauchen daher nicht nachzuprüfen, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Hinsichtlich der tatsächlichen Umstände der abgeurteilten Tat kann lediglich in Sonderfällen anderes gelten, wenn die Ausländerbehörde oder das Verwaltungsgericht ausnahmsweise in der Lage sind, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären, etwa indem sie über bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügen, oder ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht.

Diese abstrakten Vorgaben konkretisiert im Folgenden der BayVGH (Rn. 6) für den vorliegenden Fall: Das Amtsgericht habe seine tatsächlichen Feststellungen auf der Grundlage einer mündlichen Verhandlung mit der Einlassung des Angeklagten (= Antragstellers) und der Vernehmung zweier Zeugen getroffen. Es sei nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, diese Beweisaufnahme quasi nachzuvollziehen, um die Tragfähigkeit der Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu überprüfen. Erst recht nicht könne es das strafgerichtliche Urteil einer eigenen strafrechtlichen Überprüfung und Bewertung unterziehen.

Diese Ausführungen des BayVGH gelten aber nicht nur für die ausdrücklich genannten Verwaltungsgerichte, sondern erfassen nach der dogmatischen Begründung auch die Ausländerbehörden. Eine Nachprüfungspflicht für Verwaltungsgerichte und Ausländerbehörden für strafgerichtliche Entscheidungen wird in der Praxis allenfalls in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen, wie auch die von der Rechtsprechung genannten Beispielsfälle der besseren Erkenntnismöglichkeiten und des offensichtlichen Irrtums zeigen.

2. Auf eine Einwendung des Antragstellers hin nimmt der BayVGH (Rn. 9) auch zu der Frage des Verhältnisses von Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG (bzw. § 25 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) und § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG Stellung. Er stellt dabei klar, dass die Beratungspflicht der Behörde in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG an den Mitwirkungspflichten des Ausländers nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nichts ändert. Der Ausländer ist nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG verpflichtet, seine Belange und die für ihn günstigen Umstände, soweit sie nicht offenkundig und bekannt sind, unter Angabe nachprüfbarer Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise über seine persönlichen Verhältnisse unverzüglich beizubringen. Hierauf soll der Ausländer nach § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hingewiesen werden, was im vorliegenden Fall auch ausführlich geschehen ist.

Somit kann der Ausländer seine eigenen Versäumnisse bei der Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht dadurch ungeschehen machen bzw. sich dadurch entlasten, dass er auf eine Beratungspflicht der Ausländerbehörde nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG bzw. § 25 Abs. 1 Satz 1 VwVfG verweist. Zur Frage des Verhältnisses der Mitwirkungspflichten nach § 82 Abs. 1 AufenthG zum verwaltungsprozessualen Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 Halbsatz 1 VwGO siehe den Beschluss des BayVGH vom 11.09.2014, Az. 10 CS 14.1581, juris.

 

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts und schwerpunktmäßig u.a. zuständig für Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrecht, Polizei- und Sicherheitsrecht.

 

Weitere Informationen zum Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (10 CS 14.1581).

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Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen monatlich eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor.