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Bebauungsplan: Wiederaufnahme unterbrochener Tierhaltung als abwägungserheblicher Belang

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Dem unten vermerkten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 13.12.2021 lag auszugsweise folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungsplan der Antragsgegnerin, mit dem diese eine Gesamtfläche von etwa 1,5 ha überplant, die unter Abzug von Verkehrs- und Grünflächen und unter Ausschluss sämtlicher Nutzungen i.S. von § 4 Abs. 3 BauNVO als allgemeines Wohngebiet („WA“) ausgewiesen wird.

Es werden insgesamt 16 Bauparzellen dargestellt, auf denen in offener Bauweise Einzel- und Doppelhäuser zulässig sind. Eine nordöstliche Teilfläche des Grundstücks der Antragsteller mit ca. 1.400 m2 wird durch den Bebauungsplan mit der Nutzung „WA“ überplant. Auf dem Antragstellergrundstück befindet sich eine seit mehreren Jahren nicht aktiv betriebene landwirtschaftliche Hofstelle mit einem Wohnhaus. Die Antragsteller haben ihre landwirtschaftlichen Nutzflächen mit Ausnahme eines Forstgrundstücks nach eigenen Angaben seit dem Jahr 2000 verpachtet.

Das Verfahren der Bauleitplanung wurde mit Aufstellungsbeschluss des Stadtrats der Antragsgegnerin vom 6.12.2018 eingeleitet. Die Antragsteller gaben im Rahmen der anschließenden frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit keine Stellungnahme ab. Mit Beschluss vom 8.8.2019 billigte der Stadtrat der Antragsgegnerin den überarbeiteten Bebauungsplanungsentwurf. Die Bauleitplanung wurde nunmehr im Verfahren gem. § 13b BauGB fortgesetzt. In der vom Stadtrat übernommenen Abwägungsvorlage wurden Geruchsbelastungsuntersuchungen als unnötig abgelehnt. Die Antragsteller erhoben auch im Rahmen der anschließenden Beteiligung der Öffentlichkeit keine Einwendungen gegen den ausgelegten Planentwurf.

In seiner Sitzung am 9.1.2020 beschloss der Stadtrat der Antragsgegnerin nach vorheriger Schlussabwägung, in deren Rahmen immissionsbezogene Nutzungskonflikte zwischen der auszuweisenden Wohnnutzung einerseits und dem Schweinestallgebäude auf dem Antragstellergrundstück andererseits nicht thematisiert wurden, den streitgegenständlichen Bebauungsplan als Satzung. Nach Ausfertigung durch Unterschrift des ersten Bürgermeisters auf der Planzeichnung erfolgte am 6.2.2020 die öffentliche Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses (Amtstafelaushang). Mit ihrem am 17.7.2020 erhobenen Normenkontrollantrag machen die Antragsteller die Unwirksamkeit des Bebauungsplans geltend.

Weil das Plangebiet unmittelbar an ihre Schweinestallung angrenze, seien Immissionskonflikte vorprogrammiert. Aufgrund der Verpachtung ihrer Felder hätten sie zwar die aktive Bewirtschaftung ihrer Landwirtschaft unterbrochen, diese aber nicht endgültig aufgegeben. Alle wesentlichen Betriebsgrundlagen seien erhalten. Ein Verzicht auf eine Betriebsfortführung sei weder ausdrücklich noch konkludent erklärt, Traktoren und sonstige landwirtschaftliche Gerätschaften seien nicht verkauft worden. Weder die Werkstatt noch das Stallgebäude wiesen Schäden an der Bausubstanz auf; beide Gebäude seien stets sorgfältig gepflegt und instandgehalten worden, sodass der Betrieb jederzeit wieder aufgenommen werden könne. Abwägungsfehlerhaft sei bewusst und von vornherein gegenüber der anvisierten Wohnnutzung die landwirtschaftliche Nutzung ihres Grundstücks zurückgestellt worden.

Auf Nachfrage des Gerichts haben die Antragsteller ergänzend vorgetragen, sie hätten bis zur Verpachtung ihrer Ackerflächen im Jahr 2000 eine Landwirtschaft mit Schweinestallung betrieben, seitdem ruhe die Tierhaltung. Das landwirtschaftliche Anwesen existiere nach wie vor; der Betrieb könne jederzeit wieder aufgenommen werden. Jedes Jahr werde weiterhin der Unfallversicherungsbeitrag des Antragstellers bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft abgebucht. Das Stallgebäude, das nicht verändert worden sei, könne wieder als solches genutzt werden.

Bis zum Jahr 2000 seien regelmäßig ca. 32 bis 40 Schweine gehalten worden. Die Schweinehaltung sei dann im Zusammenhang mit der Verpachtung der landwirtschaftlichen Nutzflächen vorläufig beendet worden. Mit Auslauf der Verpachtung im Jahr 2024 sei geplant, die Schweinehaltung durch den auf der Hofstelle wohnenden Sohn wieder aufzunehmen. Der VGH lehnte den Normenkontrollantrag ab; seinem Beschluss ist Folgendes zu entnehmen:

1. Die Geruchsbelastung im Fall der Wiederaufnahme der Nutzung eines angrenzenden Grundstücks zur Tierhaltung ist nur dann in die Abwägung einzubeziehen, wenn die geplante Wiederaufnahme bei der Entscheidung über den Bebauungsplan erkennbar war

„Zu den Belangen der Landwirtschaft, die bei Aufstellung eines Bebauungsplans gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 8 Buchst. b BauGB als abwägungserheblich zu berücksichtigen und damit vor der eigentlichen Abwägung gem. § 2 Abs. 3 BauGB durch entsprechende Ermittlungen und Bewertungen aufzuarbeiten sind, gehört auch das Interesse eines Landwirts, von dem Heranrücken einer schutzbedürftigen (hier: Wohn-)Bebauung verschont zu bleiben, die die derzeitige oder die zukünftige Betriebsführung gefährden könnte (…).

Die Antragsgegnerin hat nicht ermittelt, mit welcher Immissions- und insbesondere Geruchsbelastung im benachbarten Geltungsbereich des Bebauungsplans und insbesondere im Bereich der nächstgelegenen Baufenster zu rechnen ist, falls das Gebäude wieder zur Haltung von Schweinen genutzt werden sollte (…).

Auch hierbei handelt es sich nicht um einen Belang, der von ihr in der Abwägung zu berücksichtigen war. Nachdem sich die Antragsteller in den Verfahrensabschnitten der Beteiligung der Öffentlichkeit nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB überhaupt nicht geäußert hatten (…), ist ein Interesse an einer Wiederaufnahme der Schweinehaltung erstmals erst nach dem Satzungsbeschluss am 9.1.2020 im Laufe des Normenkontrollverfahrens geltend gemacht worden. Erstmals in der mündlichen Verhandlung wurde zudem von der Antragstellerseite vorgebracht, dass ihr auf der Hofstelle wohnender Sohn mit Auslauf der Landverpachtung im Jahr 2024 plane, die Schweinehaltung wieder aufzunehmen (…).

Der Senat lässt es (…) dahinstehen, ob das Gebäude und seine Nutzung überhaupt jemals Bestandsschutz genossen haben bzw. noch Bestandsschutz genießen (…). Denn unabhängig von der Weitergeltung von Baugenehmigungen für das Stallgebäude und einem fortlaufenden Bestandsschutz der Stallnutzung rechnet ein etwaiges Interesse des Antragstellers an einer möglichen Wiederaufnahme der Schweinehaltung hier nicht zu den zu ermittelnden abwägungsbeachtlichen Belangen. Denn hierzu gehören (…) nur solche Belange, die für die planende Gemeinde bei der Entscheidung über den Bebauungsplan erkennbar waren.

Nicht abwägungsbeachtlich sind hingegen solche Belange, die die planende Stelle nicht ,sieht‘ und nach den gegebenen Umständen nicht zu ,sehen‘ braucht (BVerwG,… Urteil vom 9.4.20081) – 4 CN 1.07 (…). Dies kann für denjenigen, der sich später in einem Normenkontrollverfahren die Möglichkeit aufrechterhalten will, sich erfolgreich auf einen eventuellen Verstoß der Bauleitplanung gegen § 1 Abs. 7 und / oder § 2 Abs. 3 BauGB zu berufen, mit der Obliegenheit einhergehen, auf einen aus seiner Sicht abwägungserheblichen Belang hinzuweisen, um die planende Gemeinde auf diesem Weg über ein der Planung gegenläufiges Interesse erst in Kenntnis zu setzen. Die Streichung des § 47 Abs. 2a VwGO a.F. ist in diesem Zusammenhang unerheblich (so zu Recht Nds OVG, Urteil vom 7.10.20212) (…).“

Entnommen aus der Fundstelle Bayern 16/2022, Rn. 195