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Abgrabungsgenehmigung: Anforderungen an eine FFH-Vorprüfung

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Eine anerkannte Umweltvereinigung (Antragsgegner) wendet sich mit ihrer Klage gegen eine vom Landratsamt erteilte Abgrabungsgenehmigung. Der Vorhabenstandort befindet sich in ca. 40 bis 50 m Entfernung zu einem Fauna-Flora-Habitat-Gebiet (FFH) und SPA-Vogelschutzgebiet sowie einem See.

Das Verwaltungsgericht (VG) hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Genehmigung gerichteten Klage abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde. Die Abgrabungsgenehmigung sei rechtswidrig. Das VG gehe zu Unrecht davon aus, dass der Nachweis dafür erbracht sei, dass das genehmigte Vorhaben nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen des benachbarten FFH sowie des SPA-Gebiets führe. Unter Abänderung des Beschlusses des VG stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in seinem unten vermerkten Beschluss vom 14.2.2022 die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragsgegners gegen die der Antragstellerin erteilte Abgrabungsgenehmigung wieder her. Sein Beschluss enthält folgende Ausführungen zur FFH-Vorprüfung:

1. Inhalt und Umfang einer FFH-Vorprüfung

„Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura-2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Mit dem Tatbestandsmerkmal der ,erheblichen Beeinträchtigung‘ knüpft das deutsche Recht an den Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 der FFH-Richtlinie an. Danach sind Pläne oder Projekte einer Prüfung auf ihre Verträglichkeit mit den für das FFH-Gebiet festgelegten Erhaltungszielen zu unterziehen, wenn sie das FFH-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten.

Ob die Voraussetzungen für die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung vorliegen, ist im Rahmen einer Vorprüfung festzustellen; ihr Gegenstand ist die Frage, ob bereits anhand objektiver Umstände eine erhebliche Beeinträchtigung ausgeschlossen werden kann. Das kann nicht mehr bejaht werden, wenn ein Projekt droht, die für das FFH-Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu gefährden (EuGH, Urteil vom 7.9.2004 – C-127/02 – juris Rn. 49; BVerwG, Urteil vom 27.11.2018 – 9 A 8.17 – BVerwGE 163, 380).

Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie verlangt nicht, dass eine Vorprüfung formalisiert durchgeführt wird, sondern regelt die Voraussetzungen, unter denen eine Verträglichkeitsprüfung geboten ist. Fehlen diese Voraussetzungen, weil eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele ohne vertiefte Prüfung ausgeschlossen werden kann, so stellt der Verzicht auf eine Verträglichkeitsprüfung unabhängig davon, auf welche Weise die Genehmigungsbehörde sich diese Gewissheit verschafft hat, keinen Rechtsfehler dar (BVerwG, Urteil vom 18.12.2014 – 4 C 35.13 – NVwZ 2015, 656; Urteil vom 17.1.2007 – 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1).

Die FFH-Vorprüfung beschränkt sich demnach auf die Frage, ob nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger Auswirkungen besteht. Unter Berücksichtigung des Vorsorgegrundsatzes liegt eine Gefahr der Erhaltungsziele eines FFH-Gebiets schon dann vor, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Vorhaben das fragliche Gebiet erheblich beeinträchtigen kann; bei Zweifeln in Bezug auf das Fehlen erheblicher Auswirkungen ist eine Verträglichkeitsprüfung vorzunehmen (EuGH, Urteil vom 12.4.2018 – C-323/17 – juris Rn. 34).

Die FFH-Vorprüfung hat sich auf eine überschlägige Prüfung (,Screening‘) zu beschränken und darf in ihrer Prüftiefe nicht die eigentliche Verträglichkeitsprüfung vorwegnehmen. Gleichwohl muss die FFH-Vorprüfung für das Gericht nachvollziehbar und schlüssig hinsichtlich ihrer Ausführungen zum Prüfbereich und zu dem Untersuchungsgebiet sein (vgl. HessVGH, Beschluss vom 14.01.2021 – 9 B 2223/20 – juris Rn. 18).

Sie ist nicht der geeignete Rahmen zur Klärung naturschutzfachlich schwieriger, streitiger oder offener Fragen (vgl. OVG LSA, Urteil vom 8.6.2018 – 2 L 11/16 – juris Rn. 136). Andernfalls bestünde die Gefahr einer Umgehung der Verträglichkeitsprüfung (zweite Prüfungsphase), die eine wesentliche Garantie der FFH-Richtlinie darstellt (vgl. EuGH, Urteil vom 12.4.2018 – C-323/17 – juris Rn. 37; insgesamt zum Prüfungsmaßstab: BayVGH, Urteil vom 15.3.2021 – 8 A 18.40041 – juris Rn. 70).“

2. FFH-Vorprüfung im Hinblick auf Erschütterung

„Im Hinblick auf die Auswirkungen von Erschütterung lässt sich eine mögliche Beeinträchtigung des FFH-Schutzgebiets nicht ausschließen, jedenfalls aber lässt sich den dem Senat vorliegenden Unterlagen diesbezüglich keine ausreichende Prüfung entnehmen. Zwar gibt das Beschwerdevorbringen keinen Anlass, die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der B.see grundsätzlich dicht sei, in Zweifel zu ziehen. Das VG hat hierzu in Auswertung der Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamts ausgeführt, dass von einem dichten Seeboden auszugehen sei, weil die Seespiegellagen nördlich und südlich der Straße unterschiedliche Höhenlagen zeigten und der ermittelte höchste Grundwasserstand im Abbaubereich deutlich unterhalb des Seespiegels liege. Es müsse daher von einer dichten Sohle ausgegangen werden, da andernfalls das Oberflächenwasser versickern und ein regelmäßiges Trockenfallen der Oberflächengewässer zu erwarten sei.

Dies sei aber in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen. Ob durch vom Vorhaben ausgehende Erschütterungen negative Auswirkungen auf die Dichtigkeit des Sees zu erwarten stehen, erscheint allerdings nicht abschließend geklärt. Der Antragsgegner zeigt in ausreichender Auseinandersetzung mit der Begründung des VG Zweifel daran auf, dass die Erschütterungsbelastungen durch den Kiesabbau und die Wiederverfüllung mit denen des Straßenverkehrs vergleichbar sind.

Die Vergleichbarkeit der Erschütterungswirkungen des allgemeinen Straßenverkehrs und der betriebsbedingten Erschütterungen eines Kiesabbaus erscheint dem Senat zweifelhaft. Anders als bei Erschütterungen durch vorbeifahrenden Straßenverkehr steht hier ein unmittelbarer Eingriff in den Grund und Boden unter Einsatz von schweren Baugeräten inmitten. Die DIN 4150 Teil 1 – Erschütterungen im Bauwesen – differenziert ebenfalls zwischen den Erschütterungen durch Baumaßnahmen (…) und durch Straßenverkehr (…).

In Nr. 5.2.2 der DIN 4150 Teil 1 wird hinsichtlich der Anregungen aus einem Baubetrieb ausgeführt, dass es durch den Betrieb großer Maschinen und die Bewegungen großer Massen zu stoßartigen Erschütterungen kommt (Bagger, Baustellenverkehr auf unebenem Untergrund, Bohrpfahl-Verrohrungsmaschine), während Erschütterungen im Straßenverkehr in Nr. 5.3.3 näher erläutert werden. Im Rahmen des Kiesabbaus und der anschließenden Wiederverfüllung werden schwere Baugeräte sowie eine Wasch- und Siebanlage eingesetzt. Angesichts der geringen Entfernung zum B.see mit seinen Überschwemmungsflächen erscheinen die Ausführungen des Antragsgegners, dass in diesem Bereich Erschütterungsbelastungen im Erdreich nicht auszuschließen sind, die im Hinblick auf die genehmigte Abbautiefe bis 3 m unterhalb der Gewässersohle des B.sees problematisch sein könnten, nachvollziehbar.

Gerade in locker bis mitteldicht gelagerten nicht bindigen Böden (Sande, Kiese) können starke Erschütterungen zu Sackungen des Bodens führen, insbesondere bei häufigen Erschütterungen (vgl. Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz, Hinweise zur Messung, Beurteilung und Verminderung von Erschütterungsimmissionen, S. 6, Stand 6.3.2018 – https://www.lai-immissionsschutz. de/documents_erschuetterungsleitfaden_veroeffentlicht_sta…53.pdf – abgerufen am 2.2.2022, vgl. DIN 4150 – Teil 3 – Anhang C).

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es sich nur um ein vergleichsweise kleines Abbauvorhaben handelt, da der geringen Größe die geringe Entfernung zum FFH-Gebiet gegenübersteht. Beeinträchtigungen können derzeit mangels fachkundiger Stellungnahmen zu dieser Thematik nicht ausgeschlossen werden. Die Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamts sowie der I…1) verhalten sich zu Auswirkungen durch Erschütterungen nicht, sodass es fraglich erscheint, ob diese Frage einer ausreichenden Prüfung unterzogen worden ist; jedenfalls aber ist eine solche Prüfung nicht in nachvollziehbarer Weise dokumentiert.

Entnommen aus der Fundstelle Bayern 16/2022, Rn. 198.