Rechtsprechung Bayern

Popularklage gegen die Regeln zum Islamischen Unterricht unzulässig

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Art. 47 BayEUG; Art. 98, 107, 118, 136, 137 BV; Art. 55 VfGHG (Mindestmaß an Substanziierung des Widerspruchs zu einer Grundrechtsnorm der BV; Religionsfreiheit; Gleichheitssatz; Religionsunterricht; Ethikunterricht; islamischer Unterricht; allgemeiner Werteunterricht; „Etikettenschwindel“)

Amtliche Leitsätze:
  1. Mangels ausreichend substanziierter Grundrechtsrügen unzulässige Popularklage gegen die Regelungen zur Einführung des Islamischen Unterrichts ab dem Schuljahr 2021/2022 (Art. 47 Abs. 1 und 3 BayEUG).
  2. Annahmen über einen mutmaßlichen Verwaltungsvollzug, die weder im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzesbegründung eine Stütze finden, sind nicht geeignet, einen Grundrechtsverstoß durch die angegriffene Norm selbst darzulegen.

BayVerfGH, Entscheidung vom 28.06.2022, Vf. 42-VII-21

Zum Sachverhalt:

Gegenstand der Popularklage ist Art. 47 Abs. 1 und 3 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (Bay- EUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), das zuletzt durch Gesetz vom 23. Juli 2021 (GVBl. S. 432, im Folgenden: Änderungsgesetz) und – ohne weitere sachliche Änderung – durch Art. 32a Abs. 16 des Gesetzes vom10. Mai 2022 (GVBl. S. 182) geändert worden ist.

Durch das am 1. August 2021 in Kraft getretene Änderungsgesetz wurde Schülerinnen und Schülern, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, ab dem Schuljahr 2021/2022 die Wahlmöglichkeit eröffnet, entweder den Ethikunterricht oder den Islamischen Unterricht zu besuchen. Nach der bis dahin geltenden alten Fassung des Art. 47 Abs. 1 BayEUG war für alle nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Schülerinnen und Schüler der Ethikunterricht Pflichtfach. Art. 47 BayEUG lautet in der mit der Popularklage angegriffenen neuen Fassung wie folgt: Art. 47 Ethikunterricht, Islamischer Unterricht.

(1) Schülerinnen und Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, sind verpflichtet, am Ethikunterricht oder am Islamischen Unterricht teilzunehmen.

(2) 1Der Ethikunterricht dient der Erziehung der Schülerinnen und Schüler zu werteinsichtigem Urteilen und Handeln. 2Sein Inhalt orientiert sich an den sittlichen Grundsätzen, wie sie in der Verfassung und im Grundgesetz niedergelegt sind. 3Im Übrigen berücksichtigt er die Pluralität der Bekenntnisse und Weltanschauungen.

(3) 1Abs. 2 gilt entsprechend für den Islamischen Unterricht. 2Dieser vermittelt zugleich Wissen über die Weltreligion Islam und behandelt sie in interkultureller Sicht.

Seit 1987 war im Rahmen des Muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts für muslimische türkische Schülerinnen und Schüler ein konfessionell ausgerichteter Unterricht über den Islam angeboten worden („Religiöse Unterweisung türkischer Schüler muslimischen Glaubens in türkischer Sprache – ISUT“), der seit 2001 auch auf Deutsch abgehalten wurde („Islamische Unterweisung in deutscher Sprache – ISUD“). Daneben gab es seit 2003 den – ebenfalls konfessionell konzipierten – „Islamunterricht nach dem Erlanger Modell“.

Von 2009 bis 2019 wurde im Rahmen eines Modellversuchs ein neu konzipierter „Islamischer Unterricht“ erprobt (vgl. Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 15.01.2010, KWMBl. S. 38), der an die Stelle der anderen Angebote trat. Nach einer Übergangszeit von zwei Schuljahren, um die der Modellversuch anschließend verlängert wurde, wurde er ab dem Schuljahr 2021/2022 in veränderter Form in ein reguläres Unterrichtsfach (Wahlpflichtfach) übergeleitet (vgl. zum Ganzen LT-Drs. 18/15059 S. 3; VerfGH v. 26.08.2021 – Vf. 43-VIII-21 – juris Rn. 6, auszugsweise abgedruckt in BayVBl. 2022, 9).

Mit ihrer am 7. Juli 2021 eingegangenen, durch Schriftsätze vom 21. Juli, 1. September, 12. und 19. November 2021 sowie 12. Mai 2022 ergänzten Popularklage beantragen die Antragsteller die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Art. 47 Abs. 1 und 3 BayEUG.

 

Entnommen aus BayVBl., Heft 18/2022, S. 625.