Rechtsprechung Bayern

Immissionsschutzrechtliche Bedenken wegen der Strahlung einer Mobilfunkanlage

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Dem unten vermerkten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 18.01.2022 lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Mobilfunksendeanlage im Außenbereich. Die Antragstellerin ist Mieterin einer vom Standort des Bauvorhabens ca. 740 m entfernten Wohnung.

Mit Bescheid vom 17.12.2020 wurde der Beigeladenen die Baugenehmigung erteilt. Die Standortbescheinigung für die geplante Funkanlage vom 05.06.2020 wurde vorgelegt. Die Antragstellerin hat gegen die Baugenehmigung Klage erhoben, über die noch nicht entschieden wurde. Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht (VG) u.a. deshalb abgelehnt, da die von der Bundesnetzagentur vor Betrieb der Mobilfunkanlage erteilte Standortbescheinigung sicherstelle, dass die nach der Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) geltenden Grenzwerte durch entsprechende Sicherheitsabstände der Anlage eingehalten würden.

Die Antragstellerin führt in ihrer Beschwerde u.a. aus, die Rechtmäßigkeit der Grenzwerte der 26. BImSchV sei wegen der tumorwachstumsfördernden Wirkung von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern unterhalb der Grenzwerte im Tierversuch widerlegt. Athermische Gesundheitsgefahren von Mobilfunksende-anlagen seien zudem nicht berücksichtigt.

Der VGH hat die Beschwerde zurückgewiesen, seinem Beschluss entnehmen wir Folgendes:

  1. Immissionsschutzrechtliche Belange sind bei Mobilfunkanlagen im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen

„Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Ist der Kläger nicht Adressat eines Verwaltungsakts, sondern lediglich als Dritter betroffen, so ist für die Klagebefugnis erforderlich, dass er die Verletzung einer Vorschrift behauptet, die ihn als Dritten zu schützen bestimmt ist, und die Verletzung dieser Vorschrift zumindest möglich erscheint. Dies ist allerdings dann nicht der Fall, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können … Prüfungsgegenstand bei einem Nachbarrechtsbehelf sind nur die drittschützenden Normen, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren. Diese die Klagebefugnis betreffende Regelung ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80, § 80a VwGO entsprechend anwendbar …

Gemessen an diesen Maßgaben fehlt es an der Antragsbefugnis der Antragstellerin, da der Mobilfunkmast in einer Entfernung von rund 740 m von der Wohnung der Antragstellerin errichtet wird. Soweit sie sich darauf beruft, dass von dem Mobilfunkmast gesundheitsschädigende Wirkungen ausgehen, macht sie schädliche Umwelteinwirkungen und damit immissionsschutzrechtliche Belange geltend, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen waren. Zwar ist bei dem hier maßgeblichen Prüfungsumfang der Baugenehmigungsbehörde nach Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO auch die Prüfung der Übereinstimmung des Vorhabens mit den §§ 29 bis 38 BauGB vorgeschrieben und damit auch das in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme. Die von der Funkstrahlung des Mobilfunkmasts ausgehenden schädlichen Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit sind jedoch aufgrund der Spezialität des Standortbescheinigungsverfahrens von der Baugenehmigungsbehörde nicht zu prüfen.

Das Immissionsschutzrecht ordnet eine Konzentrationswirkung zugunsten der Baugenehmigung im Sinn des Art. 60 Satz 1 Nr. 3 BayBO nicht an. Auch das Bauordnungsrecht selbst enthält keine Vorschrift, die der Baugenehmigung eine Konzentrationswirkung zuweist (vgl. Lechner in Busse/Kraus, BayBO, Stand Mai 2021, Art. 60 Rn. 17).

Die immissionsfachlichen und gesundheitlichen Auswirkungen der Funkanlagen des Mobilfunkmastes auf die Nachbarschaft sind daher der speziellen bundesrechtlichen Genehmigungspflicht des § 4 BEMFV unterworfen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.12.2021 – 1 CS 21.2410 – juris Rn 16; …). Erst nach Erteilung der sog. Standortbescheinigung (hier vom 05.06.2020) darf der Betrieb einer solchen Anlage aufgenommen werden (§ 4 Abs. 1 BEMFV). Zuwiderhandlungen sind als Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen (§ 15a BEMFV). Die von der Antragstellerin angenommene Gefahrensituation hat demnach nicht die Bauaufsichtsbehörde, sondern die hierfür ausschließlich zuständige Bundesnetzagentur zu prüfen.

Die Standortbescheinigung stellt der Sache nach eine Bescheinigung über die Zulässigkeit des Betriebs einer bestimmten Funkanlage an einem bestimmten Standort dar und hat die Funktion einer Freigabe des Betriebs; sie darf nur unter den Voraussetzungen des § 5 BEMFV erteilt werden. Durch das Nebeneinander von Baugenehmigung und Standortbescheinigung entsteht auch keine Rechtsschutzlücke für betroffene Dritte, da die Standortbescheinigung einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 30.03.2004 – 21 CS 03.1053 – BayVBl 2004, 660 m.w.N.).

Nach alledem kann die Antragstellerin ihre diesbezüglichen gesundheitsbezogenen Einwendungen einschließlich des Vortrags, die Grenzwerte der 26. BImSchV seien rechtswidrig bzw. aufgrund neuer Forschung als überholt anzusehen, nur im Rahmen eines Verfahrens gegen die Standortbescheinigung klären lassen, gegen die sie nach ihren Angaben Widerspruch eingelegt und einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt hat. Auf die von ihr erhobenen Vorwürfe, das Verwaltungsgericht habe gegen den Grundsatz der Amtsermittlung verstoßen und ihr rechtliches Gehör verletzt, kommt es daher nicht an. Im Übrigen hat die Antragstellerin ihre sachlichen Einwände im Beschwerdeverfahren vortragen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.10.2019 – 2 BvR 1813/18 – NJW 2020, 534).“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 18.01.2022 – 1 CS 21.2386

 

Entnommen aus, Fundstelle Bayern, 21/2022, Rn. 259