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Alternativenprüfung bei der Ausweisung eines Trinkwasserschutzgebietes

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Wasserrecht: Schrittweise Abarbeitung der Alternativenprüfung bei der Ausweisung eines Trinkwasserschutzgebietes

§ 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2, § 52 Abs. 1 WHG

Normenkontrollantrag gegen eine Wasserschutzgebietsverordnung; Räumliche Ausdehnung des Schutzgebiets; Sicherheitszuschlag (inhomogener Untergrund); Schutzfähigkeit; Standortalternative

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 16.08.2022, Az. 8 N 19.1138

Orientierungssätze der LAB

1. Auch im Fall des Weiterbetriebs eines vorhandenen, wasserrechtlich genehmigten Standorts darf eine Alternativenprüfung bei der Schutzgebietsausweisung nicht von vorneherein unterbleiben.

2. Die Auswahlentscheidung der Behörde zwischen mehreren Versorgungsalternativen unterliegt einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle; sie ist erst dann fehlerhaft, wenn sich eine Alternativversorgung eindeutig als gleichermaßen geeignete, für die jeweiligen Betroffenen weniger belastende Alternativlösung hätte aufdrängen müssen, die dem Wasserversorger auch zumutbar wäre.

3. Die Behörde darf Alternativen, die ihr aufgrund einer Grobanalyse zur Erreichung der Versorgungsziele weniger geeignet erscheinen, schon in einem frühen Verfahrensstadium ausscheiden. Ein Rechtsfehler liegt auch insoweit erst vor, wenn sich die nicht näher untersuchte Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen. Der Ermittlungsumfang der Behörde im Rahmen der Grobprüfung ist dabei naturgemäß beschränkt.

Hinweise

Mit dem vorliegenden Urteil hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) erneut Normenkontrollanträge abgelehnt, mit denen die Antragsteller umfangreiche Einwendungen gegen die materielle Rechtmäßigkeit einer Wasserschutzgebietsverordnung geltend gemacht hatten (vgl. zuletzt bereits BayVGH, Urteil vom 29.10.2021, Az. 8 N 17.2190, juris).

Von großer praktischer Bedeutung sind aus Sicht der Landesanwaltschaft zunächst die Bewertungen des Gerichts zur schrittweisen Abarbeitung der Alternativenprüfung bei der Schutzgebietsausweisung (Rn. 108 ff.), mit denen die insoweit grundlegenden Ausführungen aus dem Urteil vom 28.08.2019, Az. 8 N 17.523, juris Rn. 127 ff., ergänzt und vertieft wurden.

1. Der BayVGH geht dabei von folgenden Erwägungen aus:

aa) Auch im Fall des Weiterbetriebs eines vorhandenen, wasserrechtlich genehmigten Standorts darf eine Alternativenprüfung nicht von vorneherein unterbleiben (Rn. 109).

bb) Bei der Alternativenprüfung steht der Behörde ein planerischer Gestaltungsspielraum zu; die Auswahlentscheidung unterliegt einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Bei der Abwägung müssen ernsthaft in Betracht kommende Standortalternativen ermittelt, bewertet und untereinander abgewogen werden. Je geringer die Schutzfähigkeit des Wasservorkommens ist, desto eingehender muss die Alternativenprüfung erfolgen; dafürsprechende Belange verlieren umso mehr an Durchschlagskraft, je geringer die Wirksamkeit des Schutzgebiets ist. Demgegenüber ist ein wesentlicher Belang der Abwägung, dass aus einer bestehenden Wassergewinnungsanlage Trinkwasser in der benötigten Menge und Qualität gefördert werden kann (Rn. 110).

cc) Die Auswahlentscheidung der Behörde ist erst dann fehlerhaft, wenn sich eine Alternativversorgung eindeutig als gleichermaßen geeignete, für die jeweiligen Betroffenen weniger belastende Alternativlösung hätte aufdrängen müssen, die auch dem Wasserversorger zumutbar wäre, d. h. die insbesondere ohne erheblichen Aufwand bzw. erhebliche Unwägbarkeiten verwirklicht werden könnte (Rn. 108, 118, 119, 120, 125, 129, 130).

dd) Die Erforderlichkeit einer Maßnahme kann nicht durch Alternativen infrage gestellt werden, die Belastungen nur verlagern (Rn. 128).

ee) Einem Wasserversorger, der über einen funktionsfähigen Standort zur Abdeckung des Großteils seines überschaubaren Wasserbedarfs verfügt, kann es im Einzelfall bei einer Gesamtbetrachtung wegen der daraus entstehenden Unwägbarkeiten unzumutbar sein, als Versorgungsalternative die Förderung aus seinem Bestandsstandort zu reduzieren und die dadurch entstehende „Versorgungslücke“ z. B. mit einer Zulieferung durch einen benachbarten Wasserversorger zu decken (Rn. 130).

ff) Bei der „Abarbeitung“ möglicher Alternativen braucht die Behörde den Sachverhalt nur so weit zu klären, wie dies für eine sachgerechte Entscheidung und eine zweckmäßige Gestaltung des Verfahrens erforderlich ist. Alternativen, die ihr aufgrund einer Grobanalyse zur Erreichung der Planungsziele weniger geeignet erscheinen, darf sie schon in einem frühen Verfahrensstadium ausscheiden. (Nur) Die dann noch ernsthaft in Betracht kommenden Alternativen muss sie im weiteren Planungsverfahren detaillierter untersuchen und vergleichen. Bei der Frage der Eignung einer Alternative kommt es insbesondere darauf an, ob diese imstande ist, das erforderliche Trinkwasser in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu liefern. Ein nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG festgesetztes Wasserschutzgebiet dient insbesondere der Sicherheit der Trinkwasserversorgung; jede vermeintliche Alternative muss sich an den daraus folgenden Anforderungen messen lassen. Ein Abwägungsfehler liegt auch beim Ausscheiden vermeintlicher Alternativen im Rahmen einer Grobanalyse erst vor, wenn sich die nicht näher untersuchte Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen (Rn. 111).

gg) Der Ermittlungsumfang der Behörde im Rahmen einer Grobprüfung ist dabei naturgemäß beschränkt (Rn. 119).

2. Diese rechtsgrundsätzliche Bewertung durch den Senat ist aus Sicht der Landesanwaltschaft nachdrücklich zu begrüßen.

Für die Alternativenprüfung bei der Festsetzung von Wasserschutzgebieten durch Rechtsverordnung hat die Rechtsprechung des BayVGH seit langem die Formel geprägt, dass es für die Frage, ob eine mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorzugswürdige, gleichermaßen geeignete Alternative vorliegt, auf die dadurch hervorgerufenen Belastungen für Betroffene und auf die Zumutbarkeit ihrer Verwirklichung für den Wasserversorger im jeweiligen Einzelfall ankomme. Die Auswahl unter verschiedenen Alternativen stelle sich dabei als eine auf Wertungs-, Abwägungs- und Einschätzungsvorgängen beruhende Entscheidung dar, bei der es nicht nur eine rechtlich richtige Lösung gebe. Daher sei der Wasserrechtsbehörde insoweit ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen, ähnlich der Enteignungsbehörde im allgemeinen Enteignungsrecht (vgl. BayVGH, Urteil vom 26.06.2002, Az. 22 N 01.2625, juris Rn. 20).

Mit dem grundlegenden Urteil vom 28.08.2019, Az. 8 N 17.523, juris Rn. 127 ff., das durch die vorliegende Entscheidung nun weiter ausdifferenziert wird, stellt der 8. Senat des BayVGH den fachplanerischen Aspekt der (Abwägungs-)Entscheidung zwischen verschiedenen Standortalternativen für die Wassergewinnung stärker in den Vordergrund, bei der es sich um eine Entscheidung mit Raumbezug handle, die Elemente von Planungsermessen enthalte. Der bereits von der Rechtsprechung anerkannte „planerische Gestaltungsspielraum“ folge daher unmittelbar aus der Übertragung der Planungsbefugnis auf die Behörde, weil die Befugnis zur Planung stets einen mehr oder weniger ausgedehnten Spielraum an Gestaltungsfreiheit einschließe und einschließen müsse, weil Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich wäre.

Diese systematische Bewertung hat das Bundesverwaltungsgericht, das im der Entscheidung des BayVGH nachgehenden Beschluss vom 26.06.2020, Az. 7 BN 3.19, juris Rn. 15, von einem „Vorgang der wertenden (fachplanerischen) Abwägung zwischen mehreren geeigneten Standorten“ spricht, offenkundig ohne Beanstandung übernommen. Die Einordnung als „fachplanerische Abwägung“ erstreckt der Senat ersichtlich dann nicht nur auf den Aspekt der Standortfrage, sondern auch auf weitere denkbare Versorgungsalternativen wie z. B. alternative Trinkwassererschließungen (etwa durch Mitversorgung) oder auch alternative Lösungen zur Gewinnung von Trinkwasser am bestehenden Standort (etwa eine Umgestaltung einer Brunnenanlage) sowie die Frage von Teilalternativen (vgl. Rn. 130; vgl. auch bereits Urteil vom 12.03.2020, Az. 8 N 16.2555 u. a., juris Rn. 45).

Für die Praxis bedeutsam erscheint die vorliegende Entscheidung insbesondere hinsichtlich ihrer vertiefenden Ausführungen zum Ausscheiden von Versorgungsalternativen im Rahmen einer Grobprüfung und dem dabei (zulässigerweise) beschränkten Ermittlungsumfang der Behörde (Rn. 111-128). Bereits der Aufwand für eine tragfähige Ermittlung der hydrogeologischen Verhältnisse an dem vom Wasserversorger im Schutzgebietsantrag favorisierten Standort ist in aller Regel erheblich. Eine Verpflichtung der Behörde, sämtliche denkbaren Alternativen (die von Betroffenen auch gerne noch zusätzlich in großem Umfang im Anhörungsverfahren in den Raum gestellt werden) durch Nachforderungen gegenüber dem Wasserversorger und seinem Fachbüro bzw. das Wasserwirtschaftsamt quasi „vollständig auszuermitteln“ und erst dann die Alternativenprüfung abschließen zu können, würde eine zielführende und auf eine auch zeitgerechte Ausweisung von Wasserschutzgebieten zielende Verfahrensgestaltung der Behörde wohl oftmals unmöglich machen (vgl. zur Auslegungspflicht von Unterlagen zur Alternativenprüfung zudem u. a. BayVGH, Urteil vom 08.04.2020, Az. 8 N 16.2210, juris Rn. 29).

Aus Sicht der Landesanwaltschaft ist zu empfehlen, dass die Wasserrechtsbehörde ihre Erwägungen zur Auswahl zwischen denkbaren Versorgungsalternativen (auch wenn eine Begründungspflicht gesetzlich nicht vorgeschrieben ist) in einem Entscheidungsvermerk zur Wasserschutzgebietsverordnung festhält.

Weiter dürfte es sinnvoll sein, im Entscheidungsvermerk Ausführungen dazu aufzunehmen, welche behördliche Schutzkonzeption der Wasserschutzgebietsverordnung zugrunde liegt (vgl. Rn. 135; siehe zudem BayVGH, Urteil vom 28.08.2019, Az. 8 N 17.523, juris Rn. 105-115; Urteil vom 05.10.2021, Az. 8 N 17.1354 u. a., juris Rn. 32, 47, 51-59) bzw. ob und wie der Normgeber ggf. von einem administrativen Vereinfachungsspielraum bei der Schutzgebietsabgrenzung Gebrauch gemacht hat (vgl. etwa Urteil vom 05.10.2021, Az. 8 N 17.1354 u. a., juris Rn. 35, 74, 86-87, 92). Denkbar wäre zudem – und mit Blick auf ein ggf. nachfolgendes Normenkontrollverfahren auch generell hilfreich – schlichtweg alle Bewertungen der Wasserrechtsbehörde aus dem Normerlassverfahren zur formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der Rechtsverordnung in einem umfassenden Entscheidungsvermerk festzuhalten (vgl. etwa Rn. 67 mit Blick auf die dem Schutzgebiet zugrundeliegende Fördermenge).

Abschließend bleibt zum Bereich der Alternativenprüfung anzumerken, dass der Senat offenbar den Ansatz aus dem Urteil vom 28.08.2019, Az. 8 N 17.523, juris Rn. 150, nicht mehr weiterverfolgt, wonach eine Zulieferung ggf. ein „aliud“ zur Zielsetzung des Wasserversorgers darstellen und schon aus diesem Grund als Alternative ausgeschlossen werden könnte (vgl. Rn. 130; siehe ausdrücklich auch BayVGH, Urteil vom 12.03.2020, Az. 8 N 16.2555 u. a., juris Rn. 46, wonach die Alternativenprüfung gerade nicht darauf gestützt werden kann, dass ein Wasserversorger selbst entscheiden könne, welche Art der Trinkwasserversorgung er wählen möchte).

3. Hervorzuheben sind aus Sicht der Landesanwaltschaft zudem die lesenswerten Ausführungen des Senats zum Umgang mit den einschlägigen technischen Regelwerken in atypischen Fallgestaltungen (Rn. 66-69, 89), zur Bedeutung von Hochwassergefahren für Brunnenstandorte als Teilfrage der Schutzfähigkeit (Rn. 100-103) sowie zum Regelungsmodell des WHG mit Blick auf die in der Festsetzung eines Wasserschutzgebiets für Betroffene liegende Inhalts- und Schrankenbestimmung ihres Grundeigentums (Rn. 97, 138, 144; vgl. dazu auch BayVGH, Beschluss vom 21.06.2022, Az. 8 ZB 21.2359, juris Rn. 15 ff.).

 

Oberlandesanwalt Martin Höfler ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig u.a. zuständig für Wasserrecht, Versammlungsrecht, Lotterierecht, Tierseuchenrecht.

 

 

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