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Sachbescheidungsinteresse bei Zweifel an der Nutzung einer Baugenehmigung

Art. 68 BayBO (Sachbescheidungsinteresse)

Nichtamtliche Leitsätze:

1. Das Sachbescheidungsinteresse für einen Antrag auf Erlass einer Baugenehmigung fehlt nur dann, wenn offensichtlich und schlechthin nicht ausräumbare Hindernisse gegen deren Verwertung vorliegen. Nicht ausreichend ist es, dass lediglich zweifelhaft oder ungewiss ist, ob der Bauantragsteller aufgrund vermeintlicher bestehender Hindernisse von der Baugenehmigung Gebrauch machen kann.

2. Ein Bauantragsteller ist nicht gehalten, gleichzeitig mit der baurechtlichen Antragstellung sämtliche weitere für eine Realisierung des Vorhabens etwa notwendigen Genehmigungsverfahren in Lauf zu setzen.

BayVGH, Beschluss vom 09.06.2022, 2 ZB 22.498

Aus den Gründen:

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung nach §§ 124, 124a Abs. 4 VwGO hat keinen Erfolg, weil der ausschließlich geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegt beziehungsweise nicht ausreichend dargelegt ist.

Mit dem Erstgericht geht der Senat davon aus, dass der Anspruch der Klägerin auf Verbescheidung ihres Bauantrags nicht am fehlenden Sachentscheidungsinteresse scheitert.

Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen sind. Bei der Baugenehmigung handelt es sich nach der Regelung im bayerischen Landesrecht (Art. 59 BayBO) um eine beschrankte öffentlich-rechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, die nicht den Schlusspunkt einer umfassenden öffentlich-rechtlichen Zulässigkeitsprüfung des Bauvorhabens darstellt. Zwar ist anerkannt, dass die Erteilung einer Baugenehmigung auch dann abgelehnt werden darf, wenn es dem Antragsteller am Sachentscheidungsinteresse fehlt.

Das ist dann der Fall, wenn der Ausnutzung der Genehmigung schlechthin nicht auszuräumende Hindernisse entgegenstehen und die Genehmigung deshalb für den Antragsteller ersichtlich nutzlos ist. Das wird unter anderem angenommen, wenn nach anderen Rechtsvorschriften für das Vorhaben erforderliche öffentlich-rechtliche Gestattungen versagt worden sind oder offensichtlich nicht erteilt werden können. In einem solchen Fall macht sich die Baugenehmigungsbehörde die anderweitigen und jenseits des baurechtlichen Genehmigungsverfahrens liegenden festgestellten Hindernisse ohne eigene Prüfung zu eigen (BayVGH, U. v. 19.01.2009 – 2 BV 08.2567).

Das streitgegenständliche Bauvorhaben, das die Erteilung einer baurechtlichen Genehmigung zur Umnutzung der bestehenden Wohnung zu Ferienwohnungen zum Inhalt hat, liegt im Geltungsbereich der aktuellen Satzung der Beklagten über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWS). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die ZwEWS der Beklagten mit rechtskräftigem Urteil vom 27. September 2021 (12 N 20.1726) wegen eines Ausfertigungsfehlers für unwirksam erklärt.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass mit der Ausfertigung und erneuten Bekanntmachung der Satzung am 4. Dezember 2020 am darauffolgenden Tag eine neue inhaltsgleiche ZwEWS ruckwirkend zum 20. November 2020 wirksam in Kraft getreten sei. Die Klägerin ist anderer Meinung, da sich die Beschlussfassung des Stadtrats der Beklagten vom 13. Mai 2019 über die ZwEWS teilweise von der Ausfertigungsfassung vom 20. November 2020 unterscheide. Insoweit ist anderweitig ein Normenkontrollverfahren beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (12 N 21.1208) anhängig.

Bei unterstellter Gültigkeit der ZwEWS ist für die beabsichtigte Umwandlung in Ferienwohnungen eine Genehmigung erforderlich. Die Zulassungsbegründung räumt selbst ein, dass § 7 ZwEWS Ausnahmetatbestande normiert, die bei Vorliegen der dortigen Tatbestandsvoraussetzungen dazu fuhren, dass hinsichtlich einer Erteilung einer Genehmigung unter Berücksichtigung des generellen Verbots der Zweckentfremdung von Wohnraum eine Ermessensentscheidung zu treffen ist (§ 5 Abs. 2 oder Abs. 3 ZwEWS).

Die Entscheidung über die Erteilung einer Genehmigung setzt eine Antragstellung voraus. Einen solchen Antrag hat die Klägerin bislang nicht gestellt. Die Zulassungsbegründung meint, dass ein solcher Fall einem fehlenden Sachentscheidungsinteresse gleichzustellen sei, da der Antragsteller durch die absichtliche Verzögerung des Antrags nach dem Zweckentfremdungsrecht die Genehmigungsbehörde nicht in die Lage versetze, zu klären, ob ein Hindernis, dass der Ausnutzung der Baugenehmigung entgegenstehe, bestehe.

Dem kann nicht gefolgt werden. Das Sachentscheidungsinteresse fehlt nicht bereits dann, wenn lediglich zweifelhaft oder ungewiss ist, ob der Antragsteller aufgrund vermeintlicher bestehender Hindernisse von der angestrebten Erlaubnis Gebrauch machen kann (BayVGH, U. v. 23.03.2006 – 26 B 05.555). Stattdessen ist das Vorliegen eines offensichtlichen und schlechthin nicht ausraumbaren Hindernisses gegen die Verwertung der Erlaubnis erforderlich (BayVGH a. a. O.), was hier nicht der Fall ist.

Bereits vor dem Hintergrund der Geltungsdauer der Baugenehmigung (Art. 69 Abs. 1 BayBO) ist ein Bauantragsteller nicht gehalten, gleichzeitig mit der baurechtlichen Antragstellung sämtliche weitere, für eine Realisierung des Vorhabens etwa notwendige Genehmigungsverfahren in Lauf zu setzen. Das gilt umso mehr, wenn – wie hier – die Wirksamkeit der ein weiteres Genehmigungserfordernis begründenden Norm zwischen den Beteiligten streitig ist und noch der rechtlichen Klärung bedarf.

 

Entnommen aus den Bayerischen Verwaltungsblättern, 1/2023, S. 18.