Rechtsprechung Bayern

Aberkennung des Ruhegehalts wegen unterlassener Feuerbeschau trotz Kenntnis gefährlicher Zustände

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Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über die Feuerbeschau (FBV)[1] ist von der Gemeinde eine Feuerbeschau durchzuführen, wenn konkrete Anhaltspunkte für gefährliche Zustände vorliegen. Das unten vermerkte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 04.05.2022 beschäftigt sich u.a. mit der praxisrelevanten Frage, wann die Kenntnis einer solchen Gefahr anzunehmen ist. Es führt das bestehende Haftungsrisiko für die bei der Gemeinde zuständigen Personen (hier der frühere erste Bürgermeister als Beklagter) im Falle eines eintretenden Brandes bei einem Gebäude, bei dem eine Feuerbeschau pflichtwidrig unterlassen wurde, eindrücklich vor Augen.

Folgender Sachverhalt lag zugrunde

Gegen den früheren ersten Bürgermeister der Gemeinde (Beklagter) wurde ein Disziplinarverfahren eingeleitet, da gegen ihn 2017 mit rechtskräftigem Strafbefehl u.a. wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt wurde. Dem Strafbefehl lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde: 2015 kam es zu einem Brand in einem denkmalgeschützten historischen Anwesen, in dem sich zum Zeitpunkt des Brandausbruchs 54 Personen befanden. Allein im Dachgeschoss übernachteten 24 Personen in einem eng belegten Matratzenlager. Alleiniger Zugang war eine steile enge Holztreppe. Infolge der Feuer- und Rauchentwicklung fanden sechs Personen im Matratzenlager des Obergeschosses den Tod. Weitere 18 Personen wurden infolge des Brandes teilweise schwer verletzt. Laut Strafbefehl sei dem Bürgermeister der Gemeinde bekannt gewesen, dass in dem Anwesen auch größere Gruppen (bis zu 50 Personen), insbesondere auch Schulklassen, beherbergt wurden. Auch habe er gewusst, dass für eine in diesem Umfang durchgeführte Beherbergung eine baurechtliche Genehmigung erforderlich gewesen, aber nicht erteilt worden sei. Dennoch habe er weder das zuständige Landratsamt über diesen baurechtswidrigen Zustand informiert noch eine Feuerbeschau veranlasst, obwohl er hierzu verpflichtet gewesen wäre.

Auf die 2018 von der Disziplinarbehörde erhobene Disziplinarklage erkannte das Verwaltungsgericht dem Bürgermeister das Ruhegehalt ab. Der VGH wies die Berufung des Bürgermeisters zurück und führt Folgendes aus:

  1. Indizwirkung eines Strafbefehls für das Disziplinarverfahren

„Der dem Beklagten im Disziplinarverfahren zur Last gelegte, vom Verwaltungsgericht festgestellte Sachverhalt ist zur Überzeugung des Senats erwiesen. Auszugehen ist von dem Ablauf des Geschehens, wie es im rechtskräftigen Strafbefehl … wiedergegeben wird. Zwar sind die in einem Strafbefehl getroffenen tatsächlichen Feststellungen für die Disziplinargerichte nicht bindend; sie können aber der disziplinarrechtlichen Entscheidung ohne erneute Prüfung zugrunde gelegt werden (Art. 63 Abs. 1 Satz 1, Art. 55 i.V.m. 25 Abs. 2 BayDG). Den in einem rechtskräftigen Strafbefehl enthaltenen tatsächlichen Feststellungen kommt auch im Disziplinarrecht eine erhebliche Indizwirkung zu (BayVGH, Urteil vom 1.6.2005[2] – 16a D 04.3502 – juris). Zwar bietet ein Strafbefehl nicht die gleiche Richtigkeitsgewähr wie ein auf Grund einer Hauptverhandlung ergangenes Strafurteil. Andererseits fällt jedoch ins Gewicht, dass auch ein Strafbefehl aufgrund einer tatsächlichen und rechtlichen Prüfung durch das Gericht (§§ 407, 408 StPO) ergeht, eine strafrechtliche Rechtsfolge gegen den Beschuldigten festsetzt und gemäß § 410 Abs. 3 StPO die Wirkung eines rechtskräftigen Strafurteils erlangen kann. Auch wenn hierdurch das Defizit der Erkenntnisgrundlagen des Strafbefehlsverfahrens nicht vollständig ausgeglichen wird, trägt diese Verfahrensausgestaltung jedenfalls die Annahme einer Indizwirkung des rechtskräftigen Strafbefehls (vgl. Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand: Mai 2022, § 23 BDG Rn. 35).“

  1. Indizien für die Kenntnis von Übernachtungen im Gebäude

Neben dem Strafbefehl selbst zieht der VGH auch den Inhalt der Anklageschrift aus dem Strafverfahren als relevante Indizien heran:

„Arbeiten des Angeschuldigten[3] im Anwesen

Der Elektroinstallationsbetrieb des Angeschuldigten hat bei der Renovierung des Anwesens zahlreiche Elektroinstallationsarbeiten durchgeführt und dabei u.a. auch ein Licht mit einer Zeitschaltuhr in den Dachboden, wo das Matratzenlager errichtet werden sollte, eingebaut. Der Zeuge S. sagte aus, er gehe davon aus, dass er dem Angeschuldigten hierbei bereits erzählt habe, dass im Dachboden künftig ein Matratzenlager errichtet werden sollte …

Auch die Zeugin…gab an, dass der Elektrobetrieb des Angeschuldigten auch noch später, als das Matratzenlager bereits bestand, im Gebäude war, um Reparaturen durchzuführen…Darüber hinaus gab sie an, dass die ganze Gemeinde gewusst hätte, dass viele Gäste in dem Anwesen beherbergt werden, dass dies aber seitens der Gemeinde ausdrücklich geduldet worden sei und der Angeschuldigte zugesichert habe, dass es seitens der Gemeinde diesbezüglich keine Probleme geben würde…

Übernachtungszahlen

Darüber hinaus sind die erheblichen Übernachtungszahlen, die an die Gemeinde gemeldet wurden, Indiz für die Kenntnis des Angeschuldigten vom Umfang der Übernachtungen im P-hof. Zur Entrichtung des von der Gemeinde … festgesetzten Fremdenverkehrsbeitrages sowie des Kurbeitrages lieferte … jeweils Meldezettel an die Gemeinde ab. In den letzten Jahren hatte … pro Saison ca. 1.000 bis 1.200 Übernachtungen im Haus …

Örtliche Situation

Im Übrigen befindet sich das Rathaus der Gemeinde … in ca. 200 m Luftlinie vom P-hof entfernt – mit freier Sicht auf das Anwesen und seine Gäste – sowie gleicher Zufahrtsstraße … Die große Zahl der Übernachtungsgäste kann also gar nicht nicht wahrgenommen werden … Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieser Ortsteil von S., in dem sich sowohl das Rathaus als auch der P-hof befinden, nur aus wenigen Häusern und einer Kirche besteht, wo der Betrieb … mit teilweise über 50 Übernachtungsgästen kaum zu übersehen war, da dieser als einzige Attraktion in diesem Ortsteil das Ortsbild wesentlich prägte.

Vermerke, Flyer u.w.

  • Vermerke: Auch die in den Unterlagen der Gemeinde aufgefundenen Vermerke der Zeugen Pr. und M.-G. belegen, dass man sich in der Gemeinde von Anfang an durchaus über die dort stattfindende Beherbergung Gedanken gemacht habe …
  • Flyer: Ferner lagen in der Gemeinde Flyer aus, in denen u.a. auch mit den zahlreichen Schlafplätzen geworben wurde …
  • Homepage: Die Homepage der Gemeinde war mit ,ihrer Hauptattraktion‘ für den Fremdenverkehr, dem Unternehmen des anderweitig verurteilten S. sogar verlinkt. Zum Unglückszeitpunkt wurde dort unter ,S.-Alpenlocation‘ mit 50 Schlafplätzen und Bettenlager und Mehrbettzimmer im Hüttenstil geworben …

Aus all diesen Umständen ergibt sich, dass der Angeschuldigte gewusst hat, dass in dem Anwesen größere Gruppen mit teilweise über 50 Personen übernachteten und das Anwesen entsprechend mit Schlafplätzen ausgestattet war, insbesondere über ein Matratzenlager verfügte …“

  1. Indizien für die Kenntnis der fehlenden Genehmigung

„Darüber hinaus belegen die nachgenannten Indizien, dass dem Angeschuldigten positiv bewusst war, dass zum einen keine Genehmigung vorlag, eine solche aber erforderlich war und das Anwesen im Übrigen auch nicht genehmigungsfähig gewesen wäre: …

Zeugin … in Verbindung mit dem von dieser gefertigten Aktenvermerk …: Danach ,durfte der anderweitig verfolgte S. offiziell keine Gäste beherbergen, er hätte damals eine baurechtliche Nutzungsänderung beantragen müssen‘. Allein aus diesem Vermerk geht … hervor, dass bei der Gemeinde bekannt war, dass mehr als acht Personen beherbergt wurden – ansonsten hätte es mangels Sonderbau keiner baurechtlichen Genehmigung bedurft – und auch, dass eine solche nicht vorlag, die durchgeführten Beherbergungen also illegal durchgeführt wurden.

Die Erläuterungen der Zeugin …, die diesen Vermerk gefertigt hat, bestätigen dies: Nach deren Angaben wusste jeder Gemeindeangestellte und insbesondere auch der Bürgermeister, dass im P-hof in größerem Umfang Übernachtungen durchgeführt wurden. Der … Geschäftsleiter der Gemeinde … habe ihr mitgeteilt, dass zwischen dem Bürgermeister und dem … vereinbart worden sei, die Übernachtungen wie bei Kleinvermietern über Meldezettel und nicht (wie eigentlich aufgrund des Umfangs erforderlich) über die Umsatzsteuererklärung abzurechnen, dies deshalb weil der anderweitig verurteilte… keine baurechtliche Genehmigung für eine Beherbergung hatte und aus brandschutz- und denkmalschutzrechtlichen Gründen auch keine bekommen würde. Der nicht genehmigte Beherbergungsbetrieb sollte durch die Gemeinde geduldet werden, sei die Anweisung gewesen. Dies sei der Grund dafür gewesen, dass man den Betrieb des S. für die Abrechnung der Fremdenverkehrsbeiträge gesplittet habe: Der Beherbergungsbetrieb sei wie ein Kleinvermieter über Meldezettel abgerechnet worden und der Sportbetrieb über die Umsatzsteuer.

Der Zeuge …, früherer Kassenbeamter der Gemeinde …, bestätigte ebenfalls, dass bekannt gewesen sei, dass die Brandschutzvorschriften im P-hof nicht eingehalten wurden, dennoch sei dort nie eine Feuerbeschau durchgeführt worden, obwohl dort teilweise 50–60 Personen an einem Wochenende übernachtet hätten. Er habe dies bereits vor dem Jahr 2000 aus Gesprächen des Bürgermeisters mit der Zeugin … mitbekommen. Inhalt dieser Gespräche sei gewesen, dass man beim P-hof auf die Überprüfung der brandschutzrechtlichen Voraussetzungen keine Rücksicht nehmen sollte, da die baulichen Maßnahmen zu umfangreich gewesen wären und man dies Herrn … nicht antun wollte. Daher sei nie jemand von der Gemeinde in das Anwesen hineingegangen, um dies zu überprüfen …

Ob … der Beklagte konkret wusste, dass im Dachgeschoss/Matratzenlager Gäste übernachteten …, kann…im Ergebnis sogar offenbleiben. Denn für die subjektive Vorwerfbarkeit bzw. Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung der fahrlässigen Tötung genügt es, dass der Beklagte wusste, dass in dem Anwesen überhaupt weiterhin Gäste übernachteten, obwohl S. … zugesichert hatte, ,im Haus nur noch Tagesgäste ohne Übernachtungsmöglichkeit‘ zu beherbergen. Diese Kenntnis gestand der Beklagte im Laufe des Disziplinar- und Strafverfahrens mehrfach ein, indem er zugab, gewusst zu haben, dass (jedenfalls) vier Zimmer im ersten Obergeschoss des P-hofs zur Übernachtung genutzt wurden…“

  1. Pflicht zur Durchführung einer Feuerbeschau und zur Information des Landratsamtes über ungenehmigte Bauten

„Der Beklagte hatte als Bürgermeister der Gemeinde … vorliegend eine Garantenstellung inne. Grund dieser Garantenstellung ist die Übernahme amtlicher Pflichten, die dem Bürgermeister zufolge seiner dienstlichen Aufgaben als Amtsträger der Gemeinde obliegen. Die Gemeinde hat als lokale Sicherheitsbehörde Aufgaben aufgrund des allgemeinen Sicherheitsrechts wahrzunehmen … Art. 6 und 7 LStVG legen der Gemeinde allgemein die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und verleihen ihr entsprechende Befugnisse. Die Sicherheitsbehörden haben geeignete Maßnahmen zu treffen, um Gefahren zu unterbinden oder zu beseitigen, und so die öffentliche Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen … Insbesondere sind die Gemeinden verpflichtet, das Landratsamt über unzulässige (Bau-)Arbeiten zu verständigen und vor allem alle ihnen bekannt gewordenen bereits bestehenden ungenehmigten Bauten mitzuteilen. Zudem haben die Gemeinden Überwachungszuständigkeiten in Bezug auf den ihnen übertragenen vorbeugenden Brandschutz, vor allen nach der Verordnung über die Feuerbeschau (FBV). Nach § 2 FBV erstreckt sich die Feuerbeschau auf Gebäude, insbesondere Sonderbauten nach Art. 2 Abs. 4 der Bayerischen Bauordnung (BayBO; z.B. Hochhäuser, Versammlungsstätten für mehr als 200 Personen, Krankenhäuser, Heime und größere Kindergärten, Schulen und Hochschulen, Gaststätten mit mehr als 40 Gastplätzen und Campingplätze), aber auch sonstige Anlagen und Gegenstände, bei denen Brände erhebliche Gefahren für Personen oder außergewöhnliche Sach- oder Umweltschäden zur Folge haben können oder bei denen konkrete Anhaltspunkte auf erhebliche Gefahren hinweisen. Wenn konkrete Anhaltspunkte für gefährliche Zustände vorliegen, ist eine Feuerbeschau (zwingend) durchzuführen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 FBV). Die Überwachungsbedürftigkeit muss also auf besonderen Umständen beruhen (z.B. Bausubstanz, Nutzungsart, auffälliges Verhalten der Nutzer).

Eine Feuerbeschau wird in der Praxis daher neben den … Sonderbauten gemäß Art. 2 Abs. 4 BayBO vor allem bei Fehlverhalten von Nutzern notwendig sein. Die Überwachungsbedürftigkeit kann somit, soweit konkrete Anhaltspunkte für erhebliche Gefahren bestehen, bei Gebäuden aller Art bestehen …“

  1. Ermessensreduzierung auf Null bezüglich der Durchführung einer Feuerbeschau im konkreten Fall

„Für den Beklagten bestanden jedenfalls ab seiner Kenntnis von weiteren Übernachtungen im P-hof … und damit ab Kenntnis des bewussten Verstoßes des S. gegen seine Zusicherung, im Haus ,nur noch Tagesgäste ohne Übernachtungsmöglichkeit‘ zu beherbergen …, entsprechende konkrete Anhaltspunkte für erhebliche Gefahren. Denn aus dem offensichtlichen Verstoß des S. gegen seine eigene Zusicherung mussten sich für den Beklagten bereits augenscheinliche Zweifel an der Zuverlässigkeit des S. aufdrängen … Nachdem dem Beklagten durch die Baugenehmigungsverfahren und insbesondere das Schreiben des S. … bekannt war, dass ein Beherbergungsbetrieb als Sonderbau nicht genehmigt war und auch die brandschutzrechtlichen Anforderungen nicht erfüllt waren, in dem P-hof aber dennoch Gäste in beträchtlicher Anzahl (zumindest in den vier Zimmern im ersten Obergeschoss) übernachteten, lag hier aufgrund des Alters, der Größe und Beschaffenheit sowie des Zwecks des Gebäudes ein besonderes tatsächliches Gefährdungspotential vor, weshalb das Ermessen der Gemeinde auf Null reduziert war und eine Feuerbeschau hätte durchgeführt werden müssen.“

Entnommen aus der Fundstelle Bayern 3/2023, Rn. 33.

[1] Siehe zu den Regelungen der FBV im Einzelnen FStBay Randnummer 296/1999.

[2] FStBay Randnummer 144/2006.

[3] Bürgermeister