Gesetzgebung

Windräder: Lockerung der 10H-Regel auf Vorranggebieten

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Gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB ist ein Vorhaben, dass der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wind- oder Wasserenergie dient, im Außenbereich zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen und die ausreichende Erschließung gesichert ist. In Bayern wird dies durch Art. 82 Abs.1 BayBO eingeschränkt. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB findet danach auf Vorhaben, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen, nur Anwendung, wenn diese Vorhaben einen Mindestabstand vom 10-Fachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden in Gebieten mit Bebauungsplänen (§ 30 BauGB), innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile (§ 34 BauGB) – sofern in diesen Gebieten Wohngebäude nicht nur ausnahmsweise zulässig sind – und im Geltungsbereich von Satzungen nach § 35 Abs. 6 BauGB einhalten.

Bei modernen Anlagen ergibt dies meist einen einzuhaltenden Mindestabstand von ca. 2.000 m. Mit dem unten vermerkten Gesetz zur Änderung der Bayerischen Bauordnung vom 8.11.2022 hat der Bayerische Gesetzgeber diese sogenannte 10H-Regel gelockert.

Das Gesetz brachte neben der geringfügigen Erhöhung der zulässigen Höhe für die verfahrensfreie Errichtung von Ladesäulen für Elektrofahrzeuge um 0,5 m auf eine Höhe von 2,5 m (Änderung des Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 Buchst. b BayBO) folgende Änderungen für Windenergieanlagen:

1. Festlegung von Vorranggebieten, in denen die 10H-Regelung des Art. 82 Abs. 1, 2 BayBO keine Anwendung findet; Art. 82 Abs. 5 BayBO

Die 10H-Regelung des Art. 82 Abs. 1, 2 BayBO findet keine Anwendung auf Windenergieanlagen, die in den in Art. 82 Abs. 5 Nrn. 1 bis 6 genannten Vorranggebieten errichtet werden sollen. Im Einzelnen:

  1. Windenergieanlagen, die in Vorrang- und Vorbehaltsgebieten für Windkraft im Sinn des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 des Bayerischen Landesplanungsgesetzes oder auf Sonderbauflächen oder in Sondergebieten für Windkraft, die durch Flächennutzungsplan festgesetzt sind, errichtet werden.

Diese Regelung zielt laut Gesetzesbegründung auf Standorte ab, bei denen die privaten und öffentlichen Belange im Rahmen der Ausweisung von Vorrangoder Vorbehaltsgebieten oder von Sonderbauflächen und Sondergebieten in Flächennutzungsplänen auf Ebene der Regional- oder Bauleitplanung abgewogen wurden. Die grundsätzlichen Regelungsziele des Mindestabstands (Schutz des Landschaftsbildes und Akzeptanz in der Bevölkerung) werden hier dadurch erreicht, dass bei der Aufstellung dieser Pläne ortsbezogene Konkretisierungen unter Einbindung der Gemeinden getroffen wurden.

  1. Windenergieanlagen, die in einem Abstand von höchstens 2.000 m zu einem Gewerbe- oder Industriegebiet errichtet werden und bei denen der erzeugte Strom überwiegend zur Versorgung der in dem Gewerbe- oder Industriegebiet liegenden Gewerbe- und Industriebetriebe bestimmt ist.

Gemeint sind Flächen, die im Außenbereich an ein festgesetztes oder faktisches Gewerbe- oder Industriegebiet anschließen und dadurch eine gewisse Vorbelastung aufweisen. Mit der Vorgabe einer Bestimmung der Versorgung der in diesen Gebieten gelegenen Gewerbe- und Industriebetriebe mit dem in der Anlage erzeugten Strom soll klargestellt werden, dass eine Durchleitung durch ein öffentliches Netz unschädlich ist. Überwiegend bestimmt bedeutet dabei, dass der erzeugte Strom zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt zu mehr als 50 % für die Eigenversorgung eines oder mehrerer der in dem Gewerbe- oder Industriegebiet liegenden Gewerbe- und Industriebetriebe bestimmt ist.

Es ist zu berücksichtigen, dass im Laufe der Nutzungsdauer einer solchen Anlage besonders bei der Errichtung durch Dritte für diese das Risiko besteht, dass ein Hauptabnehmer oder einzelne Abnehmer im betreffenden Gewerbeoder Industriegebiet ohne Ersatzmöglichkeit wegfallen und damit ein überwiegender Strombezug durch solche nahegelegenen Betriebe nicht gewährleistet ist. Dies berührt aber die Rechtmäßigkeit der erteilten Genehmigung nicht, da es für diese Beurteilung auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ankommt.

Zwar bestünde nach Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des BayVwVfG bzw. § 21 Abs. 1 Nr. 3 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) die Möglichkeit eines Widerrufes; dazu bedarf es jedoch der Gefährdung des öffentlichen Interesses. Eine solche Gefährdung liegt aber nicht vor, wenn eine überwiegende Abnahme des erzeugten Stroms nach Errichtung der Anlage nicht mehr gewährleistet werden kann. In einem solchen Fall kann die Anlage weiter genutzt und der erzeugte Strom auch anderweitig vermarktet werden.

  1. Windenergieanlagen, die längs von Haupteisenbahnstrecken im Sinn des § 47b Nr. 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), Bundesautobahnen oder vier- oder mehrstreifigen Bundesstraßen in einer Entfernung von bis zu 500 m errichtet werden; die in § 9 des Bundesfernstraßengesetzes geregelten Anbauverbots- und Anbaubeschränkungszonen, sich aus anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergebende gesetzliche Mindestabstände sowie im Einzelfall darüber hinaus erforderliche Sicherheitsabstände sind hinzuzurechnen.

Da es bei Bundesautobahnen und Bundesstraßen straßenrechtliche Restriktionen für die Errichtung von baulichen Anlagen gibt (beispielsweise die Anbauverbotsund Anbaubeschränkungszonen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 FStrG), wurde im 2. Halbsatz klargestellt, dass der über die Neuregelung privilegierte Korridor rechnerisch erst jenseits dieser Beschränkungen gilt. Gleiches gilt beispielsweise auch für die Regelung des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Eisenbahn- und Seilbahngesetzes.

Die im Einzelfall im Genehmigungsverfahren festgelegten erforderlichen Sicherheitsabstände (z. B. zur Verhinderung von Eiswurfgefahren) zur Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenund Schienenverkehrs sind ungehindert gesetzlicher Abstandsregelungen hinzuzurechnen. Dazu zählen auch Vorgaben zur Freihaltung von Flächen, die nicht durch den Rotor überstrichen werden dürfen. Der Korridor schließt sich damit an die gesetzlich und/oder im Einzelfall erforderlich einzuhaltenden Abstände an. Maßgeblich ist der größte gesetzliche Mindestabstand samt eines etwaigen im Einzelfall notwendigen zusätzlichen Sicherheitsabstands. Sofern sich Mindestabstände (teilweise) überlappen, findet keine Addition statt.

  1. Windenergieanlagen, die die Voraussetzungen des § 16b Abs. 1 und 2 BImSchG in der am 31.8.2021 geltenden Fassung erfüllen.

Hiermit wurden Standorte von der bisherigen 10H-Regelung ausgenommen, auf denen eine bereits errichtete Windkraftanlage modernisiert („repowert“) wird. Der neue Art. 82 Abs. 5 Nr. 4 BayBO nimmt statisch auf die Begriffsbestimmung in § 16b Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BImSchG Bezug. „Repowering“ umfasst demzufolge als „Modernisierung“ „… den vollständigen oder teilweisen Austausch von Anlagen oder Betriebssystemen und -geräten zum Austausch von Kapazität oder zur Steigerung der Effizienz oder der Kapazität der Anlage …“.

Bei einem vollständigen Austausch der Anlage gelten die beiden zusätzlichen Anforderungen in § 16b Abs. 2 Satz 2 BImSchG (die neue Anlage wird innerhalb von 24 Monaten nach dem Rückbau der Bestandsanlage errichtet und der Abstand zwischen der Bestandsanlage und der neuen Anlage beträgt höchstens das Zweifache der Gesamthöhe der neuen Anlage).

  1. Windenergieanlagen, die auf militärischem Übungsgelände errichtet werden

Dies zielt auf Flächen ab, die als militärisches Übungsgelände bereits eine Vorbelastung des Landschaftsbilds und der Lärmsituation aufweisen.

  1. Windenergieanlagen, die im Wald im Sinn des Art. 2 Abs. 1 und 2 des Bayerischen Waldgesetzes (BayWaldG) errichtet werden, wenn von der Mitte des Mastfußes zum Waldrand mindestens ein Abstand in Höhe des Radius des Rotors eingehalten wird; Voraussetzung ist, dass der Wald bereits am 16.11.2022 bestanden hat.

Dafür, dass der Wald bei Inkrafttreten der Regelung bereits bestanden hat, trägt der Vorhabenträger die Feststellungslast. Der Mindestabstand des Mastfußes zum Waldrand in Höhe des Radius des Rotors ist in jede Richtung einzuhalten. Ohne diese Einschränkung wäre die Errichtung der Windenergieanlage auch unmittelbar am Waldrand möglich, womit gerade keine Abmilderung der bedrängenden Wirkung stattfinden würde. Waldränder in diesem Sinne können aber nur Flächen ausbilden, die mit Bäumen bestockt sind; nicht dagegen Flächen, die nach Art. 2 Abs. 2 BayWaldG dem Wald gleichgestellt sind.

Im Ergebnis können damit Windenergieanlagen zwar auf Flächen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 BayWaldG errichtet werden, aber nur unter der Voraussetzung, dass diese Flächen von Waldbäumen umschlossen sind. Der Vorhabenträger hat in geeigneter Weise sicherzustellen und gegenüber der Genehmigungsbehörde darzulegen, dass während der Dauer der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung der Windenergieanlage die Waldfläche mindestens in einem Umfang des Radius des Rotors um den Mastfuß nicht gerodet wird, mit Ausnahme der zwingend für den Betrieb erforderlich dauerhaft freizuhaltenden Flächen, wie z. B. Zuwegung.

[…]

Gesetz zur Änderung der Bayerischen Bauordnung vom 8.11.2022 (GVBl S. 650)

 

Den kompletten Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Bayern 7/2023, Rn. 75.