Gesetzgebung

Bindefrist ist auch bei Großstadt mit komplexen Zuständigkeiten ohne besondere Begründung unzulässig

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Das stellte die Vergabekammer Südbayern (VK) in ihrem unten vermerkten Beschluss vom 5.8.2022 fest. Ihm sind folgende Erwägungen zu entnehmen:

1. Rechtliche Vorgaben für die Bestimmung der Bindefrist

„Gemäß § 10a EU Abs. 8 Satz 1 VOB/A bestimmt der öffentliche Auftraggeber eine angemessene Frist, innerhalb der die Bieter an ihre Angebote gebunden sind (Bindefrist). Die Bestimmung der Bindefrist liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Auftraggebers (Ziekow/Völlink, 4. Aufl. 2020, VOB/A-EU § 10a EU Rn. 19; Pünder/Schellenberg/Franzius, Vergaberecht, 3. Auf. 2019, VOB/A § 10a EU Rn. 12).

Die Entscheidung des Auftraggebers kann somit insbesondere daraufhin überprüft werden, dass der Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt wurde, Verfahrensgrundsätze eingehalten wurden, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind, die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte angemessen und vertretbar gewichtet wurden und der gesetzliche bzw. ein selbst von der Vergabestelle vorgegebener Rahmen bzw. Maßstab beachtet wurde (vgl. OLG München, Beschluss vom 9.3.2018 – Verg 10/17).

Sein Ermessen hat der öffentliche Auftraggeber gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 2 VOB/A danach auszurichten, dass die Bindefrist so kurz wie möglich sein und nicht länger bemessen werden soll, als der öffentliche Auftraggeber für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote gem. §§ 16 EU bis 16d EU benötigt (vgl. MüKoEuWettbR/Sperber, 4. Aufl. 2022, VOB/A § 10 Rn. 21). Gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 3 VOB/A beträgt die Bindefrist regelmäßig 60 Kalendertage, d.h. es wird (widerleglich) vermutet, dass der öffentliche Auftraggeber bei EU-weiten Verfahren diesen Zeitraum für eine zügige Prüfung und Wertung der Angebote benötigt. Gem. § 10a EU Abs. 8 Satz 4 VOB/A kann der öffentliche Auftraggeber in begründeten Fällen eine längere Frist festlegen. Sein Ermessen bleibt jedoch auch in diesem Fall an die Vorgabe des § 10a EU Abs. 8 Satz 2 VOB/A gebunden (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.1991 – VII ZR 203/90).[1]

Was taugliche Gründe für eine längere Bindefrist als die Regelfrist sind, lässt sich § 10a EU Abs. 8 VOB/A nicht entnehmen. Es wird vertreten, dass absehbare Verzögerungen bei der Prüfung und Wertung, die im Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegen, zu dessen Lasten gehen und es nicht rechtfertigen, die Frist von vornherein länger zu veranschlagen (MüKoEuWettbR/Sperber, 4. Aufl. 2022, VOB/A § 10 Rn. 21). Demgegenüber hat die Rechtsprechung die besonderen Bedingungen der internen Willensbildung einer Gemeinde als mögliche Rechtfertigung für eine längere Bindefrist anerkannt (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.1991 – VII ZR 203/90).

Dies bedeutet jedoch nicht, dass kommunale Auftraggeber wegen ihrer organisatorischen Bedingungen die Regelfrist ohne weiteres überschreiten dürften (OLG Düsseldorf, Urteil vom 9.7.1999 – 12 U 91/98).[2] Auch insoweit bedarf es jeweils einer auf die Umstände des Einzelfalls gerichteten Betrachtung (vgl. Kapellmann/Messerschmidt/Planker, 7. Aufl. 2020, VOB/A § 10 Rn. 22; MüKoEu-WettbR/Sperber, 4. Aufl. 2022, VOB/A § 10 Rn. 21).

Hierbei ist zugunsten der Bieter zu berücksichtigen, dass diese während der Bindefrist in ihren geschäftlichen Entschlüssen und Dispositionen, insbesondere hinsichtlich der Bewerbung um andere Aufträge und der Finanzierung weiterer Aufträge, erheblich eingeschränkt sind (vgl. VK Schleswig-Holstein, Beschluss vom 14.3.2012 – VK-SH 03/12).“

[…]

Vergabekammer Südbayern, Beschluss vom 5.8.2022 – 3194.Z3-3_01-22-29

 

Den kompletten Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Bayern 7/2023, Rn. 81.

[1] FStBay Randnummer 234/1992

[2] FStBay Randnummer 305/2000