Rechtsprechung Bayern

Strafbarkeit eines Polizeibeamten, der Verwarnungsgelder nicht abliefert

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Ist ein Polizeivollzugsbeamter damit betraut, Verkehrsverstöße mittels Erteilung gebührenpflichtiger Verwarnungen zu ahnden, kann die Nichtablieferung und Verwendung eingenommener Verwarnungsgelder zu eigenen Zwecken den Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllen.

Sachverhalt

Das Amtsgericht hat den Angeklagten der Untreue in 26 Fällen schuldig gesprochen und gegen ihn deswegen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat es die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 13.175 € angeordnet. Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben. Es hat den Angeklagten der veruntreuenden Unterschlagung in 26 Fällen schuldig gesprochen, ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat, sowie die Einziehung von Wertersatz für das Erlangte in Höhe von 13.065 € angeordnet. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft.

StGB – § 266 Abs. 1

  1. Ist ein Polizeivollzugsbeamter damit betraut, Verkehrsverstöße mittels Erteilung gebührenpflichtiger Verwarnungen zu ahnden, kann die Nichtablieferung und Verwendung eingenommener Verwarnungsgelder zu eigenen Zwecken den Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB erfüllen.
  2. Die Pflicht, über eingenommene Verwarnungsgelder abzurechnen und diese abzuliefern, begründet eine besonders qualifizierte Pflichtenstellung gegenüber dem Dienstherrn. Diese gehört zum Kernbereich der dem Beamten obliegenden Dienstpflichten.
  3. Die Verwirklichung des Treubruchstatbestandes des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB erfordert darüber hinaus, dass dem Täter Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbständigkeit verbleibt. Das ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Einhaltung bestehender dienstlicher Weisungen betreffend Aufbewahrung und Abführung der eingenommenen Verwarnungsgelder nicht kontrolliert wird, denn dies verschafft dem Polizeibeamten die faktische Möglichkeit, auf die ihm anvertrauten Fremdgelder zuzugreifen.

Bayerisches Oberstes Landesgericht (Urt. v. 28.09.2022 – 206 StRR 157/22 – Verlags-Archiv Nr. 2023-05-08)

Aus den Gründen

Das zulässige Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Der festgestellte Sachverhalt, wonach der Angeklagte als Polizeibeamter vereinnahmte Verwarnungsgelder nicht bei seiner Dienststelle abgeliefert, sondern für eigene Zwecke verbraucht hat, ist jedenfalls wegen weiterer besonderer Umstände des Einzelfalls rechtlich als Untreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB zu würdigen. An einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs ist der Senat jedoch gehindert, denn es ist ihm anhand der insoweit lückenhaften Feststellungen nicht möglich, die Anzahl der verwirklichten Einzeltaten abschließend zu bestimmen.

Die rechtliche Würdigung des Landgerichts (LG), der Angeklagte habe in (lediglich) 26 Fällen einen jeweils gesonderten Tatentschluss gefasst und diesen durch Nichtablieferung des vereinnahmten Geldes nach außen manifestiert, wird von den Feststellungen nicht getragen. Nach den Feststellungen des LG war der Angeklagte im Tatzeitraum als Polizeibeamter bei einer Verkehrspolizeiinspektion tätig. Seine Aufgabe bestand in der Kontrolle, Verfolgung und Ahndung von Verkehrsverstößen. Als solcher war er zur Erteilung von gebührenpflichtigen Verwarnungen ermächtigt. Dazu wurden ihm von der Verkehrspolizeiinspektion sogenannte „Barverwarnungsblöcke“ ausgehändigt. Werden diese verwendet, zahlt der betroffene Verkehrsteilnehmer ein Verwarnungsgeld in Höhe von 5 bis 55 € in bar an den Polizeibeamten und erhält dafür eine handschriftliche Quittung, die aus dem Barverwarnungsblock herausgetrennt wird. Ein Block umfasst 25 Quittungen. Ein Abschnitt mit dem jeweils berechneten Verwarnungsgeld verbleibt im Barverwarnungsblock, zudem wird in einer Übersichtsliste das jeweilige Barverwarnungsgeld eingetragen.

Nach Vereinnahmung von 250,00 €, jedenfalls aber einmal im Monat und spätestens mit der Ausgabe eines neuen Blocks war nach den dienstlichen Vorschriften der alte Block an den dafür zuständigen Kassenwart der Verkehrspolizeiinspektion zurückzugeben und musste das vereinnahmte Geld abgerechnet und abgeliefert werden. Jedenfalls die Einhaltung der beiden erstgenannten Abrechnungsverpflichtungen wurde auf der Dienststelle nicht kontrolliert. Ob die vorbezeichnete Verpflichtung, vor Ausgabe eines neuen Blocks jeweils über den verbrauchten Block abzurechnen, kontrolliert wurde, ist vom LG nicht ausdrücklich festgestellt. In der Zeit vom 18.05.2015 bis 11.01.2018 vereinnahmte der Angeklagte unter Verwendung 26 verschiedener Barverwarnungsblöcke in 587 Einzelfällen Verwarnungsgelder in Höhe von insgesamt 13.065 €, die er nicht an den Kassenwart seiner Dienststelle weiterleitete, obwohl er von seiner diesbezüglichen Verpflichtung wusste, sondern behielt das Geld für sich.

Das LG hat das Einbehalten der Verwarnungsgelder als 26 Fälle der veruntreuenden Unterschlagung gewertet. Da die Vorschrift, einmal monatlich oder aber dann abzurechnen, wenn die Einnahmen aus den Barverwarnungen 250 € überschritten hätten, in der Verkehrspolizeiinspektion nicht eingehalten und vom zuständigen Beamten nicht kontrolliert worden sei, habe sich die Unterschlagung des Angeklagten jedenfalls mit der jeweiligen Anforderung eines neuen Blocks ohne Rückgabe und Abrechnung des alten Blocks objektiviert.

Der Annahme von Untreue stehe entgegen, dass jedenfalls nach der neueren Rechtsprechung hierfür Voraussetzung sei, dass der Täter innerhalb eines nicht unbedeutenden Pflichtenkreises zur fremdnützigen Vermögenssorge verpflichtet sei; außerdem dürfe die übertragene Tätigkeit nicht durch ins Einzelne gehende Weisungen vorgezeichnet sein, sondern ihm müsse Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbstständigkeit belassen sein. Maßgeblich sei, ob die fremdnützige Vermögensfürsorge den Hauptgegenstand der Rechtsbeziehung bilde und ob dem Verpflichteten bei deren Wahrnehmung ein gewisser Spielraum verbleibe. Dem Angeklagten habe weder eine herausgehobene Pflicht zur Wahrnehmung von polizeilichen/staatlichen Vermögensinteressen oblegen, noch habe er seine Pflichten mit einer gewissen Selbstständigkeit wahrnehmen können. Denn er sei zwar hinsichtlich der Frage des Ob einer Verwarnung selbstständig gewesen, jedoch habe es hinsichtlich der Frage, wie mit dem eingenommenen Verwarnungsgeld zu verfahren sei, klare Anweisungen gegeben. Insoweit habe jede Möglichkeit einer eigenen Entscheidung des Angeklagten gefehlt.

Diese Erwägungen des LG erweisen sich im Ergebnis als rechtsfehlerhaft. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass dem Angeklagten kraft behördlichen Auftrags die Pflicht oblag, staatliche Vermögensinteressen wahrzunehmen. Ferner verblieb ihm jedenfalls infolge des weitgehenden Fehlens von Kontrollen in seiner Polizeidienststelle bezüglich der Abrechnung und Ablieferung der Verwarnungsgelder Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbstständigkeit mit der Folge, dass er ohne gleichzeitige Steuerung und Überwachung durch seinen Dienstherrn auf dessen Vermögen zugreifen konnte. Auf dieser Grundlage stellen sich die Taten des Angeklagten rechtlich als Untreue (in mindestens 26 Fällen) dar, hinter die die veruntreuende Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 2 StGB, auf die das LG erkannt hat, jedenfalls zurücktritt.

Voraussetzung des hier einzig in Betracht kommenden Treubruchstatbestands gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB ist das Bestehen einer Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. Der tatsächlichen Einwirkungsmacht auf fremdes Vermögen muss ein besonders schützenswertes Vertrauen in die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen zugrunde liegen. Wie das LG im Ausgangspunkt noch zutreffend erkannt hat, sind wegen der Weite des Tatbestandes die durch § 266 Abs. 1 StGB strafrechtlich geschützten Treueverhältnisse auf die Fälle zu beschränken, in denen für den Betreuenden eine besonders qualifizierte Pflichtenstellung in Bezug auf das fremde Vermögen begründet wird. Erforderlich ist, dass sich die Vermögensfürsorge als Hauptpflicht, also als zumindest mitbestimmende und nicht nur beiläufige Verpflichtung darstellt. Sie darf nicht nur untergeordnete Bedeutung haben, sondern muss typischer und wesentlicher Inhalt des Treueverhältnisses sein. Sie hat sowohl über allgemeine vertragliche und Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten als auch über allein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeiten weit hinauszugehen.

Es muss hinzukommen, dass dem Täter die ihm übertragene Tätigkeit nicht durch ins Einzelne gehende Weisungen vorgezeichnet ist, sondern ihm Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbstständigkeit belassen wird. Diesbezüglich ist, was das LG verkannt hat, jedoch nicht nur auf die Weite des dem Täter eingeräumten Spielraums abzustellen, sondern es kommt auch auf das Fehlen von Kontrollen an, also auf seine tatsächlichen Möglichkeiten, ohne eine gleichzeitige Steuerung und Überwachung durch den Treugeber auf dessen Vermögen zuzugreifen. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe stellt sich das festgestellte Handeln des Angeklagten als Untreue gemäß § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB dar.

Durch den Zugriff auf die ihm dienstlich anvertrauten Gelder hat der Angeklagte, wie die Revision zutreffend ausführt, nicht nur seine allgemeine Treuepflicht als Beamter gegenüber seinem Dienstherrn und, anders als das LG meint, nicht nur eine beamtenrechtliche Nebenpflicht verletzt. Er hat vielmehr im Kernbereich der ihm obliegenden Dienstpflichten als Polizeivollzugsbeamter gehandelt. Mit dem Kernbereich ist derjenige Pflichtenkreis des Beamten angesprochen, der im Mittelpunkt seines konkreten Amts im funktionellen Sinne (Dienstposten) steht. Zu den Kernpflichten eines mit der Einnahme und Behandlung von Verwarnungsgeldern betrauten Polizeibeamten gehört, dass dieser die ihm dienstlich anvertrauten Gelder ordnungsgemäß verwaltet und abrechnet. Der Dienstherr ist auf die absolute Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit eines solchen Beamten beim Umgang mit den ihm anvertrauten Geldern angewiesen.

Die Revision beanstandet ferner zu Recht die Würdigung des Berufungsgerichts, dass es dem Angeklagten bei der Wahrnehmung der Vermögensinteressen hinsichtlich der Aufbewahrung und der Abführung des vereinnahmten Geldes an der für den Tatbestand erforderlichen Selbstständigkeit gefehlt habe, er stattdessen durch strikte Weisungen ohne jeglichen verbleibenden Spielraum für selbstständig und eigenverantwortliche Entscheidungen gebunden gewesen sei. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Rechtsprechung, dass sich ein Verkehrspolizeibeamter, der ein Verwarnungsgeld in der Absicht kassiert, es für sich zu behalten, in jedem Fall der Untreue strafbar macht, in dieser Allgemeinheit zu folgen ist. Denn jedenfalls nach den festgestellten Besonderheiten des konkreten Falls verfügte der Angeklagten für den Umgang mit den eingenommenen Geldern in tatsächlicher Hinsicht über einen weiten Spielraum.

Nach den insoweit ausdrücklichen Feststellungen des LG wurde die Einhaltung dieser Verpflichtung indessen nicht kontrolliert. Ob die ebenfalls bestehende Verpflichtung, vor Ausgabe eines neuen Blocks jeweils über den verbrauchten Block abzurechnen, auf der Dienststelle kontrolliert wurde, ist den Feststellungen zwar nicht ausdrücklich zu entnehmen. Es ergibt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass auch diese dienstliche Vorgabe nicht lückenlos eingehalten wurde.

Nach der Einlassung des Angeklagten haben im Tatzeitraum keine derartigen Kontrollen stattgefunden; nach der vom Gericht als glaubwürdig behandelten Aussagen der Zeugin D. hat es Kontrollen, ob Vorschriften eingehalten wurden, „wohl“ nicht gegeben. Jedenfalls aus dem Umstand, dass es dem Angeklagten gelingen konnte, über mehrere Jahre hinweg, im Zeitraum von Mai 2015 bis Januar 2018, mindestens 26 Verwarnungsblöcke zu erhalten, ohne über diese jemals abrechnen zu müssen, lässt sich aber ersehen, dass es auch insoweit an stringenten Kontrollen mangelte.

Im Hinblick auf diese besonderen Gegebenheiten kommt dem Umstand, dass der Angeklagte aufgrund bestehender dienstlicher Verpflichtung nicht so handeln durfte wie geschehen, gegenüber seinen tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten im Rahmen des Tatbestands des § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Es war ihm über Jahre möglich, ohne gleichzeitige Steuerung und Überwachung mit den Geldern nach eigenem Ermessen zu verfahren. Es fehlte in einem solchen Maße an dienstlichen Kontrollen bezüglich der Höhe und des Verbleibs der Verwarnungsgelder, dass er im Ergebnis das ihm anvertraute Fremdvermögen faktisch selbstständig verwaltete und darauf nach seinem Belieben zugreifen konnte. Mit dessen Verwendung zu eigenen Zwecken hat er gleichzeitig dem staatlichen Vermögen Nachteil in der jeweiligen Höhe zugefügt, mithin den Treubruchtatbestand des § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB in objektiver Hinsicht verwirklicht. An einem entsprechenden Tatvorsatz besteht nach den Feststellungen ebenfalls kein Zweifel.

Anmerkung

Der Fall zeigt deutlich, dass auch Polizeibeamte beim eigenverantwortlichen Umgang mit Bargeld der aufsichtlichen Kontrolle bedürfen. Andernfalls handelt der Dienstherr fahrlässig – ein Verhalten, das das Vertrauen in die Polizei nachhaltig untergräbt.

 

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv, 5/2023, Lz. 340.