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Bebauungsplanvorkaufsrecht: Abgrenzung von Kaufvertrag und gemischter Schenkung

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Das Verwaltungsgericht Augsburg (VG) hat mit den unten vermerkten, im Wesentlichen inhaltsgleichen Urteilen vom 18.05.2022 über die Klagen der Vertragsparteien eines Grundstücksgeschäfts gegen die Ausübung des Bebauungsplanvorkaufsrechts (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) durch die beklagte Gemeinde entschieden. Die Kläger hatten unter anderem geltend gemacht, sie hätten keinen den Vorkaufsfall auslösenden Kaufvertrag abgeschlossen, sondern einen typengemischten Vertrag mit Kauf- und Schenkungselementen.

Das VG ist den Einwänden nicht gefolgt und hat die Klagen abgewiesen. Der B a y e r i s c h e Ve r w a l t u n g s g e r i c h t s h o f (VGH) hat mit den ebenfalls unten vermerkten Beschlüssen vom 20.01.2023 die Anträge auf Zulassung der Berufung abgelehnt. Den Entscheidungen entnehmen wir:

  1. Kaufvertrag als Voraussetzung für die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts

Zur materiell-rechtlichen Ausgangslage erläutert das VG: „Das Vorkaufsrecht entsteht bei dem Kauf eines Grundstücks. Erforderlich ist demzufolge ein Kaufvertrag, der von dem Verkäufer mit dem Käufer über das Grundstück abgeschlossen wird (§ 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB i.V.m § 463 BGB, sog. Verkaufsfall; …).

Bei der Schenkung entsteht kein Vorkaufsrecht (BGH, Beschluss vom 24.11.1978 – V ZB 14/78 – juris Rn. 11). Das gilt auch für eine gemischte Schenkung, bei der das Grundstück schenkungshalber zu einem wesentlich unter dem erzielbaren Verkehrswert liegenden Entgelt übertragen wird, die Vertragsparteien das objektive Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung kennen und sich darüber einig sind, dass ein Teil der Leistung nicht durch die Gegenleistung abgegolten, sondern unentgeltlich zugewendet werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 25.9.1986 – II ZR 272/85 – juris Rn. 20; NdsOVG, Beschluss vom 14.1.2013 – 4 LA 173/12 – juris Rn. 5).

Dabei rechtfertigt aber nicht schon die Feststellung eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung die Annahme, die Parteien hätten sich über die teilweise Unentgeltlichkeit des Geschäfts schlüssig geeinigt. Denn zum einen können die Vertragsparteien den Wert der auszutauschenden Leistungen im Rahmen der Vertragsfreiheit selbst bestimmen. Zum anderen können subjektive Wertvorstellungen weit auseinandergehen und entfernen sich nicht selten von den objektiven Werten. Gleichwohl ist demjenigen, der sich auf das Vorliegen einer gemischten Schenkung beruft, eine Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung zuzubilligen, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Missverhältnis besteht (BGH, Urteil vom 25.9.1986 – II ZR 272/85 – juris Rn. 20; NdsOVG, Beschluss vom 14.1.2013 – 4 LA 173/12 – juris Rn. 5 m.w.N.).“

  1. Nichtvorliegen einer gemischten Schenkung

In Anwendung auf den Vertrag im konkreten Fall kann das VG weder aus den vertraglichen Bestimmungen noch aus außerhalb der Vertragsurkunde liegenden Umständen belastbare Anhaltspunkte für eine gemischte Schenkung entnehmen:

„Von Bedeutung für die Abgrenzung [sind] zunächst die Bezeichnung des Vertrags und die Vertragsabreden, wobei der notarielle Vertrag die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich hat (vgl. HessVGH, Beschluss vom 20.6.2003 – UE 371/03 – juris Rn. 25; OLG Koblenz, Urteil vom 23.1.2013 – 5 U 789/12 – juris Rn. 16). Vorliegend wird der besagte Vertrag als ,Kaufvertrag‘ tituliert; die Vertragsparteien werden als ,der Verkäufer‘ und ,der Käufer‘ bezeichnet. Als Gegenleistung für den Eigentumsübergang vereinbarten die Vertragsparteien einen ,Kaufpreis‘ in Höhe von ,350.000,- EUR (für) das Grundstück …‘.

Anhaltspunkte für eine (gemischte) Schenkung sind dem Vertrag folglich nicht zu entnehmen.“ Der VGH führt hierzu vertiefend aus: „Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei dem notariell beurkundeten Vertrag … entgegen seiner Bezeichnung und seinem eindeutigen Wortlaut nicht um einen Kaufvertrag, sondern um eine gemischte Schenkung gehandelt hat.

Der anwaltlich vertretene Kläger hat im Verfahren zur Ausübung des Vorkaufsrechts … lediglich von einem Kaufvertrag gesprochen. Eine Gebotenheit, eine Angemessenheit und die Erforderlichkeit sei – so der Schriftsatz – bezüglich des Kaufgegenstandes nicht dargelegt worden.

Auch das Schreiben des Klägerbevollmächtigten … an die Beklagte spricht lediglich von einem Kaufvertrag. Hinweise auf eine gemischte Schenkung fehlen völlig. Diese Erklärungen des anwaltlich vertretenen Klägers bieten keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass zwischen den Vertragsparteien Einigkeit darüber bestanden hat, dass das Grundstück teilweise unentgeltlich vom Kläger übertragen werden sollte.“

Weiter betont das VG: „Darüber hinaus lässt sich auch kein objektives Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bestimmen. Insofern ist festzuhalten, dass auf Anfrage des Gerichts die Beklagte … ausführlich dargelegt und belegt hat, weshalb sie von einem angemessenen Grundstückpreis beim protokollierten Kaufpreis von rund 123 EUR/m² ausgeht.

Diese Angaben sind für die Kammer schlüssig und plausibel. Ihnen ist die Klagepartei nicht bzw. nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten; die wenig konkreten und nicht belegten Aussagen der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung genügen jedenfalls nicht, um den Beklagtenvortrag ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Aber selbst wenn man der Auffassung des Klägers folgte und einen Verkehrswert von 480.000 EUR – wie erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptet – oder sogar von 650.000 EUR bis 700.000 EUR annähme, so ist vorliegend der Verkauf des Grundstücks nicht als gemischte Schenkung, sondern als den Vorkaufsfall auslösender Kaufvertrag anzusehen, weil das Grundstück laut Notarvertrag mit einer Grundschuld von 365.000 EUR belastet ist …; nach Vortrag des Klägerbevollmächtigten dürfte zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses das Darlehen noch mit einem Betrag in einer Größenordnung von etwa 313.350 EUR valutiert haben.

Nach § 5 des notariellen Kaufvertrags bleiben die Belastungen bestehen und werden dinglich vom Käufer, hier der Beklagten, übernommen, auch wenn die persönliche Haftung des Verkäufers gegenüber dem Gläubiger (Kreditgeber) weiter bestehen bleibt. Die Grundschuld ist demzufolge, wie die Klagepartei … selbst einräumt, eine Belastung von erheblichem wirtschaftlichen Wert und bei der Ermittlung des (Miss-)Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung mit zu berücksichtigen (zur Berücksichtigung weiterer Vertragsleistungen vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 23.1.2013 – 5 U 789/12 – juris Rn. 16).

Bei einem unterstellten Verkehrswert von 480.000 EUR erscheint ohnehin die Annahme eines objektiven, über ein nur geringes Maß hinausgehenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung fraglich. Schließlich rechtfertigt auch der Umstand, dass der Kläger das Grundstück an eine von ihm – mittelbar – gebildete Gesellschaft veräußert, kein anderes Ergebnis, denn auf das ,Verwandtenprivileg‘ nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 BauGB kann er sich deswegen nicht berufen (vgl. Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 26 Rn. 2 m.w.N.).“

  1. Ausübung des Vorkaufsrechts zum Wohl der Allgemeinheit

Zu dieser weiteren Voraussetzung für die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB führt das VG aus: „Im Unterschied zur Enteignung, bei der der Zugriff auf ein Grundstück nur erlaubt ist, wenn das Wohl der Allgemeinheit sie erfordert (vgl. § 87 Abs. 1 BauGB), genügt bei der Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 BauGB bereits die Rechtfertigung durch Gründe des Allgemeinwohls. Die abweichenden Regelungen beruhen auf der unterschiedlichen Intensität des Eingriffs in zivile Rechtspositionen.

Im Falle des Vorkaufsrechts erleidet der Verkäufer keinen zwangsweisen Zugriff auf sein Eigentum, vielmehr ist er ja zu dessen Abgabe freiwillig bereit. Allerdings muss er sich gegebenenfalls als Kaufpreis auf den Verkehrswert des Grundstücks verweisen lassen (vgl. § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB). Für den Käufer äußert sich die privatrechtsgestaltende Wirkung der Vorkaufsrechtsausübung darin, dass sein Anspruch auf Übereignung des Grundstücks nicht mehr erfüllt werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.2.2000[1] – 4 B 10.00 – juris Rn. 5; BayVGH, Beschluss vom 24.4.2020 – 15 ZB 19.1987 – juris Rn. 17; Beschluss vom 3.4.2018 – 15 ZB 17.318 – juris Rn. 13).

Die Bejahung der Allgemeinwohlrechtfertigung verlangt eine Interessenabwägung, bei der das gesetzlich anerkannte Erwerbsmotiv der Gemeinde ein solches Gewicht haben muss, dass dahinter das entgegenstehende Interesse der Vertragsparteien an freier Disposition zurückzutreten hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.2.1990 – 4 B 245.89 – juris Rn. 3 und 9; OVG RhPf, Urteil vom 18.5.1989 – 1 A 30/87 – juris).

In den Fällen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB erfüllt die Ausübung des Vorkaufsrechts regelmäßig schon dann dieses Erfordernis, wenn die Gemeinde das Eigentum am Grundstück erstrebt, um dort den in einem rechtsverbindlichen Bebauungsplan festgesetzten Gemeinbedarfszweck zu erfüllen bzw. um die Verwirklichung der im Bebauungsplan der Beklagten festgelegten Planungsvorstellungen zu erleichtern oder zu ermöglichen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 3.4.2018 – 15 ZB 17.318 – juris Rn. 13; NdsOVG, Beschluss vom 27.5.2008[2] – 1 ME 77/08 – juris Rn. 5).

Gemessen daran ist die Ausübung des Vorkaufsrechts im vorliegenden Fall durch dasWohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Das Vorkaufsrecht steht der Beklagten auf der Grundlage des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beim Kauf von Grundstücken im Geltungsbereich eines Bebauungsplans zu, soweit es sich um Flächen handelt, für die nach dem Bebauungsplan eine Nutzung für öffentliche Zwecke festgesetzt ist. Zu den Flächen mit öffentlicher Zweckbestimmung gehören u.a. auch Flächen für Gemeinbedarf i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB …Die Beklagte hat die Ausübung des Vorkaufsrechts und damit das Wohl der Allgemeinheit damit begründet, dass sie auf der vom Vorkaufsrecht betroffenen Fläche entsprechend dem Bebauungsplan eine Seniorenwohnanlage errichten möchte.

Es bestehen angesichts des insofern substantiierten und nachvollziehbaren Vortrags der Beklagten keine Anhaltspunkte dafür, dass sie in Wahrheit keine Seniorenwohnanlage schaffen wolle und einen Gemeinwohlzweck lediglich vorspiegelt, tatsächlich das Grundstück aber aus reinem Gewinnstreben erwerben möchte … Dass sich womöglich andere Grundstücke zur Verwirklichung des geplanten Vorhabens auch eignen könnten, steht dem nicht entgegen. Im Übrigen hat die Beklagte dargelegt, weshalb sie zur Umsetzung der Seniorenwohnanlage das streitbefangene Grundstück aufgrund der konkreten Lage für (besonders) geeignet erachtet. Hinzu kommt, dass in dem von der Klagepartei angeführten Bauabschnitt – ungeachtet des konkreten Zuschnitts der Grundstücke – keine Gemeinbedarfsfläche, sondern ein WA festgesetzt ist.“

Zum Einwand der Kläger, im Bebauungsplan sei die Gemeinbedarfsfläche aber als „mögliche Schule“, nicht als die nun angeblich vorgesehene Seniorenanlage ausgewiesen, merkt der VGH ergänzend an:

„Beim Erwerb für öffentliche Zwecke oder für Ausgleichsmaßnahmen ist die Rechtfertigung durch das Wohl der Allgemeinheit regelmäßig gegeben. Bei einer Ausweisung als Gemeinbedarfsfläche (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB) ist dies grundsätzlich der Fall. Der Senat hat keine Zweifel daran, dass sowohl die Errichtung einer Schule als auch einer Seniorenanlage Ü60 durch den Gemeinbedarf gedeckt ist. Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertigt die Vorkaufsrechtsausübung auch dann, wenn auf dem Grundstück eine andere Art von Gemeinbedarfseinrichtung verwirklicht werden soll, als sie derzeit noch im Bebauungsplan festgesetzt ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27.5.2008 – 1 ME 77/08 – juris; Grziwotz in Spannowsky/Uechtritz, BauGB, 4. Auflage 2022, § 24 Rn. 22). Zwar ist in den Festsetzungen bei der Fläche für den Gemeinbedarf ,mögliche Schule‘ genannt. Es mag sein, dass eventuell diese Festsetzung geändert werden muss. Die Festsetzung Gemeinbedarfsfläche gilt jedoch grundsätzlich im Hinblick auf das Vorkaufsrecht fort. Eine eventuell erforderliche Änderung der besonderen Zweckbestimmung der Gemeinbedarfsfläche stellt keine grundlegende Änderung dar, da die Festsetzung Gemeinbedarfsfläche vorhanden ist und erhalten bleiben soll.

Auch wenn noch kein Beschluss zur Änderung des Bebauungsplans gefasst worden sein sollte, können die Absichten der Gemeinde, dort eine Seniorenanlage Ü60 zu errichten, ohne weiteres verwirklicht werden. … Es ist nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht diese Darlegungen der Beklagten, weshalb sie zur Umsetzung der Seniorenwohnanlage das streitbefangene Grundstück aufgrund der konkreten Lage für (besonders) geeignet erachtet, seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Der Kläger ist diesen Ausführungen im Zulassungsverfahren nicht substantiiert entgegengetreten.“

Entnommen aus der Fundstelle Bayern 10/2023, Rn. 111.

[1] FStBay Randnummern 338 und 339/2000.

[2] FStBay Randnummer 86/2009.