Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) befasste sich im unten vermerkten Beschluss vom 7.11.2022 mit der Klage gegen die Einstellung eines Gaststättenbetriebs. In seinem Antrag auf Zulassung der Berufung argumentierte der Kläger, dass das Strafurteil bei der Entscheidung über die gaststättenrechtliche Zuverlässigkeit nicht habe berücksichtigt werden dürfen.
Folgender Sachverhalt lag zu Grunde:
Mit Bescheid vom 12.6.2019 widerrief die Beklagte die dem Kläger mit Bescheid vom 26.5.2014 erteilte Erlaubnis zum Betrieb einer Gaststätte in M gemäß § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG. Die Einstellung des Gaststättenbetriebs wurde verfügt; dem Kläger wurde eine Abwicklungsfrist von zwei Wochen ab Bestandskraft des Bescheids eingeräumt. Der Kläger sei unzuverlässig i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG. Er sei mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts 2017 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden sei, verurteilt worden. Die gegen den Bescheid gerichtete Klage des Gastwirts zum Verwaltungsgericht (VG) blieb im Wesentlichen erfolglos. In seinem Antrag auf Zulassung der Berufung trug der Kläger u.a. vor, dass das Strafurteil des Amtsgerichts, besonders der Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung, bei der Entscheidung über die gaststättenrechtliche Zuverlässigkeit nicht habe berücksichtigt werden dürfen, weil das Strafgericht den Sachverhalt (einschließlich der Schadenshöhe) nicht nach den Vorschriften der StPO festgestellt habe; das Urteil habe daher so nicht ergehen dürfen. Das VG habe jedoch maßgeblich auf die Feststellungen des Strafgerichts abgestellt. Der VGH ließ die Berufung des Klägers nicht zu und führt Folgendes aus:
1. Keine Prüfpflicht der Gewerbebehörden und Verwaltungsgerichte, ob dem Strafgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist oder nicht
„Unzuverlässig i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG ist – entsprechend dem Zuverlässigkeitsbegriff des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO – derjenige Gewerbetreibende, der im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier also des Bescheiderlasses, nach dem Gesamteindruck seines Verhaltes nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt (BVerwG, Beschluss vom 10.1.1996 – 1 B 202.95 – juris Rn. 5; Beschluss vom 23.9.1991 – 1 B 96.91 – juris Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 19.10.2020 – 22 ZB 20.363 – juris Rn.12). Tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Unzuverlässigkeit bestehen u.a. bei Straftaten im Zusammenhang mit der gewerblichen Betätigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 14 ff.).
Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden kommt es aber nicht auf das Strafurteil als solches und die ausgesprochene strafrechtliche Sanktion an, sondern auf das Verhalten des Gewerbetreibenden, das zur Verurteilung geführt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23.5.1995 – 1 B 78.95 – juris Rn. 5; BayVGH, Beschluss vom 24.1.2022 – 22 ZB 21.229 – juris Rn. 15; Beschluss vom 20.7.2016 – 22 ZB 16.284 – juris Rn. 10). Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte haben demzufolge nicht nachzuprüfen, ob im Falle einer strafgerichtlichen Verurteilung des Gewerbetreibenden dem Strafgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist oder nicht (OVG RhPf, Urteil vom 1.2.1967 – 2 A 56/ 66 – GewArch 1967, 204). Schon deshalb vermag sich aus dem umfangreichen Vortrag des Klägers dazu, das Strafgericht habe die Steuerstraftat und die Höhe des Steuerschadens ,evident‘ nicht nach den Vorschriften der StPO und den Vorgaben des Bundesgerichtshofs für eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung festgestellt, für sich genommen nicht zu ergeben, dass das Verwaltungsgericht die Feststellungen des Strafgerichts nicht hätte berücksichtigen dürfen.“
2. Ausnahmsweise besteht eine Prüfpflicht der Gewerbebehörden bzgl. der tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts
„Zwar müssen sich die Gewerbebehörden und die Verwaltungsgerichte selbst davon überzeugen, welcher Sachverhalt einer Bestrafung zugrunde gelegen hat, und in eigener Verantwortung prüfen, ob die zur Bestrafung führenden Tatsachen eine Verneinung der Zuverlässigkeit rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.2.1997 – 1 B 34.97 – juris Rn. 10; …; BayVGH, Beschluss vom 2.8.2021 – 22 ZB 21.1302 – juris Rn. 15). Der von dem Widerruf einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis Betroffene ist auch nicht gehindert, eine gerichtliche oder behördliche Entscheidung mit dem Argument anzugreifen, eine strafgerichtliche Verurteilung, auf die sich der Unzuverlässigkeitsvorwurf stützt, sei unzutreffend. Da die einer strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nicht an der Rechtskraft einer solchen Entscheidung teilnehmen, ist ein solcher Einwand auch dann nicht schlechthin ausgeschlossen, wenn die Verurteilung – wie hier – unanfechtbar geworden ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 29.3.2017 – 22 ZB 17.244 – juris Rn. 22).
In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass Gerichte und Behörden in der Regel von den tatsächlichen Feststellungen des Strafrichters ausgehen und diese regelmäßig ohne eigene Ermittlungen zugrunde legen dürfen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.2.1997 – 1 B 34.97 – juris Rn. 10; …; BayVGH, Beschluss vom 29.3.2017 – 22 ZB 17.244 – juris Rn. 22; …). Eine Ausnahme hiervon greift nur Platz, wenn gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen sprechen, was insbesondere dann der Fall ist, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, die gemäß § 359 Nr. 5 StPO eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen würden … Dabei reicht die bloße Geltendmachung von Anhaltspunkten für die Unrichtigkeit der strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen nicht aus. Vielmehr muss substantiiert dargelegt werden, dass und inwieweit die der Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen der Strafgerichte den Tatsachen nicht entsprochen haben sollen …; dies gilt im Berufungszulassungsverfahren angesichts der … Darlegungserfordernisse des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO erst recht.“
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Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Bayern 14/2023, Rn. 165.