Dem unten vermerkten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 18.9.2023 lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Mit Bescheid vom 24.6.2022 untersagte die Beklagte der Klägerin gemäß § 35 Abs. 1 GewO die Ausübung ihrer Gewerbe (Groß- und Einzelhandel mit Weinen sowie Einzelhandel mit Lebensmitteln, Milch und Milchprodukten); die Untersagung wurde auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigte einer Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie auf die Ausübung jeglicher selbständigen gewerblichen Tätigkeit erweitert.
Zur Begründung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin führt der Bescheid im Wesentlichen Rückstände beim Finanzamt, die Verletzung steuerlicher Abgabepflichten sowie drei Eintragungen im Schuldnerverzeichnis („Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“) an.
Die von der Klägerin gegen den Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht (VG) ab. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos. Dem Beschluss des VGH entnehmen wir:
1. Überschuldung und wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit begründen grundsätzlich die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden
„Die Klägerin trägt vor, es könne nicht undifferenziert von einer Verletzung steuerlicher Pflichten auf die Unzuverlässigkeit geschlossen werden. Ein solcher Rückschluss sei nur dann gerechtfertigt, wenn das Verhalten des Gewerbetreibenden auf einen eingewurzelten Hang zur Missachtung der ihm obliegenden steuerlichen Verpflichtungen schließen lasse, so dass es sich um eine nachhaltige, dauernde Verletzung handele. Ein solcher Fall liege hier nicht vor. Maßgeblich sei auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Dem Schreiben des Finanzamtes an die Beklagte vom 22.3.2022 könne entnommen werden, dass sich die steuerrechtlichen Pflichtverstöße im Wesentlichen nur auf das Jahr 2021 beschränkt hätten, so dass nicht von einer hartnäckigen Verweigerung der Steuerpflichten gesprochen werden könne.
Entgegen diesem Vorbringen war im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Gewerbeuntersagungsbescheids unter Berücksichtigung der Zeitdauer, während derer die Klägerin als Gewerbetreibende ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9.4.1997 – 1 B 81.97 – juris Rn. 5 m.w.N.), die Prognose gerechtfertigt, dass die Klägerin ihr Gewerbe auch künftig nicht ordnungsgemäß ausüben werde; insbesondere beschränkten sich die steuerlichen Pflichtverletzungen nicht nur im Wesentlichen auf das Jahr 2021. Auch der Umfang der Pflichtverletzungen der Klägerin sprach gegen eine künftige ordnungsgemäße Gewerbeausübung …
Im Übrigen hat das VG die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin nicht spezifisch auf steuerliche Rückstände gestützt; vielmehr ist es wegen dieser Rückstände und wegen der Eintragungen der Klägerin im Schuldnerverzeichnis von deren wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ausgegangen …
Überschuldung und wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit begründen grundsätzlich die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.4.2015 – 8 C 6.14 – BVerwGE 152, 39 – juris Rn. 14 m.w.N.). Die wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit der Klägerin hat das VG auch nachvollziehbar als anhaltend angesehen. Die älteste Eintragung der Klägerin im Schuldnerverzeichnis datiert vom 10.9.2019 … Auch im Zeitpunkt des Bescheiderlasses, also mehr als zweieinhalb Jahre später, mussten in Bezug auf die steuerlichen Rückstände der Klägerin Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ergriffen werden und leistete die Klägerin keine Zahlungen …“
2. Der Gewerbetreibende muss sich das Verschulden seines Steuerberaters zurechnen lassen
„Die Klägerin macht ferner geltend, dass die Pflichtverletzungen nicht aus ihrem Verhalten, sondern aus dem des von ihr beauftragten Steuerberaters resultiert hätten, der die nötigen Erklärungen nicht rechtzeitig gegenüber dem Finanzamt abgegeben habe. Dies belege, dass es der Klägerin nicht am Willen fehle, sich steuerlich korrekt zu verhalten. Durch den Austausch des Steuerberaters habe die Höhe der ursprünglich veranschlagten Rückstände schnell und deutlich reduziert werden können.
Auf Verschuldensaspekte, die sich aus der Tätigkeit eines Steuerberaters ergeben, dessen sich der Gewerbetreibende zur Erfüllung seiner Pflichten bedient, kommt es jedoch angesichts des bei der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit geltenden objektiven Beurteilungsmaßstabs nicht an; der Gewerbetreibende muss sich das Verschulden seines Steuerberaters zurechnen lassen. Dass der Klägerin das von ihr geltend gemachte Fehlverhalten ihres Steuerberaters nicht bekannt sein musste oder dass sie sogleich für Abhilfe gesorgt hätte, ist nicht vorgetragen und angesichts dessen, dass Steuerrückstände nach ihrem eigenen Vortrag schon 2019 und 2020 zu Eintragungen in das Schuldnerverzeichnis führten, auch nicht anzunehmen (vgl. zum Ganzen BayVGH, Beschluss vom 22.10.2021 – 22 ZB 21.1938 – juris Rn. 16 m.w.N.). Überdies bestanden trotz des von der Klägerin angeführten Wechsels ihres Steuerberaters bei Bescheiderlass weiterhin steuerliche Rückstände von über 8.000 Euro, waren steuerliche Erklärungen für die Jahre 2021 und 2022 nicht abgegeben worden und wurden von der Klägerin keine freiwilligen Zahlungen geleistet … Eine wesentliche Änderung der Sachlage war damit durch den Wechsel des Steuerberaters nicht eingetreten.“
3. Berücksichtigung eines Zusammenhangs zwischen pandemiebedingten Mindereinnahmen und der wirtschaftlichen Situation
„Die Klägerin rügt weiter, zwei der Eintragungen im Schuldnerverzeichnis seien im Mai bzw. September 2020 erfolgt und resultierten aus der alle Gewerbetreibenden beeinträchtigenden Phase der Pandemie, in welcher nicht genügend Einnahmen hätten generiert werden können. Aus den pandemiebedingten Steuerrückständen dürfe nicht auf eine gewerbliche Unzuverlässigkeit geschlossen werden.
Ein konkreter Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Situation der Klägerin und der Pandemie ist jedoch nicht dargelegt (vgl. zu diesem Erfordernis BayVGH, Beschluss vom 1.6.2023 – 22 ZB 22.2472 – juris Rn. 14; OVG NW, Beschluss vom 15.12.2021 – 4 B 1344/21 – juris Rn. 19). Die Klägerin wurde bereits am 10.9.2019 – und damit etliche Monate vor Pandemiebeginn – in das Schuldnerverzeichnis wegen ausgeschlossener Gläubigerbefriedigung eingetragen.
Zudem waren die von der Klägerin ausgeübten Gewerbe (Handel mit Lebensmitteln; Milch, Milchprodukte, Weine) nicht durch Infektionsschutzmaßnahmen untersagt; auch insofern wäre eine nähere Darlegung geboten gewesen, inwieweit ihre wirtschaftliche Situation – insbesondere unter Berücksichtigung der Möglichkeit eines Rückgriffs auf staatliche Hilfsprogramme – auf Pandemiefolgen zurückzuführen war. Hätte die Klägerin aufgrund pandemiebedingter Mindereinnahmen steuerliche Rückstände nicht (rechtzeitig) begleichen können, hätte dies zudem im Rahmen eines mit den Finanzbehörden abgestimmten Sanierungskonzepts, ggfs. auch schon durch Stundungen (vgl. z.B. Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 31.1.2022, …), berücksichtigt werden können (vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 30.6.2023 – 22 ZB 22.2158 – juris Rn. 29). Dass die Klägerin Anstrengungen in dieser Hinsicht unternommen hätte, ist nicht dargelegt und angesichts dessen, dass noch bei Bescheiderlass im Juni 2022 Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen sie ergriffen wurden, auch nicht erkennbar. Vor diesem Hintergrund ist auch der Vortrag der Klägerin, es bestehe ein Sanierungskonzept, welches seit Dezember 2021 umgesetzt werde, nicht nachvollziehbar.“
4. Erforderlichkeit einer Abmahnung vor der Gewerbeuntersagung?
„Die Klägerin hält die Gewerbeuntersagung ferner deshalb für unverhältnismäßig, weil sie zuvor nicht abgemahnt worden sei. Auch hiermit kann sie nicht durchdringen. Zwar darf eine Gewerbeuntersagung nicht erfolgen, wenn ein weniger schwerwiegendes Mittel wie eine Abmahnung voraussichtlich bewirkt, dass das Gewerbe künftig ordnungsgemäß ausgeübt wird. Jedoch braucht eine solche Abmahnung der Gewerbeuntersagung nicht unbedingt vorauszugehen.
Nur dann, wenn im Einzelfall damit gerechnet werden kann, dass eine Abmahnung den Gewerbetreibenden zur künftigen ordnungsgemäßen Ausübung seines Berufes veranlasst, ist eine Gewerbeuntersagung nicht i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO erforderlich … Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Klägerin waren mit Anhörungsschreiben vom 12.4.2022 die gegen ihre Zuverlässigkeit sprechenden Umstände im Einzelnen mitgeteilt worden; sie war abschließend ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass sie, falls sie die Vorwürfe nicht entkräfte, mit einer Gewerbeuntersagung rechnen müsse. Nach Aktenlage äußerte sich die Klägerin hierauf nicht. Bei Bescheiderlass war eine wesentliche Änderung der Sachlage in Bezug auf die Erfüllung steuerlicher Pflichten und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht eingetreten …Insofern ist nicht ersichtlich, weshalb eine Abmahnung hätte erwarten lassen sollen, dass die Klägerin künftig ihr Gewerbe ordnungsgemäß ausübt.“
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 18.9.2023 – 22 ZB 23.1019
Beitrag entnommen aus Die Fundstelle Bayern 22/2024, Rn. 256.