Dem unten vermerkten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 15.7.2024 lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen einen Bebauungsplan. Er ist Eigentümer von im Geltungsbereich des Bebauungsplans gelegenen aneinandergrenzenden Grundstücken, auf denen er laut seinem Vorbringen einen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb führt. Der Bebauungsplan setzt eine öffentliche Straßenverkehrsfläche fest, die ein Grundstück des Antragstellers durchtrennt. Zudem weist er bisher unbebaute Flächen in der Umgebung des Anwesens des Antragstellers als Mischgebiet und als Dorfgebiet aus. Der VGH gab dem Normenkontrollantrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren statt. In seinem Beschluss führt er auszugsweise Folgendes aus:
1. Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks als ein wichtiger privater abwägungsrelevanter Belang
„Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne nach § 2 Abs. 3 BauGB zu ermitteln und zu bewerten. Zu ermitteln und zu bewerten sowie gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind alle Belange, die in der konkreten Planungssituation nach Lage der Dinge in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden müssen … Zu den für die Abwägung relevanten privaten Belangen gehört in hervorgehobener Weise das durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Eigentum … Die Gemeinde darf durch ihre Bauleitplanung die bauliche Nutzbarkeit von Grundstücken verändern und dabei auch die privaten Nutzungsmöglichkeiten einschränken oder gar aufheben. Dies setzt indes voraus, dass hinreichend gewichtige städtebaulich beachtliche Allgemeinbelange hierfür bestehen. Diese Allgemeinbelange müssen umso gewichtiger sein, je stärker die Festsetzungen eines Bebauungsplans die Befugnisse des Eigentümers einschränken oder Grundstücke von einer Bebauung ganz ausschließen. Die grundgesetzliche Eigentumsgarantie umfasst neben der Substanz des Eigentums auch die Beachtung des Gleichheitssatzes und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks muss von der Gemeinde daher als ein wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen in der nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Abwägung der öffentlichen und der privaten Belange beachtet werden. Im Rahmen der Abwägungsentscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB hat die Gemeinde folglich die Nachteile einer Planung für Planunterworfene zu berücksichtigen …“
2. Bei einer fremdnützigen Überplanung privater Grundstücke durch eine öffentliche Verkehrsfläche oder eine andere Gemeinbedarfsfläche sind an die Abwägung besonders hohe Anforderungen zu stellen
„Dies gilt unbeschadet des Umstandes, dass Bebauungspläne keine enteignungsrechtliche Vorwirkung haben und deshalb die Enteignungsvoraussetzungen (§§ 85 ff. BauGB) bei der Rechtmäßigkeitskontrolle nach § 1 Abs. 7 BauGB nicht zu prüfen sind. Die planerische Inanspruchnahme privater Flächen als öffentliche Verkehrsfläche ist mit erheblichen Eingriffen in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Nutzungsrecht des Eigentümers verbunden. Mit der Festsetzung im Bebauungsplan wird bindend über die künftige Zweckbestimmung der Fläche entschieden … Durch die Festsetzung einer öffentlichen Verkehrsfläche ist bereits mit Inkrafttreten des Bebauungsplans jegliche private bauliche Nutzung der betreffenden Fläche durch den Eigentümer vollständig ausgeschlossen (vgl. BVerwG, U. v. 27.8.20091) – 4 CN 5.08 – juris Rn. 20). Hierfür muss der Plangeber im Rahmen der Abwägung die planerische Verantwortung übernehmen.
Er hat dabei in besonderem Maße die Bestandsgarantie des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sowie das Gebot größtmöglicher Schonung privater Flächen zu beachten und muss daher insbesondere prüfen, ob das Planungsziel nicht auch unter weiter gehender Schonung des Grundbesitzes der Betroffenen zu erreichen wäre, welche baurechtliche Qualität die betroffenen Flächen aufweisen und ob die Planung ein Mindestmaß an Lastengleichheit zwischen allen betroffenen Eigentümern gewährleistet …“
3. Anforderungen an eine hinreichende Befassung mit den betroffenen Eigentümerbelangen
„Vorliegend ist nicht erkennbar, dass sich die Antragsgegnerin bei der Zusammenstellung und Bewertung des Abwägungsmaterials über die Kenntnis der Eigentumslage hinausgehend mit den durch die Festsetzung einer öffentlichen Straßenverkehrsfläche auf dem Grundstück … beeinträchtigten Eigentümerbelangen des Antragstellers auch nur annähernd befasst hat. Weder der Begründung des Bebauungsplans noch dem Rechtssetzungsvorgang im Übrigen lässt sich entnehmen, dass die Antragsgegnerin das Grundeigentum des Antragstellers – ebenso wie dasjenige der weiteren von der Überplanung betroffenen privaten Grundeigentümer – einer näheren Betrachtung und Bewertung bezüglich seiner Inanspruchnahme für eine öffentliche Verkehrsfläche unterzogen hat. Zum Umfang der erforderlichen Inanspruchnahme privaten Eigentums und deren Auswirkungen für die (jeweiligen) Grundstückseigentümer finden sich keinerlei Darlegungen. In der Abwägungsübersicht zur förmlichen Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung wird lediglich angemerkt, dass keine Enteignungen geplant seien und eine abschließende Erschließung nur bei Flächenverfügbarkeit realisiert werden könne. Dies genügt nicht als hinreichende Befassung mit den betroffenen Eigentümerbelangen.
Die Antragsgegnerin war sich … deren objektiver Abwägungsrelevanz offenbar nicht bewusst und hat daher die durch die Straßenverkehrsflächenfestsetzung beeinträchtigten Eigentümerbelange des Antragstellers – sowie die der weiteren privaten Grundstückseigentümer, über deren Grundeigentum die geplante Erschließungsstraße verläuft – nicht ermittelt, obwohl sich dies nach Lage der Dinge aufgedrängt hätte. Dadurch konnte sie das objektive Gewicht dieser abwägungserheblichen Belange nicht feststellen und ist dem Gebot, diese Belange zu bewerten und mit dem entsprechenden Gewicht in die nachfolgende Abwägung einzustellen, nicht hinreichend nachgekommen. Dieser Mangel ist auch im Sinne des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich. Er ist offensichtlich, da er sich unmittelbar aus den Bebauungsplanakten ergibt. Zudem ist er auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, weil nach den Umständen des vorliegenden Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung ohne den Mangel im Abwägungsvorgang anders ausgefallen wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan bei einer hinreichenden Ermittlung und Bewertung der durch die Straßenverkehrsflächenfestsetzung beeinträchtigten Eigentümerbelange des Antragstellers in jedem Fall mit demselben Inhalt beschlossen hätte. Der festgestellte Mangel ist auch nicht im Nachhinein gemäß § 215 Abs. 1 BauGB unbeachtlich geworden, da er vom Antragsteller rechtzeitig gerügt wurde.“
[…]Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15.7.2024 – 2 NE 24.821
1) FStBay Randnummer 40/2011
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Die Fundstelle Bayern 01/2025, Rn. 4.