Obdachlosenunterbringung, Unfreiwillige Obdachlosigkeit bei Einreise mit Besuchervisa, örtliche Zuständigkeit, Dusche ist keine Mindestanforderung an eine Unterbringung: Zu diesen Themen sind die beiden unten vermerkten rechtskräftigen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts München (VG) vom 23.4.2024 und des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27.5.2024 ergangen.
Dem Beschluss des VG München lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Antragstellerin, eine 1997 geborene jemenitische Staatsangehörige, und ihre beiden Kinder begehren von der Gemeinde als Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft. Der Ehemann der Antragstellerin und Vater der Kinder wurde 2023 als Flüchtling nach § 3 Asylgesetz (AsylG) anerkannt. Er wohnt in einer Unterkunft im Stadtgebiet der Antragsgegnerin. Die Antragsteller erhielten 2024 von der Bundesrepublik Deutschland Visa zum Ehegatten- bzw. Kindernachzug, mit denen sie 2024 in das Bundesgebiet einreisten. In der Unterkunft des Ehemanns bzw. Vaters konnten die Antragsteller jedoch nicht untergebracht werden. Sie erhielten vom Asylmanagement einen Abdruck der Pressemitteilung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 29.2.2024 über den Beschluss vom 15.2.2024 (4 CE 24.60), wonach die beklagte Gemeinde auch den später nachgezogenen Familienangehörigen eines Flüchtlings eine Obdachlosenunterkunft zuweisen muss.
Die Gemeinde lehnte die Unterbringung der Antragsteller per E-Mail ab. Eine Unterbringungspflicht bestehe nicht, da es den Antragstellern bereits vor deren Einreise in die Bundesrepublik bekannt gewesen sei, dass sie hier obdachlos würden. Sie seien mit Besuchervisa eingereist. Der Inhalt der Pressemitteilung des VGH sei auf sie nicht zutreffend.
Auf den Antrag der Antragsteller hat das VG München die Gemeinde im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern zur Behebung der Obdachlosigkeit eine Notunterkunft zuzuweisen und vorläufig zur Verfügung zu stellen. Dem Beschluss des VG München entnehmen wir:
1. Anspruch zugezogener Ausländer, die bisher noch niemals über eine eigene Wohnung im Gemeindegebiet verfügt haben, auf Unterbringung
„Nach Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) haben die Sicherheitsbehörden, darunter die Gemeinden, die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch die Abwehr von Gefahren und durch Unterbindung und Beseitigung von Störungen aufrechtzuerhalten. Nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG können die Sicherheitsbehörden zur Erfüllung dieser Aufgaben für den Einzelfall Anordnungen treffen, um Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder Freiheit von Menschen oder Sachwerte, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen. Unfreiwillige Obdachlosigkeit zieht konkrete Gefahren für Leib und Leben nach sich und stellt deshalb eine Gefahr und eine Störung der öffentlichen Ordnung dar. In der Folge ist die zuständige Gemeinde als untere Sicherheitsbehörde zu entsprechendem sicherheitsbehördlichem Einschreiten regelmäßig verpflichtet (BayVGH, B.v. 21.9.20062) – 4 CE 06.2465 – juris Rn. 4). Das gilt auch für den Fall, wenn eine andere staatliche Ebene eine Ursache dafür gesetzt hat, dass die schutzbedürftigen Personen ins Bundesgebiet einreisen und daher hier obdachlos werden konnten. Die kommunale Aufgabe besteht damit – entgegen der Annahme der Antragsgegnerin – auch gegenüber zugezogenen Ausländern, die bisher noch niemals über eine eigene Wohnung im Gemeindegebiet verfügt haben (vgl. dazu jüngst m.w.N. BayVGH, B.v. 15.2.2024 – 4 CE 24.60 – juris Rn. 10 f.).“
2. Unfreiwillige Obdachlosigkeit
„Vorliegend haben die Antragsteller zur Überzeugung des Gerichts eine Situation unfreiwilliger Obdachlosigkeit glaubhaft gemacht. Dieser steht nicht entgegen, dass sie sich ohne vorangehende Klärung der Frage der Unterbringung in die Bundesrepublik begeben haben. Die Antragsteller verfügen rein faktisch über keine Unterkunft und es ist nicht ersichtlich, dass sie ihre Obdachlosigkeit durch Selbsthilfebemühungen abwenden könnten.
Dass die (offenbar weitgehend mittellosen) Antragsteller in das Bundesgebiet eingereist sind, ohne zuvor ihre Unterbringung sicherzustellen, lässt die nunmehr entstandene Obdachlosigkeit zwar als möglicherweise vorhersehbar, nicht jedoch als freiwillig erscheinen. Auf die Frage, ob das Fehlen einer Unterkunft auf einem individuell vorwerfbaren Verhalten beruht, kann es im Übrigen nach den allgemeinen Grundsätzen des Sicherheitsrechts nicht ankommen (BayVGH, B.v. 9.10.2015 – 4 CE 15.2102 – juris Rn. 2; Ehmann, Obdachlosigkeit in Kommunen, 4. Aufl. 2020, S. 40; Ruder, KommJur 2020, 401/404).“
3. Sachliche und örtliche Zuständigkeit der Gemeinde
„Die Antragsgegnerin ist für die Unterbringung der Antragsteller sachlich und örtlich zuständig, weil die Obdachlosigkeit der Antragsteller in ihrem Gemeindegebiet eingetreten ist.
Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei den Antragstellern um ausländische Staatsangehörige handelt, die mit einem Visum zur Familienzusammenführung in die Bundesrepublik eingereist sind. Bei der Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit der Gemeinden macht es keinen Unterschied, ob die Störung der öffentlichen Sicherheit von einem deutschen Staatsangehörigen oder von einem Ausländer ausgeht. Bei der Beurteilung der Obdachlosigkeit kommt es regelmäßig nicht auf den ausländerrechtlichen Status an; es ist insbesondere auch ohne Bedeutung, ob ein Aufenthaltstitel nach § 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegt.
Der Vollzug des Ausländerrechts obliegt den Ausländerbehörden und nicht den zur Unterbringung zuständigen Sicherheitsbehörden. Das gilt im Übrigen auch im Fall von mit Touristenvisum eingereisten ausländischen Staatsangehörigen (BayVGH, B.v. 7.5.20183) – 4 CE 18.965 – juris Rn. 10), sollten die Antragsteller – wie von der Antragsgegnerin angenommen – doch mit einem Besuchervisum eingereist sein.
Die Antragsteller sind im Übrigen auch nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) leistungsberechtigt und haben daher keinen Anspruch auf Unterbringung nach dem Aufnahmegesetz (Art. 1 Abs. 1 Aufnahmegesetz – AufnG), so dass auch keine andere Stelle als die Antragsgegnerin für ihre Unterbringung zuständig ist. Auch eine Verpflichtung zur Wohnsitznahme, etwa nach § 47 AsylG oder § 12a AufenthG, besteht nicht. Damit besteht kein Unterschied zu sonstigen obdachlosen Personen, die sich in einer Gemeinde aufhalten (vgl. BayVGH, B.v. 15.2.2024 – 4 CE 24.60 – juris Rn. 9).
Die örtliche Zuständigkeit für die Obdachlosenunterbringung ergibt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. B.v. 14.8.20194) – 4 CE 19.1546 – juris Rn. 11 f.) aus Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Danach ist diejenige Behörde zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Im Fall eingetretener oder drohender Obdachlosigkeit bilden die bestehenden Gefahren für Leib und Leben im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG den Anlass für das sicherheitsrechtliche Eingreifen. Entsprechend ist die Gemeinde zuständig, in deren Bezirk die Obdachlosigkeit eingetreten ist; auf den früheren oder aktuellen Ort des gewöhnlichen Aufenthalts kommt es nicht an (BayVGH, B.v. 4.4.2017 – 4 CE 17.615 – juris Rn. 5). Daraus folgt die Zuständigkeit der Antragsgegnerin.
Denn die Antragsteller haben sich nach ihrer Einreise in deren Gemeindegebiet begeben und dort um eine Unterbringung nachgesucht, weil sie nicht in der dortigen Flüchtlingsunterkunft bleiben durften.“
[…]Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 23.4.2024 – M 22 E 24.1991
Verwaltungsgericht Augsburg, Beschluss vom 27.5.2024 – Au 8 E 24.1145
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Fundstelle Bayern Heft 01/2024, Rn. 9.