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Fahrerlaubnisrecht: Verzicht auf die Fahrerlaubnis auf Probe

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§ 2a Abs. 1, 2, 2a, 4 und 5 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 4, Abs. 5 Satz 1 Nr. 3, Abs. 10 StVG, § 11 Abs. 3 und Abs. 8 FeV

Fahrerlaubnis auf Probe; Begehung mindestens einer schwerwiegenden oder zweier weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlung(en); Verzicht auf die Fahrerlaubnis auf Probe; Neuerteilung der Fahrerlaubnis auf Probe; Erneute relevante Zuwiderhandlung innerhalb der zweiten Probezeit; Begutachtungsanordnung; Fahrerlaubnisentzug wegen Nichtbeibringung des geforderten Gutachtens

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.10.2024, Az. 3 C 3.23

Leitsatz des Gerichts

Gegenüber dem Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe, der nach der Begehung von mindestens einer schwerwiegenden oder zwei weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlung(en) im Sinne von § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG auf die Fahrerlaubnis verzichtet und der nach der Neuerteilung der Fahrerlaubnis in der neuen Probezeit erneut eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlung(en) begeht, hat die zuständige Fahrerlaubnisbehörde wie im Fall einer vorangegangenen Fahrerlaubnisentziehung in entsprechender Anwendung des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG in der Regel die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

In der vorliegenden Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) erkannt, dass die Fahrerlaubnisbehörde auf der Grundlage des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG in dessen analoger Anwendung die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auch dann verlangen kann, wenn dem Inhaber der Fahrerlaubnis auf Probe im Rahmen der ersten Probezeit die Fahrerlaubnis nicht entzogen worden war, sondern er hierauf verzichtet hatte.

1. In dem zugrundeliegenden Fall wandte sich der Kläger gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis. Ihm wurde erstmals 2014 die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Nachdem der Kläger noch im Jahr 2014 mehrfach durch Verkehrsverstöße, die durch Betäubungsmittel bedingt waren, auffällig geworden war, ordnete die zuständige Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an. Nachdem dieses negativ ausfiel, verzichtete der Kläger 2015 auf seine Fahrerlaubnis. Im Jahr 2020 wurde dem Kläger auf seinen Antrag hin nach Vorlage eines für ihn positiven medizinisch- psychologischen Gutachtens erneut die Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Noch im selben Jahr missachtete der Kläger ein bereits länger als eine Sekunde währendes Rotlicht einer Ampelanlage. Der deshalb ergangene Bußgeldbescheid wurde rechtskräftig.

Daraufhin ordnete die zuständige Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 24.11.2020 gegenüber dem Kläger, gestützt auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG, erneut die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens an und entzog dem Kläger schließlich, nachdem dieser das geforderte Gutachten nicht (fristgerecht) vorlegte, mit Bescheid vom 9.3.2021 die Fahrerlaubnis. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.

Das Verwaltungsgericht Koblenz gab der daraufhin erhobenen Anfechtungsklage in seinem Urteil vom 07.04.2022 (Az. 4 K 119/22.KO, juris) statt und hob den Entziehungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids auf, weil nach seiner rechtlichen Würdigung die Beibringungsanordnung vom 24.11.2020 rechtswidrig erfolgte, da § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG hier weder direkt noch analog anwendbar sei. § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG, so das Verwaltungsgericht, ermögliche nach dem eindeutigen Wortlaut, der mit der Formulierung „in diesem Fall“ auf die Regelung in Satz 4 Bezug nehme, die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nur dann, wenn die Fahrerlaubnis zuvor entzogen worden sei. Da der Kläger hier jedoch vor der Neuerteilung der Fahrerlaubnis 2020 im Jahr 2015 auf seine Fahrerlaubnis verzichtet hatte, hätte die Beklagte die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung nicht unmittelbar auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG stützen können und scheide auch eine analoge Anwendung der Vorschrift auf Fälle wie dem hier in Streit stehenden aus, weil es an den Voraussetzungen für die Annahme einer Analogie – einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenslage – fehle.

Auf die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten hin änderte das Oberverwaltungsgericht Koblenz (OVG Koblenz) das Urteil des Verwaltungsgerichts und wies die Klage mit Urteil vom 24.01.2023 (Az. 10 A 10412/22) ab. Anders als das Erstgericht vertrat das Oberverwaltungsgericht die Rechtsauffassung, dass die Anordnung des Gutachtens auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG in analoger Anwendung habe gestützt werden können. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hat das BVerwG zurückgewiesen. Es hat die Rechtsauffassung des OVG Koblenz bestätigt und entschieden, dass die Anforderung des medizinisch-psychologischen Gutachtens hier auf § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG in entsprechender Anwendung gestützt werden konnte.

2. Dabei hat das BVerwG insbesondere detailliert begründet, dass nach wörtlicher, systematischer, historischer und teleologischer Auslegung der Regelungen des § 2a StVG für den Fall, dass der Betroffene nach der Begehung von mindestens einer schwerwiegenden oder zwei weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlung(en) im Sinne von § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG während der ersten Probezeit auf die Fahrerlaubnis verzichtet hat und er nach der Neuerteilung während der erneuten Probezeit erneut mindestens eine schwerwiegende oder zwei weniger schwerwiegende Zuwiderhandlung(en) begeht, eine planwidrige Regelungslücke besteht, die eine analoge Anwendung des § 2a Abs. 5 Satz 5 StVG gebietet.

Hierdurch hat das BVerwG – entsprechend dem gesetzgeberischen Ziel, eine Umgehung der Probezeit mit ihren besonderen Maßnahmen zu verhindern und im Interesse der Verkehrssicherheit auf alle Fahranfänger gleiche Regeln anzuwenden – rechtsfortbildend eine begrüßenswerte Klärung herbeigeführt, nachdem die dazu bislang ergangene obergerichtliche Rechtsprechung unterschiedliche Ansichten vertreten hat (für eine analoge Anwendung etwa: VGH Kassel, Beschluss vom 18.12.2008, Az. 2 B 2277/08, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.01.2017, Az. OVG 1 S 69.16, juris; gegen eine analoge Anwendung etwa: OVG Münster, Beschluss vom 31.08.2022, Az. 16 B 1583/21, juris).

Darüber hinaus bietet die Entscheidung des BVerwG nach Einschätzung der Landesanwaltschaft Bayern eine umfassende Darstellung der, so auch ausdrücklich vom BVerwG bezeichnet, „komplexen Regelungsstruktur“ des § 2a StVG, die den Fahrerlaubnisbehörden bei Fragen der Fahrerlaubnis auf Probe wertvolle Hilfestellungen bieten kann.

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts.

 

 

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