Aktuelles

Disziplinarrecht: Sexuelle Beziehung eines Lehrers zu einem minderjährigen Schüler derselben Schule

joeycheung - stock.adobe.com

§ 47 Abs. 1 BeamtStG

Abgrenzung von inner- und außerdienstlicher Pflichtverletzung; Vorbildfunktion eines Lehrers; Entfernung aus dem Beamtenverhältnis; Kein Absehen von der Höchstmaßnahme auch bei überlanger Verfahrensdauer

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.12.2024, Az. 2 B 9.24

Leitsatz des Gerichts

Die Fortführung einer sexuellen Beziehung zu einem minderjährigen Schüler derselben Schule durch einen Lehrer ist auch dann als innerdienstliche Pflichtverletzung zu bewerten, wenn den Beteiligten der Umstand bei ihrer Kontaktaufnahme nicht bekannt war und ein unmittelbares Unterrichtsverhältnis nicht besteht.

Orientierungssätze der Landesanwaltschaft Bayern

Unabhängig von einer außerdienstlich begründeten Aufnahme einer sexuellen Beziehung steht ein Lehrer mit einem Schüler derselben Schule in einem dienstlichen Zusammenhang. Die Fortführung einer sexuellen Beziehung zu einem minderjährigen Schüler derselben Schule kann daher nicht als „Privatsache“ oder Teil der „rein privaten Freizeitgestaltung“ eines Lehrers begriffen werden. Die logische und zwingende Einbindung in den Dienst als Lehrer derselben Schule ergibt sich bereits aus dem Erfordernis, einer Ausnutzung des Ungleichverhältnisses und dem Verdacht von Grenzüberschreitungen an der Schule wirksam begegnen zu können (vgl. Rn. 13).

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Mit dem vorliegenden Beschluss hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Beschwerde eines ehemaligen Lehrers gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) für das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) zurückgewiesen. Der Rechtsstreit betraf ein gegen den ehemaligen Lehrer (Beklagter) wegen des Vorwurfs sexueller Beziehungen zu einem minderjährigen Schüler geführtes Disziplinarklageverfahren. Auf die Disziplinarklage des Landes NRW hat das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf mit Urteil vom 26.04.2021, Az. 35 K 7816/19.O, juris, auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde vom OVG NRW mit Urteil vom 03.11.2023, Az. 31 A 1600/21.O, juris, zurückgewiesen.

Nach dem festgestellten Sachverhalt (vgl. Rn. 3) nahm der Beklagte im Januar 2017 über eine Dating-Plattform für volljährige homosexuelle Männer Kontakt zu dem 2000 geborenen Schüler auf, der schon mehrfach als „Callboy“ tätig gewesen war. In der Folgezeit lernten sich der Beklagte und der Schüler persönlich kennen. Dem Beklagten wurde dabei spätestens beim zweiten Treffen bekannt, dass es sich um einen Schüler der 11. Jahrgangsstufe der Schule handelte, an der er selbst unterrichtete. Bis September 2017 kam es bei drei Treffen im Haus des Beklagten zum Austausch sexueller Handlungen zwischen dem Beklagten und dem Schüler. Zudem gewährte der Beklagte dem Schüler Geldleistungen.

Das BVerwG entschied, dass die Revision weder wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen sei.

Folgende Aussagen des BVerwG sind aus Sicht der Landesanwaltschaft Bayern (LAB) in diesem Zusammenhang hervorzuheben:

  1. Der 2. Senat bekräftigt zunächst seine ständige Rechtsprechung zur Abgrenzung inner- und außerdienstlicher Pflichtverletzungen (vgl. Rn. 10 unter Hinweis auf das Urteil vom 01.02.2024, Az. 2 A 7.23, juris) und führt aus, dass das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen sei, dass die Fortführung einer sexuellen Beziehung zu einem minderjährigen Schüler derselben Schule durch einen Lehrer auch dann als innerdienstlich zu bewerten ist, wenn den Beteiligten der Umstand bei ihrer Kontaktaufnahme nicht bekannt war und ein unmittelbares Unterrichtsverhältnis nicht besteht (vgl. Rn. 10).
  2. Sodann ruft der Senat in Erinnerung, dass ein Lehrer nach dem umfassenden und auf Art. 7 Abs. 1 GG beruhenden Bildungsauftrag der Schule nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern – ergänzend zu den Eltern und von diesen unabhängig – auch zur Erziehung der Kinder verpflichtet ist (vgl. Rn. 11 m.w.N.). Er muss insbesondere die Entwicklung der ihm anvertrauten Kinder fördern und schützen und in seiner Vorbildfunktion die verfassungsrechtlich geschützte Werteordnung glaubhaft vermitteln.
  3. Außerdienstliche Verstöße gegen die vorgenannten Anforderungen berühren bei einem Lehrer in besonderem Maße sein Amt und seine Dienstausübung. Dies gilt bereits dann, wenn zu befürchten ist, dass der Lehrer ihretwegen auf Vorbehalte der Eltern der von ihm unterrichteten Kinder stößt und deswegen nicht mehr die Autorität und das Vertrauen der Allgemeinheit genießt, auf die er für die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben zwingend angewiesen ist. Insoweit genügt die bloße Eignung für einen solchen Vertrauensverlust, ohne dass dieser konkret eingetreten sein muss. Ein dem Lehrer vorwerfbares Verhalten im unmittelbaren Umgang mit Schülern konkret seiner Schule ist dabei nicht erforderlich (vgl. Rn. 12).
  4. Die Fortsetzung einer außerdienstlich angebahnten sexuellen Beziehung eines Lehrers mit einem Schüler, nachdem der Lehrer Kenntnis davon erlangt, dass es sich um einen minderjährigen Schüler handelt, der die Schule besucht, an der er unterrichtet, qualifizierte der Senat überzeugend als innerdienstliche Pflichtverletzung. Ab Kenntniserlangung von dem Umstand, dass es sich um einen minderjährigen Schüler „seiner“ Schule handelt, bestehe die kausale und logische Einbindung in das Lehreramt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit des Lehrers (vgl. Rn. 13).
  5. Schließlich bestätigte das BVerwG seine ständige Rechtsprechung, dass auch eine unangemessen lange Dauer des Disziplinarverfahrens nicht zur Milderung der Disziplinarmaßnahme führen kann, wenn das Dienstvergehen – wie hier – eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gebietet (vgl. Rn. 15).

Der Beschluss des BVerwG überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung. Aus rechtsstaatlicher Sicht unbefriedigend erscheint vor dem Hintergrund des Gebots der Beschleunigung (vgl. § 4 LDG NRW und für Bayern Art. 4 BayDG) die recht lange Verfahrensdauer. Im vorliegenden Fall wurde das Disziplinarverfahren gegen den einschlägig disziplinarrechtlich vorbelasteten Beklagten im Jahr 2017 eingeleitet; im Oktober 2019 wurde die auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerichtete Disziplinarklage erhoben (vgl. Rn. 4). Mit dem Beschluss des BVerwG vom 09.12.2024 wurde das über drei Instanzen geführte gerichtliche Disziplinarverfahren nun rechtskräftig beendet. Im Unterschied zum nordrhein-westfälischen Landesrecht (§ 67 LDG NRW) eröffnet das bayerische Landesdisziplinarrecht nicht die Möglichkeit einer Revision (vgl. dazu auch LT-Drs. 15/4076, Seite 30).

Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts.

 

 

Weitere Beiträge der LAB.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen monatlich eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor.