Rechtsprechung Bayern

Infektionsschutzrechtliche Veranstaltungsverbote

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Art. 5, 12, 14 GG; §§ 28, 32 IfSG (Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb; Eingriff; infektionsschutzrechtliche Veranstaltungsverbote und -beschränkungen; Erwerbsschäden; Entschädigungsanspruch; Amtshaftungsanspruch; enteignender Eingriff; enteignungsgleicher Eingriff; allgemeiner Aufopferungsanspruch)

Amtliche Leitsätze:

  1. Zur Verhältnismäßigkeit infektionsschutzrechtlicher Veranstaltungsverbote und -beschränkungen (hier: Berufsmusiker) in dem Zeitraum von März bis Juli 2020 zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus.
  2. Zu den durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen zählt auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb (Bestätigung der Senatsurteile v. 09.12.2004 – III ZR 263/04, BGHZ 161, 305; v. 13.12.2007 – III ZR 116/07, BGHZ 175, 35 und v. 11.05.2023 – III ZR 41/22 – BeckRS 2023, 10074).
  3. Mit infektionsschutzrechtlichen Veranstaltungsverboten und -beschränkungen gehen typischerweise Eingriffe in das beruflich genutzte Eigentum von Gewerbetreibenden einher, die ihre Tätigkeit auf Publikum ausgerichtet haben. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen für eine unternehmerische Tätigkeit, durch die lediglich künftige Umsatz- und Gewinnchancen gemindert werden (Bestätigung und Fortführung des Senatsurteils v. 11.05.2023 – III ZR 41/22 – BeckRS 2023, 10074 Rn. 40).
  4. Die durch Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistete Kunstfreiheit ist in Fällen, in denen es um den Ausgleich von Erwerbsschäden aufgrund von infektionsschutzrechtlichen Veranstaltungsverboten und -beschränkungen geht, nicht in ihrer immateriellen, sondern in ihrer vermögensrechtlichen Dimension betroffen. Soweit die Kunst beruflich oder gewerblich ausgeübt wird, ist daher die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG maßgeblich.
  5. Die Frage, ob für längerfristige existenzgefährdende Maßnahmen ausnahmsweise eine Haftungsgeneralklausel im Infektionsschutzgesetz normiert werden müsste, stellt sich im Rahmen der sozialstaatlichen Bewältigung einer Pandemie nicht (Fortentwicklung des Senatsurteils v. 17.03.2022 – III ZR 79/ 21 – BGHZ 233, 107 Rn. 61 f).

BGH, Urteil vom 03.08.2023, III ZR 54/22

Zum Sachverhalt:

Der im Freistaat Bayern ansässige Kläger betreibt ein Musik- und Filmproduktionsunternehmen und ist Leiter einer Musikgruppe. Seine Aufträge bestehen zu mehr als 90 Prozent aus Live-Auftritten und Bühnenshows. Er begehrt von dem beklagten Land Baden- Württemberg Entschädigung für Einnahmeausfälle von April bis Juli 2020, weil er und seine Musikgruppe in diesem Zeitraum aufgrund von staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coro- navirus SARS-CoV-2 und der dadurch verursachten COVID-19- Krankheit nicht auftreten konnten.

Am 17. März 2020 erließ die Landesregierung auf der Grundlage von § 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) die Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung – Corona-VO I). Die Verordnung wurde am 17. März 2020 durch öffentliche Bekanntmachung notverkündet und trat am 18. März 2020 in Kraft. Am 20. März 2020 wurde sie im Gesetzblatt für Baden-Württemberg veröffentlicht (GBl. S. 120). Gemäß § 10 Abs. 1 sollte sie am 15. Juni 2020 wieder außer Kraft treten. In § 3 wurde unter anderem Folgendes angeordnet:

„(1) Zusammenkünfte in Vereinen und sonstigen Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie die Wahrnehmung von Angeboten in Volkshochschulen, Musikschulen und sonstigen öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen im außerschulischen Bereich sowie Reisebusreisen sind untersagt.

(2) Zusammenkünfte in Kirchen,Moscheen, Synagogen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften sind untersagt.

(3) Sonstige Versammlungen und sonstige Veranstaltungen sind untersagt.

Ab dem 3. Mai 2020 waren Veranstaltungen von Kirchen sowie Religions- und Glaubensgemeinschaften zur Religionsausübung wieder gestattet (Art. 2 Nr. 6 Buchst. c der Siebten Änderungsverordnung vom 2. Mai 2020, GBl. S. 206).

Ab dem 11. Mai 2020 wurden gemäß § 3 Abs. 3 der Corona-Verordnung II vom 9. Mai 2020 (GBl. S. 266) Veranstaltungen von dem Verbot ausgenommen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Daseinsfürsorge oder -vorsorge, der medizinischen Versorgung sowie der Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG zu dienen bestimmt waren.

Ab dem 1. Juni 2020 waren unter Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen und Hygienemaßnahmen wieder öffentlich zugängliche Kulturveranstaltungen jeglicher Art (z. B. Konzerte) mit weniger als 100 Teilnehmern gestattet (Verordnung zur Eindämmung von Übertragungen des Corona-Virus [SARS-CoV-2] auf Veranstaltungen vom 29. Mai 2020 – Corona-VO Veranstaltungen; GBl. S. 378). Vom 9. Juni 2020 an galt dasselbe für private Veranstaltungen, allerdings mit der Einschränkung, dass dort nur gesungen und getanzt werden durfte, wenn ausschließlich Familienangehörige, enge Verwandte und Angehörige des eigenen sowie eines weiteren Haushalts zusammenkamen (Verordnung zur Eindämmung von Übertragungen des Corona-Virus [SARS-CoV-2] auf privatenVeranstaltungen – Corona-VO private Veranstaltungen; GBl. S. 391).

Mit Ausnahme von Tanzveranstaltungen waren gemäß § 10 der Corona-Verordnung III vom 23. Juni 2020 (GBl. S. 483) ab dem 1. Juli 2020 unter Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen und Hygienemaßnahmen jegliche Veranstaltungen mit bis zu 100 Teilnehmern gestattet. Bei Veranstaltungen mit festen Sitzplätzen und einem im Vorhinein festgelegten Programm waren bis zu 250 Teilnehmer zulässig.

Das Landgericht hat die auf Erstattung des Ertragsverlustes in Höhe von 8.326,48 Euro gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte er seine Ansprüche weiterverfolgen.

Beitrag entnommen aus Bayerische Verwaltungsblätter 24/2024, S. 856.